Wetterfreude

Wir kennen das alle. Die Wettervorhersage lügt. Da wird uns schönster Sonnenschein angekündigt und wir spazieren im Regen. Das ist auf See nicht anders wie an Land. Eigentlich ist es einfacher, das Seewetter vorherzusagen, andererseits auch wieder nicht. An Land sind es die Mittelgebirge, die Einfluss auf das Wetter nehmen, auf See sind es weit entfernte Tiefdruckgebiete, deren Auswirkungen auch noch tausend Meilen oder mehr spürbar sind.

Der Motor brummt, der Tank ist noch fast voll. Ein wenig Diesel haben wir seit Bonaire verbraucht, um Strom zu machen und uns von der Insel zu entfernen. Ansonsten ist in Sachen Diesel alles im grünen Bereich. Ich habe ausgerechnet, dass wir mit dem Sprit nach St. Kitts kommen, wenn wir ca. 3,5 kn fahren können. Das ist kein Problem, wir fahren beinahe 4 kn. Die See ist ruhig, die Fahne weht lediglich in unserem Fahrtwind. Ich lade eine neue Wettervorhersage runter, irgendwo muss doch Wind sein. Das Orakel sagt mir, dass im Laufe des Nachmittags wieder Wind aufkommen soll, den wir sogar nutzen können. Also spielen wir ein paar Partien Schach, zwischendrin gehe ich immer wieder ins Cockpit und suche den Wind.

Um uns herum ist es Grau in Grau. Sissi taumelt durch die alte Dünung, während wir in mehr oder minder großer Entfernung Regenschauer und Gewitterzellen sich entladen sehen. Ein Blitz schlägt in der Nähe ins Wasser, der Donnerhall ist ohne Verzögerung in unseren Ohren. Ich muss an Samai denken, die vom Blitz getroffen wurde. Wie mag es ihnen gehen? Sind sie schon in Barbados angekommen? Und ich denke an die beiden Festplatten im Backofen, die ich nicht vergessen darf. Irgendwann ist der Wind wieder da, Sissi fährt nun genauso unter Segel schneller als mit dem Motor. Wir rollen die Genua wieder aus, justieren den Windpiloten und endlich hält der Motor seinen Mund. Herrlich. Sissi gleitet lautlos über die Wogen und wir fühlen uns wohl.

Das Wohlfühlgefühl hält genau 20 Minuten an. Dann schlagen die Segel wieder und wir treiben mit eineinhalb Knoten rückwärts. Eine Viertelstunde hoffen wir noch auf Wind, dann brüllt der Mercedes wieder aus dem Keller. „Zen oder die Kunst, ohne Wind zu segeln“. Die Japaner trinken aus einer leeren Tasse ihren Tee. Das ist uns leider nicht vergönnt. Innerhalb der nächsten Stunden machen wir den Motor noch dreimal aus und dann wieder an. Anschließend bin ich genervt. Wo ist denn der Wind, der uns eigentlich antreiben soll? Das Wetterfenster scheint nicht nur geschlossen, es ist auch verrammelt und verriegelt. Der Realitätssinn gewinnt die Oberhand. Innerhalb der nächsten beiden Tage werden wir nur sehr wenig Wind haben, der noch dazu genau aus Richtung St. Kitt kommen wird. Ich entscheide, das Großsegel ebenfalls herunter zu nehmen, denn es behindert durch seinen Luftwiderstand bei Motorfahrt das Vorankommen. Als Nebeneffekt stabilisiert es zwar die Fuhre, doch wir k
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auch ohne.

Naja. Jetzt tanzt Sissi wieder ihren Pogo, wir sind aber bei gleicher Drehzahl einen halben Knoten schneller. Eike ist begeistert, dass ich trotz Schleudergang ein ordentlich leckeres Abendessen auf den Tisch zaubern kann. Gelernt ist eben gelernt. Anschließend verschwindet er in seiner Koje und versucht, ein paar Mützen voll Schlaf zu bekommen. Ich döse auf der Saloncouch vor mich hin, als gegen 22 Uhr plötzlich der Wind in der Takelage zu pfeifen beginnt. Haben wir das Großsegel etwa zu früh herunter genommen? Ich überlege, Eike zu wecken und die Segel wieder zu setzen, checke das aber noch einmal mit der Vorhersage. Das ist der Wind von heute Nachmittag, der sich ein paar Stunden verspätet hat. Ich entscheide, das auf den kommenden Tag zu verschieben. Wenn der Wind am Morgen noch da ist, werden wir wieder segeln.

