Endspurt

Der drittletzte Seetag oder der vorletzte komplette Seetag. Die Nacht war ereignislos, Eike hat noch ein paar Mal die Genua verkleinert. Als ich aufwache, fahren wir noch mit 2,5 kn in Richtung unseres Ziels. Dafür sind wir aber sehr ruhig unterwegs. Die Schräglage bringt uns ganz neue Erfahrungen mit der Küchenspüle. So lange ich Sissi habe, habe ich das Seeventil an der Küchenspüle nie geschlossen. Jetzt sind wir schon fast einen Tag mir ordentlich Schräglage auf dem Steuerbordbug unterwegs und müssen feststellen, dass das Wasser aus dem einen Spülbecken in das andere läuft und sich dabei mit dem Atlantik vermischt, der von unten ebenfalls zum Spülen kommen möchte. Also steuern wir das Schiff ein wenig mehr in den Wind, die Schräglage nimmt ab und das Wasser kann ablaufen. Schnell das Seeventil wieder schließen und alles ist gut.

Gerade brummt der Watermaker unseren Wassertank wieder voll. Wir haben Strom satt, nach dem Abschalten der Gefriertruhe sind unsere Batterien über Nacht auf 100% geladen worden. Das münzen wir jetzt um in Wasser.

Für die Psyche ist es natürlich total doof, dass wir erst einmal komplett an Guadeloupe vorbei fahren müssen, bevor wir den endgültigen Kurs anlegen können. Wir wollen ankommen, es reicht. Aus den geplanten fünf bis sieben Seetagen sind inzwischen acht geworden, zwei stehen uns noch bevor. Das ist halt so. Hätten wir einen Motor, könnten wir den direkten Weg nehmen.

8. Etmal: 88 nm
Entfernung nach Pointe-a-Pitre: 140 nm

Wir haben ein neues Ziel!

Am frühen Nachmittag versuche ich, den Motor wieder in Gang zu bringen. Dazu gehört auch, dass ich versuche, alle Fehlerquellen nach und nach durchzugehen. Ich prüfe, ob genug Diesel im Tank ist. Dabei fällt mir auf, dass in dem Steigrohr, in welchem ich den Pegel ablese, irgendwas Biologisches zu treiben scheint. Ich fluche, vermute Dieselpest. Haben die in Bonaire etwa verseuchten Kraftstoff verkauft? Also fange ich an, die 20 Bolzen, die die Wartungsluke des Dieseltanks verschließen, einen nach dem anderen abzumachen. Das dauert nur eine Stunde. Anschließend kann ich das Saugrohr für den Diesel herausnehmen. Es ist blitzblank, keine Spur von einer Verseuchung. Genau so der Diesel im Tank, der sieht sehr gut aus.

Nachdem ich die Hälfte der Bolzen wieder reingeschraubt habe wird mir klar, dass diese Arbeit auf See vollkommen unnötig ist. Das kann ich auch machen, wenn wir wieder ruhig im Hafen liegen. Ein Hafen ist jetzt auf jeden Fall angesagt, denn ein Mechaniker kommt nicht mit dem Dinghi. Der Jockel muss wieder laufen.

Den Motor begutache ich von allen Seiten. Der Ölstand ist noch genau so, wie ich das Öl bei der Inspektion eingefüllt habe. Also ist er auch nicht verstorben, weil er zu wenig Öl hatte. Das stimmt mich hoffnungsfroh. Mit dem Kühlwasser ist es genauso, alles ist so wie es sein soll. Zumindest habe ich den Motor also nicht verheizt.

Mein Blick fällt zum dritten Mal auf den Diesel-Vorfilter. Der soll doch eigentlich komplett mit Diesel gefüllt sein, ist er aber nicht. Statt dessen ist er voll mit Luft. Mir wird in diesem Moment klar, dass der Motor in jedem Fall ausgegangen wäre, ob das Segel schon oben war oder nicht. Mit Luft läuft der Dieselmotor nicht sehr gut. Die Dieselleitung kommt mir komisch vor, sie scheint porös zu sein. So einiger Ärger in den letzten Wochen mit dem Motor scheint von dieser Fehlerquelle her zu rühren. Leider habe ich nicht genug Dieselleitung auf Lager, um sie auf See zu ersetzen.

Auf jeden Fall müssen wir nun mit dem Strom haushalten, denn wir können nicht mehr einfach so mit der Maschine nachladen. Die Gefriertruhe wird ausgeschaltet. Aus dem letzten Blätterteig mache ich leckere Käsesnacks. Die gefrorene Bolognese wird unser Abendessen. Die vakuumierten Käseblöcke können auch in den Kühlschrank, die hätte man gar nicht einfrieren müssen. Viel war nicht mehr drin. Das Roastbeef wird schon eine Verwendung finden, da habe ich keine Zweifel. Nun haben wir 80 Ah mehr am Tag, damit sollten wir auf jeden Fall auskommen.

