Atlantik Tag 7 – Fish and chips and Muskelschmerzen

Die Windvorhersage für die kommenden Tage ist nicht wirklich berauschend. Wir versuchen, auf unserem Weg nach Mindelo so viel Strecke unter Segel zu machen, wie es möglich ist, bevor der Wind stark nachlassen wird. Der Nachmittag verläuft ohne weitere Schäden am Material, wir entspannen uns. Und wir beginnen zu spinnen. Als ob Mindelo nicht noch knapp 200 Meilen von uns entfernt liegen würde, sprechen wir über Landausflüge, Sightseeing und die Mahlzeiten, die wir einkaufen wollen. Trotz der eher rolligen See gelingt es uns allen, eine kalte Dusche zu nehmen. Erfrischend!

Jens angelt ein schönes Stück Fleisch aus dem Kühlschrank. Das wird zu Gulasch geschnitten. Dazu verarbeitet er all das Gemüse, das sich noch verarbeiten lässt. Jetzt sind wir ohne frische Ware. Die Sachen waren nach einer Woche auf See teilweise in grenzwertigem Zustand. Wir mussten insgesamt jedoch nur sehr wenig wegwerfen. Im Abendprogramm zeige ich die Rohfassung eines kleinen Films, den ich derzeit über unsere Passage nach Sao Vicente am schneiden bin. Danach schauen wir noch einen Film aus der bordeignen Videothek.

Jakob und ich baumen noch die Genua aus, bevor er sich ins Bett legt. Der Wind lässt langsam nach, fünf Stunden früher, als die Vorhersage versprochen hat. Während ich mit dem Baum hantiere, fällt mein Blick auf das Vordeck. Kaum zu glauben, wir haben einen Fisch gefangen! Unser erster fliegender Fisch liegt dort und wartet darauf, mit dem Stinken anfangen zu können. Die fliegenden Fische verwesen sehr schnell, besonders wenn die Sonne scheint. Ab sofort müssen wir Sissi regelmäßig auf fliegende Fische kontrollieren. Als ob wir nicht schon genug zu kontrollieren hätten. Ich hole mir eine Tüte Chips.

Während ich in den Schlaf gerollt werde, bemerke ich jeden Muskel an meinen Armen, an meinem Oberkörper, selbst in den Fingern. Es schmerzt. Seit einer Woche bin ich damit beschäftigt, mich immer irgendwo festzuhalten. Oder ich drehe eine Winschkurbel. Oder ich halte mich irgendwo fest, während ich eine Winschkurbel drehe. Das strengt an. Jahrzehnte der Vernachlässigung meiner Muskeln als Mausschubser an meinem Schreibtisch machen sich bemerkbar. Jens und Jakob haben diese Probleme nicht. Jens ist viel in Kletterhallen unterwegs gewesen, Jakob ist einfach nur jung. In dieser Situation fühle ich mich richtig, richtig alt.

Der folgende Tag begrüßt uns mit Sonnenschein. Wir haben keine neuen Defekte an Bord. Einen solchen 23. Dezember hatte ich noch nie in meinem Leben. Im Schiff sind es angenehme 24°C, draußen bläst eine erfrischende Brise. Wir sehen immer wieder mal einen Schwarm fliegender Fische vorbei ziehen und am Horizont das Segel eines anderen Segelboots. Das Leben ist schön.

7. Etmal: 117 nm
Position um 12 Uhr: N17°50′ W23°55′
Noch 79 Seemeilen nach Sao Vicente (Mindelo). Noch 2081 Seemeilen bis nach Barbados. Die gesamte zurückgelegte Strecke sind nun 827 Meilen.

Aua, aua. Muskelkater und blaue Flecken. Das hat mir vorher keiner gesagt.