Der Wind wird stärker. Die Wellen ebenfalls. Jetzt möchte niemand mehr an den Mast, um das Großsegel wieder zu setzen. Während ich mich auf die Saloncouch klemme, höre ich ein leises Stöhnen aus der Vorschifsskoje. Ich kann mir vorstellen, das Eike nun schon wieder eine durchwachte Nacht haben wird. Das AIS ist leer, das Radar zeigt keine Regenzellen mehr an. Mit eineinhalb Knoten Fahrt kämpft sich Sissi durch die Nacht. Immer wieder schlagen wir vor den Wellen quer, der Autopilot meckert und findet doch immer wieder seinen Kurs.

Schleudergang. Klack. Klack. Eine Flasche Olivenöl in der Vorratslast tanzt alleine in ihrem Fach. Ich verbiete ihr das Tanzen. Die Brotbackform scheppert in der Lasagneform. Ein Geschirrtuch bereitet dem ein Ende. Pock pock. Tief im Salontisch machen die Dosen mit dem Fruchtsaft eine Polonäse. Kling kling. Die Getränkegläser wollen ebenfalls eine Streicheleinheit. Krach Bong Bäng. Ich finde die Ursache zunächst nicht. Ich hole mir ein Kissen aus meiner Koje. Auf dem Weg kracht es noch einmal und ich finde mich auf dem Fußboden wieder. Die Flasche mit dem Motoröl für den Außenborder hat ihren Deckel verloren, das Öl verteilt sich über den Fußboden. Ich fluche und brauche eine halbe Rolle Küchenpapier, um die Sauerei wieder wegzumachen. Wer ohne blaue Flecken an Land geht ist nicht gesegelt.

Als ich Eike gegen halb Drei wecke, ist er innerhalb von 30 Sekunden auf den Beinen. Er hat nicht geschlafen und fragt, ob der sein Lager nicht auf dem Salonfußboden aufschlagen kann. Klar kann er das. Auf See gilt immer, dass man sich zuerst um das Schiff, dann um die Crew und dann um den ganzen anderen Rest kümmert. Solange er wenigstens alle halbe Stunde aufwacht und sich um das Schiff kümmert, darf er in der Zwischenzeit auch gerne auf dem Fußboden schlafen. Ich warte noch bis vier Uhr morgens, dann weiß ich, dass er ein inniges Verhältnis mit seinem Wecker hat und seine Pflichten wahrnimmt.

Während ich wegdämmere kommt es mir vor, als würde sich das Wasser beruhigen. So ist es auch. Am Morgen ist der Wind wieder komplett weg, nur die eiserne Genua zieht uns in Richtung unseres Ziels. Wir werden ankommen, wir werden aber unterwegs noch tanken müssen. Wir werden ein paar der Reservekanister in den Tank füllen, dann reicht der Diesel auch bis St. Kitts. Ich will nicht orakeln, doch ordentlich Wind aus der falschen Richtung ist mir lieber als gar kein Wind.

6. Etmal: 54 nm
Entfernung nach St. Kitts: 101 nm

Rock’n’Roll

Es zahlt sich aus, wenn man sich bei der Abreise nach dem Wetterfenster richtet. Die letzten Tage hatten Eike und ich sehr angenehmes Segeln. Wir hätten mit mehr Wind kaum mehr Strecke zurücklegen können, da wir immer gegen die Strömung und die Wellen angesegelt sind. Die Höchstgeschwindigkeit wird dann weniger durch den Wind, als vielmehr durch die Wellen bestimmt. Bei unserem Abendessen schlagen plötzlich die Segel. Der Wind ist weg. Komplett.

Nach einigen Minuten ist der Wind wieder da, die Richtung hat sich geändert. Wir nutzen das, nehmen die Genua auf die andere Seite und ändern die Richtung ebenfalls. Nun fahren wir fast einen Ostkurs, das ist klasse. Im Geiste höre ich das Wetterfenster zuknallen, als eine Windbö einfällt und Sissi auf die Seite drückt. Statt drei bis vier Windstärken sind es plötzlich bis zu sechs Windstärken, die auf Sissi einfallen. Die Genua wird gerefft, im Großsegel ist sowieson schon ein Reff drin. Sissi läuft wieder geradeaus und mit bis zu fünf Knoten sogar richtig schnell. Immer wieder werden wir gebremst, wenn sich der Bug in eine Welle bohrt. Ich reffe so lange weiter, bis der Kompromiss zwischen Geschwindigkeit und Geschmeidigkeit beim Segeln wieder hergestellt ist.