Nur – wohin fahren? Ich würde schon gerne die Eisenbahn in St. Kitts sehen. Aber St. Kitts hat nur eine kleine Marina und ich habe keine Ahnung, wie es mit den Reparaturmöglichkeiten dort aussieht. Wir haben 190 Dollar für Covid-Tests ausgegeben, die in St. Kitts mitgebracht werden müssen. Herausgeschmissenes Geld. Dafür sparen wir jede Menge Geld für Diesel, denn unser Tank wird jetzt nicht mehr leerer.

Guadeloupe und Martinique sind die Sehnsuchtsziele der Franzosen in der Karibik und die Franzosen segeln gerne und viel. Eine Inlandsreise von Bordeaux nach Martinique, Guadeloupe und wieder zurück ist bei unseren Nachbarn durchaus an der Tagesordnung. Aus Martinique erinnere ich mich an riesige Marinas und schnappe mir den Revierführer. Eine Marina nach der anderen in Guadeloupe gehe ich durch, darunter die Marina Bas le Fort in Pointe-a-Pitre. Die verspricht alle Gewerke und beste Reparaturmöglichkeiten. Ich schreibe eine Email an Jens. Der soll mir die Email-Adresse besorgen, denn die steht leider nicht im Buch.

Ich werde uns anmelden und um Schlepphilfe bitten. Es ist besser, wenn sie das vorher wissen und nicht per Funkgerät überrascht werden. Eike ist etwas unglücklich damit, wie sich die Situation entwickelt. Die Fahrt nach Guadeloupe ist ein wenig länger. Noch länger wird sie, wenn ich auf die Windvorhersage schaue. Wir müssen einen Riesenzacken bis in Höhe von Domenica fahren. Direkt westwärts von Guadeloupe ist ein windtotes Loch. Da dürfen wir nicht drin hängenbleiben. Dann brauchen wir den richtigen Winkel, um auf die andere Seite der Insel kommen zu können. Insgesamt sind es wohl 60 bis 80 Meilen Umweg, weil wir keinen Motor haben. Das ist fast ein ganzer Tag.

Der Wind frischt auf, noch vor dem Abendessen reffen wir die Genua. Nach dem Abendessen reffen wir noch einmal. Für die Nacht ist sehr viel Wind vorhergesagt. Eike hat sich hingelegt und ich schreibe schon einmal den Blog, der heute 12 Stunden früher erscheint. Wir haben ein neues Ziel! Wir fahren nach Guadeloupe. Ich erwarte, dass wir dort im Laufe des Mittwochs eintreffen werden. Gerade bohrt sich unser Bug wieder und wieder in die Wellen, wir sind immer noch zu schnell. Ich schließe für jetzt und gehe noch etwas reffen.

Gerefft fährt es sich ziemlich gut. Da Eikes Gästekoje diese und die kommende Nacht mehr ein Rodeopferd als ein Schlafplatz sein wird, räumen wir heute Abend noch schnell die Koje von Jens aus. Zum Glück ist da nicht mehr viel Zeug drin gelagert. So hat Eike auf dem Steuerbordbug die einzige Koje an Bord für sich, in der man bequem liegen kann. Ich habe das Gefühl, dass es ihm hilft. Er hat nämlich beim Abendessen zu mir gesagt, dass er vermutlich schon seit einer Woche seekrank ist. Nur das leckere Essen hier hält ihn aufrecht. Ich werde mir weiterhin Mühe geben, brauche aber langsam mal wieder eine Metzgerei und einen Gemüseladen. Außer drei verbliebenen Karotten gibt es keine frischen Lebensmittel mehr an Bord. Doch verhungern werden wir nicht.

Entfernung mit allen Zacken nach Pointe-a-Pitre: 165 nm

Schnell segelt sich Sissi so schön smooth

Der Motor dröhnt, Sissi stampft durch die Wellen. Immer noch ist kein segelbarer Wind zu finden. Eike und ich sind fertig mit der Welt. In der Nacht hatten wir beide nicht viel Schlaf, auch heute bei Tageslicht ist daran nicht zu denken. Es ist heiß im Salon, der Motor heizt in den Tropen wie ein Kaminofen auf einer Skihütte. Eike lässt sich in seiner Koje umher schleudern. Um wenigstens dem Lärm zu entfliehen, stecke ich mir Ohrenstöpsel in die Ohren. Das hilft mir für ein paar Stunden. Ich lege mich noch einmal in meine Koje und lasse mich durch die Gegend werfen. Um kurz vor 16 Uhr ruft mich Eike, der Wind ist wieder da.

Angetan mit Rettungsweste und Sicherheitsgurt klettere ich zum Mast, das Großsegel geht nach oben. Jetzt sehen wir wieder aus wie ein Segelboot. Zurück im Cockpit nehme ich das Gas raus, der Motor geht aus, wir stellen den Kurs ein. Die Genua kommt ebenfalls raus, jetzt machen wir Geschwindigkeit. Noch ein Blick auf die Wettervorhersage, dann fahren wir eine Wende in die Richtung, wo ich den Wind erwarte. In den nächsten Stunden wird sich zeigen, ob meine Ahnung richtig ist.

