Am frühen Nachmittag versuche ich, den Motor wieder in Gang zu bringen. Dazu gehört auch, dass ich versuche, alle Fehlerquellen nach und nach durchzugehen. Ich prüfe, ob genug Diesel im Tank ist. Dabei fällt mir auf, dass in dem Steigrohr, in welchem ich den Pegel ablese, irgendwas Biologisches zu treiben scheint. Ich fluche, vermute Dieselpest. Haben die in Bonaire etwa verseuchten Kraftstoff verkauft? Also fange ich an, die 20 Bolzen, die die Wartungsluke des Dieseltanks verschließen, einen nach dem anderen abzumachen. Das dauert nur eine Stunde. Anschließend kann ich das Saugrohr für den Diesel herausnehmen. Es ist blitzblank, keine Spur von einer Verseuchung. Genau so der Diesel im Tank, der sieht sehr gut aus.
Nachdem ich die Hälfte der Bolzen wieder reingeschraubt habe wird mir klar, dass diese Arbeit auf See vollkommen unnötig ist. Das kann ich auch machen, wenn wir wieder ruhig im Hafen liegen. Ein Hafen ist jetzt auf jeden Fall angesagt, denn ein Mechaniker kommt nicht mit dem Dinghi. Der Jockel muss wieder laufen.
Den Motor begutache ich von allen Seiten. Der Ölstand ist noch genau so, wie ich das Öl bei der Inspektion eingefüllt habe. Also ist er auch nicht verstorben, weil er zu wenig Öl hatte. Das stimmt mich hoffnungsfroh. Mit dem Kühlwasser ist es genauso, alles ist so wie es sein soll. Zumindest habe ich den Motor also nicht verheizt.
Mein Blick fällt zum dritten Mal auf den Diesel-Vorfilter. Der soll doch eigentlich komplett mit Diesel gefüllt sein, ist er aber nicht. Statt dessen ist er voll mit Luft. Mir wird in diesem Moment klar, dass der Motor in jedem Fall ausgegangen wäre, ob das Segel schon oben war oder nicht. Mit Luft läuft der Dieselmotor nicht sehr gut. Die Dieselleitung kommt mir komisch vor, sie scheint porös zu sein. So einiger Ärger in den letzten Wochen mit dem Motor scheint von dieser Fehlerquelle her zu rühren. Leider habe ich nicht genug Dieselleitung auf Lager, um sie auf See zu ersetzen.
Auf jeden Fall müssen wir nun mit dem Strom haushalten, denn wir können nicht mehr einfach so mit der Maschine nachladen. Die Gefriertruhe wird ausgeschaltet. Aus dem letzten Blätterteig mache ich leckere Käsesnacks. Die gefrorene Bolognese wird unser Abendessen. Die vakuumierten Käseblöcke können auch in den Kühlschrank, die hätte man gar nicht einfrieren müssen. Viel war nicht mehr drin. Das Roastbeef wird schon eine Verwendung finden, da habe ich keine Zweifel. Nun haben wir 80 Ah mehr am Tag, damit sollten wir auf jeden Fall auskommen.
Nur – wohin fahren? Ich würde schon gerne die Eisenbahn in St. Kitts sehen. Aber St. Kitts hat nur eine kleine Marina und ich habe keine Ahnung, wie es mit den Reparaturmöglichkeiten dort aussieht. Wir haben 190 Dollar für Covid-Tests ausgegeben, die in St. Kitts mitgebracht werden müssen. Herausgeschmissenes Geld. Dafür sparen wir jede Menge Geld für Diesel, denn unser Tank wird jetzt nicht mehr leerer.
Guadeloupe und Martinique sind die Sehnsuchtsziele der Franzosen in der Karibik und die Franzosen segeln gerne und viel. Eine Inlandsreise von Bordeaux nach Martinique, Guadeloupe und wieder zurück ist bei unseren Nachbarn durchaus an der Tagesordnung. Aus Martinique erinnere ich mich an riesige Marinas und schnappe mir den Revierführer. Eine Marina nach der anderen in Guadeloupe gehe ich durch, darunter die Marina Bas le Fort in Pointe-a-Pitre. Die verspricht alle Gewerke und beste Reparaturmöglichkeiten. Ich schreibe eine Email an Jens. Der soll mir die Email-Adresse besorgen, denn die steht leider nicht im Buch.
Ich werde uns anmelden und um Schlepphilfe bitten. Es ist besser, wenn sie das vorher wissen und nicht per Funkgerät überrascht werden. Eike ist etwas unglücklich damit, wie sich die Situation entwickelt. Die Fahrt nach Guadeloupe ist ein wenig länger. Noch länger wird sie, wenn ich auf die Windvorhersage schaue. Wir müssen einen Riesenzacken bis in Höhe von Domenica fahren. Direkt westwärts von Guadeloupe ist ein windtotes Loch. Da dürfen wir nicht drin hängenbleiben. Dann brauchen wir den richtigen Winkel, um auf die andere Seite der Insel kommen zu können. Insgesamt sind es wohl 60 bis 80 Meilen Umweg, weil wir keinen Motor haben. Das ist fast ein ganzer Tag.
Der Wind frischt auf, noch vor dem Abendessen reffen wir die Genua. Nach dem Abendessen reffen wir noch einmal. Für die Nacht ist sehr viel Wind vorhergesagt. Eike hat sich hingelegt und ich schreibe schon einmal den Blog, der heute 12 Stunden früher erscheint. Wir haben ein neues Ziel! Wir fahren nach Guadeloupe. Ich erwarte, dass wir dort im Laufe des Mittwochs eintreffen werden. Gerade bohrt sich unser Bug wieder und wieder in die Wellen, wir sind immer noch zu schnell. Ich schließe für jetzt und gehe noch etwas reffen.
Gerefft fährt es sich ziemlich gut. Da Eikes Gästekoje diese und die kommende Nacht mehr ein Rodeopferd als ein Schlafplatz sein wird, räumen wir heute Abend noch schnell die Koje von Jens aus. Zum Glück ist da nicht mehr viel Zeug drin gelagert. So hat Eike auf dem Steuerbordbug die einzige Koje an Bord für sich, in der man bequem liegen kann. Ich habe das Gefühl, dass es ihm hilft. Er hat nämlich beim Abendessen zu mir gesagt, dass er vermutlich schon seit einer Woche seekrank ist. Nur das leckere Essen hier hält ihn aufrecht. Ich werde mir weiterhin Mühe geben, brauche aber langsam mal wieder eine Metzgerei und einen Gemüseladen. Außer drei verbliebenen Karotten gibt es keine frischen Lebensmittel mehr an Bord. Doch verhungern werden wir nicht.
Entfernung mit allen Zacken nach Pointe-a-Pitre: 165 nm