Spannung pur

Es ist kurz vor 17 Uhr, ich fange mit der Zubereitung des Abendessens an. Eine Email von Christine geht ein. Heute spielt die Eintracht im Endspiel. Hä? Spielen die nicht erst morgen? Nein, sie spielen wirklich heute. Christine wird von mir sofort zur Live-Berichterstattung verdonnert. Wir stellen den letzten Apfelwein kalt.

Ich schnippele die Zutaten. Heute kommen die letzten frischen Möhren zum Einsatz. Bis auf ein paar Zwiebeln und Knoblauch haben wir nun alle frischen Lebensmittel verbraucht. Es hat immerhin 15 Tage gehalten, es ist fast nichts schlecht geworden. Jens drückt immer wieder und wieder auf die Mail-abrufen-Taste.

…das mit dem Adler verstehe ich jetzt. Der Eintracht-Torwart kann fliegen. Du meine Güte, schönes Spiel. Der Ball wird hin- und hergeschossen und meistens treffen sie auch den Mitspieler genau…

Jens und ich freuen uns sehr. Alle paar Minuten kommt eine Mail rein. Derweil bin ich mit dem Schneiden fertig und mache den Reis. Jens aktualisiert die Mail wieder und wieder.

…bis zur 30. Minute eine Torchance nach der anderen und kein Abschluss. Jetzt frisst es sich so ein bisschen fest. Die Eintrachtfans pfeifen, wenn die Schotten den Ball haben. Umgekehrt nicht…

Wir stellen fest, dass es ein ganz normales Fußballspiel ist. Eigentlich fast wie zu Hause. Leider haben wir keine Möglichkeit, es zu hören, wir können es uns aber vorstellen. An Christine ist eine Sportreporterin verloren gegangen.

… die Eintracht war zum Schluss der ersten Halbzeit wieder mehr bei den Gegnern in der Hälfte. Leider immer noch kein Abschluss. 0:0 Dafür haben die Blauen die Schwalbe als Wappentier, denke ich…

Halbzeitpause. Die letzten Filetsteaks wandern in die Pfanne. Sie werden in von Jens aus Deutschland eingeflogenem Butterschmalz knusprig gebraten und dürfen dann noch im Backofen nachziehen. Derweil brate ich Zwiebel und Karotten an. Jens aktualisiert und aktualisiert. Es kommt der Anpfiff zur zweiten Hälfte.

…Anstoß. Verwirrung. Ach so, sie haben die Seiten getauscht. Ich muss den roten Torwart suchen. Alles klar. Die Eintracht-Fans sind auch verschwunden. Die singen und grölen jetzt und es qualmen rote Feuer und dichter Rauch…

Der Reis wandert auch noch in die Pfanne. Noch etwas würzen, Parmesan darüber reiben. Dann servieren. Jens aktualisiert die Mails und dreht den Gashahn zu.

…heul. 0:1. Erst Faul, lief weiter, dann Tor. Schadeeee…

Das Steak schmeckt trotzdem. Ich habe es auf den Punkt zartrosa gebraten. Auch der Reis schmeckt. Jens und ich sind zuversichtlich, die Eintracht fängt doch immer erst ein Tor, bevor sie dann den Sack zumacht.

…die Schotten haben kernigere Männer. Und schönere Schuhe. Die Eintracht darf jetzt bitte nachlegen…

Wo hat Christine das denn her? Ach so, sie schaut das Spiel auf RTL. Da können wir schon verstehen, dass der Reporter sich um die Schuhe der Spieler kümmert.

…TOOOOOOR!!!!!!!!! Ausgleich…

Wir brüllen, jubeln, das Nebelhorn von Sissi schreit den Ausgeleich über den Nordatlantik. Genau so muss das sein. Wir lecken uns die Lippen ab, das Essen hat gut geschmeckt. Das Spiel schmeckt uns auch. Es fühlt sich an, wie der spannendste Live-Ticker unseres Lebens. Auch unsere Schwester läuft zur Hochform auf.

…zweite gelbe Karte gegen einen Schotten. Die Sau hält den Adler einfach fest. Jetzt sind erst einmal zwei Fans von der Tribüne gefallen und müssen behandelt werden. Die nächste Torchance war schon wieder da. Das Spiel ist so schnell…

Hoffentlich geht es den beiden wieder gut.

…Verlängerung. Ich brauch‘ nen Schnaps…

Ja, Christine, brauchen wir auch. Jens macht sich daran, das Geschirr abzuspülen. Derweil übernehme ich die Aktualisierung unserer Mails.

…diese Energie, knapp 100 Minuten gespielt und schon wieder zwei Konter über den ganzen Platz…

Das Geschirr ist gespült, wir sitzen im Cockpit. Jens aktualisiert wieder die Mail. Es ist so schade, dass das nicht so richtig automatisch geht. Es sind nur noch wenige Minuten zu spielen. Elfmeterschießen. Ich hole schon einmal den Apfelwein aus dem Kühlschrank. Christine schickt eine Mail pro Elfmeter.