Wenn wir auf dem Steuerbord-Bug sind, sind sowohl Eikes als auch meine Koje reichlich unkomfortabel. Ich falle immer unter ein Regal, Eike fällt einfach raus. Wenn es blöd kommt. Ich kann unter dem Regal alles mit Kissen ausstopfen, Eike kann das nicht. Er bekommt nicht viel Schlaf, während Sissi ein Rodeo auf den Wellen reitet.

Auf meiner Wache habe ich alle Hände voll zu tun. Das Problem ist nicht die Menge Wind an und für sich, das Problem ist die Böigkeit. Rings um uns herum sehen wir Gewitter. Blitze zucken vom Himmel. Ich kurbele das Radar an und will sehen, ob wir in schlimmes Wetter hineinfahren. Glücklicherweise sind die Gewitter entweder schon hinter uns oder weit genug weg. Auch ich kann nach dem Wachwechsel nicht richtig schlafen. An den Rock’n’Roll bin ich nicht mehr gewöhnt. Als ich endlich eingeschlafen bin weckt mich Eike, weil die Windrichtung sich wieder geändert hat und eine Wende fällig ist. Was würde ich für eine Stunde ununterbrochenen Schlaf geben.

Wir sind beide todmüde von der Nacht. Weder Eike noch ich konnten nennenswert Schlaf finden. Das sind die Freuden des Segelns, mir sind sie schon bekannt, für Eike sind sie neu. Der alte Spruch gilt immer noch: „Segeln ist die unkomfortableste Art, langsam zu reisen.“ Irgendwie werden wir das schon schaukeln, wenn nicht übernimmt Sissi den Schaukeljob.

Wenige Minuten nach der Wende schläft der Wind ein. Wir treiben wieder mit eineinhalb Knoten westwärts. Auch ein Regentanz, Flüche und eine Kanne Kaffee können daran nichts ändern. Ich bin kein Profi, vielleicht können Profis ohne Wind segeln. Ich kann es nicht. Zähne knirschend kurbeln wir die eiserne Genua an. St. Kitts ist inzwischen in Motorreichweite. So können wir wenigstens direkten Kurs nehmen. Um uns herum nur Regenwolken, die Oberfläche des Ozeans kräuselt sich kein Bisschen. Nur alte Dünung lässt Sissi hin und her schaukeln, das Großsegel dient heute Vormittag lediglich der Stabilisierung der Fuhre. Auf dem Radar ist keine Besserung in Sicht, überall sind Regenzellen um uns herum. An den leuchtenden Farben können wir sehen, dass es sich um sehr viel Regen handelt.

5. Etmal: 85 nm
Entfernung nach St. Kitts: 150 nm

Brot und Spiele

Seit gestern ist unser Brot aufgegessen. Das ist ja mit einem Bäcker an Bord kein Problem, er kann jederzeit wieder ein neues Brot backen. Der Bäcker ist aber nur einigermaßen seefest. Richtig seekrank ist Eike nicht mehr geworden, doch manchmal wird es ihm immer noch ein wenig mulmig. Also muss der Skipper ran. Das hat den kleinen Vorteil, dass wir schneller zu einem Brot kommen. Eike macht einen Vorteig, den er lange gehen lässt, dann am nächsten Tag den richtigen Teig. Den lässt er auch noch lange gehen und heraus kommt das perfekte Brot. Mein Brot ist in drei bis vier Stunden fertig. Ich bin echt gespannt, wie es sich schlägt. Eike möchte von mir ein Zwiebelbrot. Mache ich doch gerne. Ich freue mich echt auf die professionelle Beurteilung des Brotes, das Jens und mich um die halbe Welt begleitet hat.