Nur noch 80 Meilen bis Mindelo

Atlantik Tag 6 – Auf und ab und hin und her

Auf und ab. Zum Segeln braucht man Wind und Wind macht Wellen. Das ist trivial. Wir befinden uns nicht auf dem Ijsselmeer oder der Ostsee, wir befahren den Atlantik. Auf dem Ijsselmeer oder der Ostsee ist es einfach. Wenn der Wind da ist, sind auch die Wellen da. Wenn kein Wind da ist, beruhigt sich das Wasser schnell und die Wellen sind wieder weg. Das hat etwas mit der Wassertiefe zu tun und mit der Strecke, die der Wind über das Wasser blasen kann. Wenn das Wasser ein paar tausend Meter tief ist und der Wind in jeder Richtung mehrere hundert oder gar tausend Meilen Anlauf hat, dann sind die Wellen nicht sofort weg. Sie werden schwächer, bleiben aber da. Das nennt man Dünung – oder alte Dünung. Ein Sturm bei Island kann dafür sorgen, dass hier, 300 Meilen nördlich der Kapverden, immer noch mehrere Meter hohe Wellen stehen. Jetzt kommt aber noch der hiesige Wind dazu, der auch Wellen verursacht. Die sind nicht so hoch, kommen aber aus einer anderen Richtung.

Auf und ab. Wir fahren also auf der alten Dünung auf und ab, dabei schubsen uns die neuen Wellen des hiesigen Windes auch nochmal auf und ab. Immer wieder auf und ab. Manchmal laufen sie quer unter Sissi durch, dann geht es hin und her. Es schaukelt. Auf und ab und hin und her. Immer wieder. Jede Minute, jede Stunde, den ganzen Tag. Sissi tanzt in den Wellen.

Auf und ab. Wir leben damit in unserer schwimmenden Wohnung mit Meerblick. Essen, Trinken, Kochen, Backen, Spülen, Putzen, Duschen, Schlafen, Handwerken und gelegentlich nach anderen Schiffen schauen, die Segelstellung kontrollieren und den Kurs überwachen. Aber in der Hauptsache eben das, was Menschen in ihrer Wohnung an Land auch machen. Die Wohnung an Land schüttelt sich allerdings nicht so sehr, dass der Mensch vom Herd auf die Wohnzimmercouch geworfen wird. Wir haben uns das so ausgesucht. Auf und ab und hin und her. Sissi schunkelt karnevalesk.

Jens, Jakob und ich haben entschieden, dass wir etwa von Heiligabend bis Silvester einen Zwischenstopp auf Sao Vicente in Mindelo machen wollen. Die Großwetterlage sieht so aus, dass es ab Heiligabend kaum noch Wind hier in der Gegend geben wird. Auf der einen Seite ist es schade, denn wir wären gerne früher in der Karibik gewesen. Auf der anderen Seite sehen wir die Chancen. Vielleicht bekommen wir doch ein neues Spifall. Und keiner von uns war bisher auf den Kapverden, also können wir noch etwas Sightseeing einschieben. Dann wäre da noch die Versorgung mit frischem Fleisch, Obst und Gemüse. Hier wäre durchaus noch die Möglichkeit, an der einen oder anderen Stelle unsere Vorräte wieder aufzustocken. Sissi tanzt den Wiener Walzer.

Wir sehen eine Schildkröte in Richtung Kapverden schwimmen. Was macht die denn so weit draußen? Wo kommt sie her? Ein paar Stunden später sehen wir noch eine Schildkröte, die ist in derselben Richtung unterwegs. Auch ein paar Delphine können wir sehen, sie springen ca. 200 Meter hinter Sissi aus dem Wasser. Es geht hin und her, auf und ab. Sissi tanzt den Tango.

Bis dahin gleiten wir über die Wellen. Immer auf und ab. Und wir werden von den Wellen hin und hergeschubst. Die Stimmung an Bord ist entspannt. Wir fühlen uns wohl. Wir bemerken nur noch die größeren Störungen im Wellenbild, die normalen Wellen spüren wir gar nicht mehr. Das wird an Land lustig werden, besonders bei der ersten Dusche. Die geht dann nämlich auf und ab und hin und her. Zur Nachtruhe tanzt Sissi den Pogo. Jens und ich keilen uns mit Hilfe der Sitzkissen aus dem Salon in unseren Betten ein.