Eine herrliche Stille ist im Boot und wir fahren auf dem gemütlicheren Backbordbug. Fahren wir auf dem Steuerbordbug, sind Eikes und meine Koje unbequem. Auf dem Backbordbug sind es Leekojen, in die man sich schön hineinkuscheln kann. Eike fragt, wie lange wir auf diesem Bug bleiben und ich kann ihn beruhigen. Wenden werden wir frühestens, wenn er seine Nachtwache beginnt. Möglicherweise auch erst am folgenden Tag. Das letzte Fleisch kommt aus dem Gefrierschrank, wandert durch den Fleischwolf und verwandelt sich in ein leckeres Chili con Carne.

Eike ist so müde, dass er sein Essen kaum herunter bekommt. Das Essen weckt jedoch wieder die Lebensgeister, nun ist er fit genug, um Schlafen zu gehen. Ich muss ihn immer wieder animieren, genug zu trinken. Das ist ein Teufelskreis. Wer in den Tropen nicht genug trinkt, wird ziemlich schnell ziemlich unfit. Irgendwann ist man zu schlapp, um noch an die Flüssigkeitsaufnahme zu denken. So beginnt meine Hälfte der Nacht, der satt schwarze Ozean wird von der schmalen Mondsichel beleuchtet. Um uns herum kann ich immer wieder Blitze vom Himmel zucken sehen. Zum Glück findet das alles weitestgehend im Lee von uns statt, diese Gewitter können uns nicht erreichen. Auf die Seekarte schauend frage ich mich, ob wir die Saba-Bank lieber leewärts oder luvwärts passieren sollen, meine Entscheidung festigt sich. Die Wassertiefe steigt dort von mehreren tausend Metern auf unter 30 Meter an. Luvwärts werden sicherlich ordentliche Wellen stehen. Also müssen wir auf der Leeseite vorbei
. Also
werden wir die Wende fahren, wenn Eike zu seiner Wache antritt.

Wir machen ein gutes Tempo. Mit vier bis fünf Knoten zischen wir durch die See. Herrlich. Ich bin auch gar nicht mehr müde, über diesen Punkt bin ich hinweg. Ich genieße die Zeit alleine im Cockpit, alleine mit dem Mond, mit den Sternen und…. es zappelt plötzlich an meinen Füßen und wird glitschig. Ein fliegender Fisch hat sich unfreiwillig zu mir gesellt. Mit den Händen kann ich das glitschige Tier, das um sein Leben kämpft, nicht einfangen. Erst mit dem Kehrblech kann ich den kleinen Kerl wieder ins Wasser beförden. Ich hoffe, es hat für ihn noch gereicht. Die nächste Gewitterwolke ist wohl für uns gedacht, ich sehe ein schwarzes Loch inmitten der leuchtenden Sterne. Natürlich gilt da für mich das St.-Florians-Prinzip. Lass‘ es nicht auf meiner Wache herunter krachen, lass‘ es bitte bei Eike regnen.

Gemeinsam fahren wir die Wende, dann ist es Zeit für meinen Nachtschlaf. Der ist wirklich erholsam. Ich höre nicht, wie Eike sich das Chili noch einmal aufwärmt. Ich höre nicht, wie er das Geschirr wegspült. Ich höre nicht, dass Sissi zwei- oder dreimal in den Wind dreht und die Genua flattert. Ich höre das Gewitter nicht, dass uns endlich erreicht. Eike bekommt alles geregelt und muss mich nicht zum Helfen rufen. So langsam wachsen ihm Seebeine. Dass Segeln so anstrengend ist, hätte er vorher nicht geglaubt. Die Entscheidung, leeseitig an der Saba-Bank vorbeizufahren, war eine gute Entscheidung. Als ich am Morgen aufstehe, sehe ich auf dem Bordcomputer, dass wir gut Strecke gemacht haben. Jetzt sind es nur noch ca. 80 Meilen bis Basseterre, der Hauptstadt von St. Kitts. Da sind dann schon die Zacken mit eingepreist, die wir noch fahren müssen. Somit wird unsere Ankunft irgendwann zwischen Mitternacht und Montagmorgen sein. Zwei Tage später als von mir erwartet, doc
h das
ist Segeln.

Der Motor ist wieder abgekühlt, wir haben keinen Kachelofen mehr im Salon. Jetzt müssen wir ihn nur wieder zum Laufen bekommen. Ich habe absolut keine Ahnung, warum er ausgegangen ist. Normalerweise geht er nicht aus, wenn man das Gas wegnimmt, sondern er pockert im Leerlauf vor sich hin. Das gefällt mir nicht, ich kann es aber nicht ändern. Es fehlt ihm an nichts. Er hat genug Öl, Kühlwasser und Diesel, das habe ich gerade geprüft. Der Luftfilter ist neu. Falls er nicht mehr startet, werden wir Plan B aktivieren müssen. Im Moment bin ich aber zufrieden, das Segeln ist gut und die Geschwindigkeit ebenso.

7. Etmal: 82 nm
Entfernung nach St. Kitts: 50 nm