…der Computer steht nicht im Wohnzimmer. Ich habe fast so viele Kilometer wie die Spieler…

Einmal abrufen bringt uns tatsächlich zwei Mails. Die ersten sechs Elfmeter gehen rein. Dann kommt plötzlich eine einzelne Mail.

…Trapp hällllllt…

Wir jubeln. Das Gerät hat Verbindungsprobleme. Jens wiederholt. Und wiederholt. Dann kommen drei Mails.

…Treffer versenkt. Vorteil Eintracht…
…Schottland drin…
…Oleeoleeoleeoleeoleeoleoeleoeleoelee…

Yess. Wir klatschen ab. Das Nebelhorn brüllt wieder. Aus dem Radio kommen die Rodgau Monotones, Erbarme, die Hesse komme. Der Apfelwein zischt. Wir spielen die nächste Saison in der Champions League.

33°56‘N 50°17‘W
19:54 Uhr UTC-2

Danke Christine.

Schwachwindsegeln

Erst einmal kann ich verkünden, dass das gesuchte „Ding“ gefunden worden ist. Es ist die Schwimmblase der Portugiesischen Galeere, einer Quallenart, der man nicht zu nahe kommen möchte. Danke Stefan, Du hilfst uns nicht nur beim Wetter weiter.

Die Geschichte geht weiter mit Wind. Mit wenig Wind, wir können aber segeln. Kurz nach Mittag ist so viel Wind vorhanden, dass wir die Segel wieder auspacken können. Wir sind nicht schneller als mit dem Motor, das ist aber Nebensache. Hauptsache ist, der Motor schweigt und wir sparen Diesel. Leider reicht der Wind nicht, die Segel in allen Fällen zu füllen. Wenn uns eine Welle plötzlich nach Lee krängen lässt, fängt es an zu schlagen.

Zunächst ist es zu wenig Wind für den Windpiloten. Der elektrische Autopilot hält stur den Kurs, dafür flattern die Segel manchmal etwas mehr. Das Surren der Hydraulikpumpe unter meiner Matratze klingt wie ein Täuberich in der Balz. Surr, surr, surr. Später können wir auch die Windfahne einkuppeln, die Fahrt wird merklich komfortabler. Herrliche Ruhe herrscht im Boot.

Der Luftdruck fällt konstant alle vier Stunden um einen Punkt. Wir fahren in Richtung eines Tiefdruckgebiets. Vielmehr kommt ein Tief auf uns zu geflogen. Doch der Abend ist lau und trocken. Bei bedecktem Himmel kann ich den Sonnenuntergang nicht sehen. Ich bin müde, strecke mich auf der Bank aus und lasse meine Gedanken fliegen.

Weit fliegen die Gedanken nicht, eine Welle geht quer durch und lässt die Segel knallen. Ich sehe nach dem Kurs, justiere den Windpiloten ein wenig und versuche, mich weiter zu entspannen. Die nächste Welle geht quer durch und lässt Sissi heftig schaukeln. Wieder versuche ich, den Kurs besser einzustellen. Mit der Entspannung ist es nicht viel her. Nach eineinhalb Stunden harter Arbeit bin ich keinen Meter weitergekommen. Es passt einfach nicht. Statt dessen schaut Jens ins Cockpit und fragt, warum es so knallt.

Ich habe die Nase voll. Eigentlich ist es zu viel Wind, um ihn liegen zu lassen. Aber es ist zu wenig Wind, um bei dieser Welle zu segeln. Ich lade noch eine Wettervorhersage herunter, dann mache ich den Motor an. In der Nacht können wir nur mit diesem lauen Wind rechnen.

Irgendwann wache ich auf, höre es unter meinem Kopfkissen wieder deutlich. Gurr, gurr. Als wenn sich eine Taube darunter versteckt hätte. Doch ich weiß, dass es der elektrische Autopilot ist. Der Motor ist verstummt, Jens hat wieder Segel gesetzt. Der Windpilot knarzt, der vorhergesagte Wind ist gekommen. Endlich.

Während ich wieder wegdämmere spricht mein Papagei: „Endlich können wir wieder richtig segeln! Ich freue mich so.“ Ist das ein Traum oder bin ich noch wach? Gurr, gurr, macht es unter meinem Kopfkissen.

14. Etmal: 93,6 nm
Position: 33°27‘N 50°29‘W
Reststrecke: 1027 nm

Windjammer

Es ist Nachmittag, es weht kein Lüftchen. Im Salon ist es laut, der Diesel schraddelt bei 1000 rpm vor sich hin. Im Hintergrund sirrt die Propellerwelle, ihr singendes Geräusch ist im ganzen Boot präsent. Sissi schaukelt in der alten Dünung, die Gläser im Regal klingen im Schaukeltakt. Wir mussten das Großsegel runter nehmen, die Schaukelei ging zu sehr auf das Material. Seit dem schaukelt es noch mehr. Alle paar Minuten kommen größere Wellen durch, dann schaukeln wir heftiger. In den Vorratsschränken klackern dann die Dosen, die hölzerne Inneneinrichtung knarzt und knackt.