Auf und Ab. Hin und her. Am Morgen findet die fast schon obligatorische Reparatur statt. Die Windfahne steuert nicht mehr richtig, Sissi sucht ihren Kurs nach Lust und Laune. Diesmal ist an der Windfahne eine Schraube gebrochen. Wahrscheinlich eine Spätfolge der verloreren Schraube auf dem Weg nach Lanzarote. Mit Hilfe von Gehirnschmalz, dem Dremel und den Schrauben, die wir im Optimus Baumarkt in Arrecife gekauft haben, können wir das Problem beheben. Wir sind weiterhin zügig unterwegs. Die Wellen ändern sich nicht. Sissi tanzt Rock’n’Roll.000

6. Etmal: 127 nm
Position um 12 Uhr: N19°24′ W22°44′
Noch 192 Seemeilen nach Sao Vicente (Mindelo). Noch 2149 Seemeilen bis nach Barbados. Die gesamte zurückgelegte Strecke sind nun 710 Meilen.

4. Advent auf dem Atlantik

Atlantik Tag 5 – Hell, Dunkel, Halse, Schraube und die Furlex

Ein Tag auf dem Atlantik hat eine helle und eine dunkle Hälfte. Ohne Fernsehen, ohne Radio und ohne Internet, ohne Straßenbeleuchtung in der Nacht, ohne Verkehrslärm, ohne Nachrichten und ohne Zeitung. Bordroutine hat sich eingestellt, wie immer auf den langen Seepassagen. Nur ist diese Seepassage jetzt schon länger, als die längste, die wir bisher hatten – nicht in Meilen, aber in Tagen. Dabei stehen wir erst am Anfang, der größte Teil der Strecke liegt noch vor uns.

Eine helle und eine dunkle Hälfte auf unserem Raumschiff, das durch die endlosen Weiten des Ozeans gleitet. Die helle Hälfte beginnt mit Kaffee, selbst gebackenem Brot und dem täglichen Gespräch zwischen Jens und mir über das Wetter. Nicht die Diskussion über das Wetter, wie wir sie zu Hause kennen. Nicht das Gemecker über zu hohe oder zu niedrige Temperaturen, über zu viel oder zu wenig Regen, sondern die Diskussion über den Wind und die beste Wahl unserer Route. In der Konsequenz sind wir heute eine Halse gefahren, fahren jetzt einen etwas westlicheren Kurs, der immer noch genug Südkomponente hat, um Mindelo gegebenenfalls erreichen zu können. Vielleicht können wir diesen Zwischenstopp auslassen. Das hängt vom Wetter ab.

Die helle Hälfte. Halse geht so: Zuerst klettere ich auf das Vorschiff und demontiere den Baum, mit dem wir die Genua ausgebaumt haben. Dann klettere ich wieder zurück ins Cockpit. Jens ändert den Kurs, den die Windfahne steuert, um ca. 60 Grad. Langsam ändert Sissi die Richtung. Ich werfe die Backbordschot los, Jens zieht die Steuerbordschot an. Jakob filmt das. Ich will einen Film über den Atlantik schneiden. So viele Halsen wird es nicht geben. Zuletzt gehe ich wieder nach vorne und montiere den Baum neu. Fertig. Es dauert etwa eine Viertelstunde von Anfang bis Ende.

Die helle Hälfte. Jens entdeckt, dass wir mal wieder eine Schraube am Windgenerator verloren haben. Die letzte hatte ich doch sorgsam eingeklebt. Also klettere ich rauf und klebe eine neue Schraube rein. Diesmal mit einem anderen Klebstoff, der hoffentlich besser hält. Das ist jetzt schon die dritte Schraube an dieser Stelle, die wir verloren haben. Diese Aktion filmen wir nicht. In vier Metern Höhe über dem Ozean auf dem Radar sitzend will ich nicht gefilmt werden.

Zuletzt findet ein weiterer Höhepunkt des Tages statt – wir duschen. Das Wasser ist noch ordentlich kalt, Badewannentemperatur hat der Atlantik nicht. Egal, es fühlt sich gut an. Die letzte Aktion in der hellen Hälfte ist die Zubereitung des Abendessens, das heute von Jakob gekocht wird. Die See ist ruhig genug, einen Anfänger an den Herd lassen zu können. Es gibt Gulasch aus der Dose mit frischem Lauch, der unbedingt weg muss. Dazu Reis. Eine einfache, leckere Mahlzeit. Beim Verzehr beginnt die dunkle Hälfte des Tages.