Wir spielen ein paar Runden Schach, bis Eike der Meinung ist, dass es reicht. Irgendwie müssen wir die heißen Stunden des Tages verbringen. Unser Wachrhythmus ist genau so wie mit Jens und mir. Nach dem Abendessen geht Eike gegen 20 Uhr ins Bett und versucht, in der Zeit bis drei Uhr morgens so viel Schlaf wie möglich zu bekommen. Dann ist Wachablösung und ich kann bis um zehn Uhr morgens schlafen. Anschließend schläft Eike meist zwei bis drei Stunden. Dann kommt unsere gemeinsame Zeit, die wir uns mit Spielen, Gesprächen und Filmen so angenehm wie möglich zu machen. Mein Brot landet im Ofen.

Im Cockpit fallen mir heute zwei Dinge auf. Einerseits, dass ich seglerisch manchmal wirklich ein Vollidiot bin. Während ich nach oben sehe und das Großsegel betrachte, muss ich mir mit der Hand auf die Stirn klatschen. Jetzt ist mir klar, warum das Segel nicht vernünftig im Wind steht. Ich habe vergesssen, beim Anschlagen des Segels die Segellatten in ihre Taschen zu stecken. Doof, aber für diese Überfahrt nicht mehr zu ändern. Andererseits fällt mir auf, dass wir Gefahr laufen, unseren Windgenerator zu verlieren. Der sorgt inzwischen für 65% der elektrischen Energie, er sorgt auch dafür, dass wir den Motor nicht mehr als Stromerzeuger laufen lassen müssen. Eine der beiden Schrauben fehlt, die andere ist schon fast herausgefallen. Der in Aruba gekaufte Schraubenkleber taugt wohl nichts. Ich grabe nach Ersatzschrauben, einem Schraubenschlüssel und der Tube mit dem Schraubenkleber aus Spanien. Der hat immer gehalten. Dann klettere ich auf den Geräteträger und mach
e den
Generator wieder richtig fest. Eike filmt mich dabei begeistert.

Das Brot ist fertig und auf Esstemperatur abgekühlt. Ich schneide die ersten Scheiben ab, das Brotmesser frisst sich knackend durch die Kruste. Es hört sich gut an, es fühlt sich gut an. Mir fällt auf, dass die Krume von Eikes Brot viel feiner und gleichmäßiger ist. Das noch warme Brot wird mit Butter bestrichen und mit ein wenig Salz bestreut. Die beste Art, ein frisches Zwiebelbrot zu genießen. Ich reiche Eike das Brot. Er beißt hinein, kaut und sagt erst einmal nichts. Noch nie war ich so gespannt, wie mein Brot beurteilt werden würde. Eike erklärt mir, dass seine Krume so viel feiner ist, weil er seinen Teig knetet und streichelt, ich meinen Teig hingegen schlage. Der Bordbackofen reißt es aber wieder raus. Er hat viel weniger hohe Temperatur, als der professionelle Ofen in der Backstube. Deswegen trocknet er Eikes Brot aus. Mein Teig enthält viel mehr Wasser, so dass die Trocknung des Brotes im Ofen ein ziemlich gutes Ergebnis bringt. Ich bin saumäßig stolz
, als
Eike mir erklärt, dass mein Brot besser schmecken würde. Wow!

Um ein Uhr morgens schaue ich auf den Bordcomputer und messe die Luftlinie nach Bonaire und nach St. Kitts. In beide Richtungen sind es genau 238 Seemeilen. Ich bereite eine kleine Playlist für die Wachablösung vor, um mit Eike das Bergfest zu feiern. Nach dem Wecken lasse ich ihm noch ein paar Minuten Zeit, dann starte ich die Wiedergabe – durchaus mit angemessener Lautstärke (nicht Leisestärke). Das kommt nicht gut an. Eike ist noch zu müde, um sich an Partymusik zu erfreuen. Nach einer angemessenen Wartezeit stoßen wir trotzdem mit einem Bier an, anschließend falle ich müde in meine Koje.

Am Morgen stelle ich fest, dass wir immer noch ein Plus bei der Strombilanz haben, obwohl diese Nacht zum ersten Mal alle Geräte und insbesondere beide Kühlschränke komplett durchgelaufen sind. Wir sind in jeder Hinsicht über den Berg. Der Wind ist gut, wir fahren zwar langsam aber auf einem guten Kurs. Noch ein paar Spiele auf dem Schachbrett und dann werden wir hoffentlich bald die über 1000 Meter hohen Gipfel von St. Kitts sehen.

4. Etmal: 84 nm
Entfernung nach St. Kitts: 198 nm