Der Himmel ist bedeckt, die Wolkendecke fast komplett. So können wir auch am Nachmittag im Cockpit sitzen, ohne einen Sonnenbrand zu riskieren. Ich schätze, dass wir 4 kn Wind von hinten haben, denn im Cockpit steht immer wieder eine Wolke aus Dieselabgasen, die uns der Wind mit etwas mehr als der Bootsgeschwindigkeit um die Nasen bläst.

Draußen schwimmen immer wieder komische Dinger herum. Zuerst meint Jens, dass ein Frachtschiff einen Container mit Haarklammern verloren haben muss. Doch diese Dinger haben alle die gleiche Farbe. Jens macht ein Foto, als eins ganz Dicht an Sissi vorbei getrieben wird. Es sieht aus der Nähe dann doch nicht wie Plastikmüll aus, sondern als ob es natürlichen Ursprungs wäre. Wir wissen nicht, was das ist, es treiben davon viele Dutzend im Wasser an uns vorbei.

Die ständige und gleichförmige Geräuschkulisse macht müde und wirr im Kopf. Ich überlege, mich eine Stunde hinzulegen, verwerfe den Gedanken aber gleich wieder. Aufgepumpt mit dem guten Morgenkaffee bin ich noch nicht so weit für ein Mittagsschläfchen.

Diesen ganzen Lärm müssen wir etwa 24 bis 30 Stunden ertragen, bevor wir wieder den Wind mit unseren Segeln einfangen können. In der Nacht hatte ich eine Mail an unsere Schwester geschickt, in der ich über den wenigen Wind gestöhnt habe. Heute kam ihre Antwort zurück. Sie weiß nun endlich, was der Begriff „Windjammer“ bedeutet. Danke für das Stichwort, Christine! Wir jammern hier nicht, wir leiden wirklich. Niemand möchte gerne neben einer lauten Maschine schlafen.

Am Nachmittag stürzt Jens aufgeregt in seine Koje und schnappt sich die Kamera. Er hat einen Wal gesehen. Ich unterbreche meinen Job in der Küche und tatsächlich schwimmt ein paar hundert Meter entfernt von uns ein kleiner Wal. Mit dem 50mm Objektiv wird das leider nichts, der Wal taucht ab und Jens sieht ihn eine Viertelstunde später weit achteraus.

Noch nie habe ich den Motor auf einer so langen Strecke so langsam drehen lassen. Normalerweise fährt Sissi bei 1600 Umdrehungen auf glatter See mit 5,5 kn bis 6 kn dahin. Dann braucht der Fünfzylinder aber auch seine 4,5 Liter pro Stunde. Jetzt brummt er mit 1000 Umdrehungen und ich kann den Dieselverbrauch kaum errechnen. Innerhalb von 12 Stunden ist der Pegel von 260 Litern auf 250 Liter gefallen. Letztere waren prima abzulesen, erstere hätten auch 280 Liter sein können. Eine Tankfüllung bei normaler Drehzahl reicht für etwa 350 Meilen. Jetzt sind wir langsamer, kommen aber bestimmt 500 Meilen weit. Möglicherweise sogar weiter, das zeigt sich in den nächsten Flauten.

Offline-Google-Bildersuche ist lustig. Wir schicken eine Email an unsere Schwester, die wiederum versucht, im Internet Informationen zu finden. Das schickt sie uns dann per Email zu. Bisher haben wir kein Ergebnis für die schwimmenden Haarklammern.

In der Nacht höre ich im Cockpit dem Röcheln des Auspuffs zu. Regelmäßig rotzt dieser das Kühlwasser vermischt mit den Abgasen nach draußen. Weiterhin weht kein Lüftchen. Der Himmel ist bedeckt, der Mond versteckt sich hinter Wolkenbändern. Es sieht nach einer Wetteränderung aus. Die Vorhersage verspricht Segelwind ab 6 Uhr morgens. Derweil wundere ich mich über die feuchte Bank im Cockpit. Es hat doch gar nicht geregnet. Dann fällt es mir auf. Seit nunmehr fast drei Jahren habe ich nicht mehr erlebt, dass sich Morgentau bildet. Die Zeit der tropischen Nächte ist vorbei.

Leider ist es nun schon Mittag, der Motor brummt immer noch. Wir haben noch für dreieinhalb Tage Diesel im Tank. Mal sehen, wie weit wir damit kommen. Bis nach Horta reicht er jedenfalls nicht.

13. Etmal: 96 nm
Position: 32°41‘N 51°57‘W
Reststrecke: 1182 nm