Eine helle und eine dunkle Hälfte. Die erste Wache in der dunklen Hälfte ist meine. Das war sie schon immer, auch bevor Jakob zu uns an Bord kam. Jakob hat die mittlere Wache von Mitternacht bis vier Uhr morgens. Dann kommt Jens dran. Dank unseres Anhalters haben wir beide je zwei Stunden Schlaf mehr. Das tut gut. In dieser Hinsicht hat es sich ausgezahlt, einen dritten Mann an Bord genommen zu haben. Ich lege eine Platte von Leonard Cohen auf, setze mich ins Cockpit und begeistere mich wie fast an jedem Abend über den tollen Sternenhimmel. Die dunkle Hälfte ist hier richtig dunkel.

Wir erwarten noch mindestens 20 helle und 20 dunkle Hälften, bei unserem Bummeltempo rechnen wir nicht damit, früher in Barbados anzukommen. Das Bummeltempo ist schneller, als wir mit der Maschine fahren können. Ein Radfahrer würde bei diesem Tempo fast schon umfallen vor Langsamkeit. Diese Zeilen entstehen während der dunklen Hälfte in meiner Wache, während der Kommunikationstablet versucht, eine neue Wettervorhersage herunterzuladen, die ich morgen mit Jens diskutieren werde. In der hellen Hälfte des Tages.

Die dunkle Hälfte. Ich werde im Bett hin- und hergeschleudert. Der Wind hat aufgefrischt. Eigentlich müssten wir reffen. Jens hat entschieden, dass er in der Nacht lieber keine Arbeiten auf dem Vordeck machen möchte, also lässt er mich schlafen und kämpft mit der Windfahne. Wir haben zu viel Tuch draußen, immer wieder luven wir an, immer wieder rolle ich von links nach recehts und zurück. Ich bin zu müde, um ich aus dem Bett zu quälen und gemeinsam mit Jens zu reffen.

Die helle Hälfte. Wir können es nicht mehr vor uns herschieben, wir müssen reffen. Jens demontiert den Baum, Jakob bedient die Winsch, das Segel wird etwas kleiner. Dann fängt Jakob an, auf seine Zähne zu beißen. Seine Kraft reicht nicht mehr aus. Weiter reffen geht nicht mehr. Die Furlex ist blockiert. Zum Glück nicht oben an der Mastspitze, sondern unten an der Seiltrommel. Wieder ist Arbeit angesagt, ich muss auf das Vordeck. Ein Überläufer verhindert, dass wir das Segel weiter reffen können. Denksportaufgabe: Wie bekommen wir den Überläufer aus der Reffleine, die unter Zug steht? Nach dem Lösen dieses Problem demontiere ich die komplette Verkleidung der Seiltrommel, dann entlasten wir die Reffleine und ich kann die Leine entheddern. Scheißgefummel. Wenn ich den Konstrukteur dieser Furlex in die Finger bekomme, wickele ich ihn mit der Reffleine um das Vorstag, dann dresche ich mit einer großen Latte auf ihn ein, bis er grün und blau ist. Die Demontage ist n
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leicht, die Montage eine wahre Drecksarbeit. Anschließend machen wir zwei Dosen Chili auf und backen ein Brot.

Die helle Hälfte. Wir haben das Wetter diskutiert und eine Entscheidung getroffen, wohin wir weiter fahren werden. Im morgigen Beitrag werde ich die Entscheidung bekannt geben. Wer raten möchte, sei aufgerufen, die einschlägigen Wetterseiten zu besuchen. Windy.com oder Windfinder.com können da entscheidende Hinweise geben. Noch eine dunkle und eine helle Hälfte.

5. Etmal: 137 nm
Position um 12 Uhr: N21°16′ W21°47′
Noch 315 Seemeilen nach Sao Vicente (Mindelo). Noch 2217 Seemeilen bis nach Barbados. Die gesamte zurückgelegte Strecke sind nun 583 Meilen.

Eigentlich wollte ich mich beim Segeln entspannen und nicht so viel arbeiten. Pustekuchen.

Ich muss die Furlex klarieren