Vorgeschmack auf Irland

Mário legt sich gegen Mittag erst einmal hin und versucht, entgangenen Nachtschlaf nachzuholen. Er hat sich inzwischen einigermaßen an den Rhythmus aus Wache und Schlafen auf dem Boot gewöhnt. Zu Anfang des Törns hatte er immer Probleme, sich gegen Mittag hinzulegen und ein paar Stunden zu schlafen. Auch die ungewohnte Schlafenszeit nach dem Abendessen war für ihn ein Problem, mit noch hoch am Himmel stehender Sonne konnte er keinen Schlaf finden. Inzwischen regelt das der Ozean. Geschlafen wird, wann immer sich die Gelegenheit ergibt. Mit den langen Wachen auf Sissi besteht so auch die Möglichkeit, länger am Stück zu schlafen.

Schlafen kann auch der Mercedes. Er ist inzwischen wieder abgekühlt, denn es weht ein ordentliches Lüftchen in die Segel. Wobei das zur Folge hat, dass sich der Atlantik von einem glatt gebügelten Hemd in ein verknautschtes T-Shirt verwandelt. Stunde um Stunde bauen sich mehr Wellen auf. Noch ist der Wind nicht so stark, dass er ordentlich Druck in den Segeln macht. Wir fahren nur etwa mit 4 kn Geschwindigkeit. Also knallt es immer mal wieder heftig, wenn eine Welle Sissi hin- und herschleudert. Die Segel verlieren den Wind und knallen dann wie Peitschenhiebe, wenn Sissi in der Welle zurückschnellt. Das scheppert im Rigg, das ganze Boot vibriert und es bereitet mir fast schon körperliche Schmerzen. Bitte, bitte, etwas mehr Wind! Nur ein paar Knoten, damit das System sich stabilisieren kann.

Ich probiere es mit einer Halse, bringe das Boot auf den anderen Bug. Natürlich ist es so, dass wir vor dem Wind genau nicht den Kurs laufen können, den wir eigentlich gerne haben wollen. Entweder ist unser Kurs zu weit nördlich oder zu weit östlich. Seglers Dilemma, man kann eigentlich nie auf dem gewünschten Kurs segeln. Die Wellen folgen bekanntermaßen dem Wind, deswegen ändert sich das Verhalten von Sissi auf dem anderen Bug nicht. Ich halse wieder zurück. Der nördlichere Kurs bringt uns wenigstens in eine Zone mit mehr Wind, der östlichere Kurs würde uns aus dem Wind hinaus bringen.

In Anbetracht der Tatsache, dass die Schiffsbewegungen schon jetzt ganz ordentlich sind, gebe ich meinen Gedanken an die angedrohten Spaghetti Carbonara erst einmal auf. Nach einer Idee von Samai bereite ich einen Brotteig zu, in die ich die portugiesischen Frankfurter Würstchen einzubacken gedenke. Mário schläft noch, die Tür zu seiner Koje ist geschlossen. Also bereite ich auch gleich die Tomatensauce zu, in der die Würstchen versenkt werden sollen.

Pünktlich zum Abendessen dreht der Wind dann eine satte Windstärke auf. Jetzt fliegt Sissi mit knapp 6 kn durch die See. Die Schläge im Rigg sind vergessen, selbst wenn eine Welle Sissi auf dem falschen Fuß erwischt, bleibt nun der Druck in den Segeln erhalten. Lediglich wir werden durch die Gegend geschleudert. Schön, dass man das Abendessen einfach aus der Hand essen kann. Auf See sollte man immer schön die Mahlzeiten an die Möglichkeiten anpassen. Ich kann zwar bei praktisch jedem Wetter alle erdenklichen Mahlzeiten zubereiten, die Nahrungsaufnahme gestaltet sich dann jedoch problematisch. Ab einem gewissen Seegang verbieten sich Saucengerichte. Ab einem gewissen Seegang verbieten sich auch Gerichte, zu deren Konsum man Messer und Gabel braucht. Man braucht manchmal eine Hand für den Teller und löffelt mit der anderen Hand. Sonst befindet sich das Essen irgendwo im Salon.

Nach dem Essen wende ich dann noch eine gute Stunde dafür auf, die Windfahne an die neuen Gegebenheiten anzupassen. Dann ist Sissi stabilisiert, der Kurs ist gut und die Geschwindigkeit ebenso. Bei klarem Himmel werde ich Zeuge eines wunderschönen Sonnenuntergangs. Ein wohlbekanntes Geräusch lässt mich herumfahren, ich sehe gerade noch den wieder abtauchenden Wal. Ich habe ein blödes Sonnenuntergangsfoto geschossen, während ich den Wal hätte beim Ausblasen erwischen können. Hätte, hätte. Das war nun schon der vierte Wal, den ich nicht fotografiert habe. Entweder lag die Kamera unten im Salon, oder der Wal war zu weit weg. In allen Fällen war ich zu langsam.

Für die Nacht plane ich, die Genua etwas zu reffen. Es ist genug Wind da, wir sind schnell genug. Mário soll nicht in die Verlegenheit kommen, das Boot neu ausbalancieren zu müssen. Die Sterne zeigen sich heute Nacht zum ersten Mal nicht am Himmel. Wir fahren in ein Tiefdruckgebiet hinein. Die Wolken verkünden, was morgen wohl Wirklichkeit sein wird. Schon bei der Übergabe um 3 Uhr morgens fällt Nieselregen ist Cockpit.

Ich wache gegen 10:30 Uhr auf. Es ist klamm im Boot. Auf meinem Weg zur Kaffeemühle rutsche ich über den glitschigen Fußboden. Mário steht in Regenklamotten auf der Treppe. Es fühlt sich an, als wäre Irland nur noch einen Katzensprung entfernt. Der Kaffee kühlt schneller ab, als ich ihn trinken kann. Normalerweise ist das umgekehrt. Ich liebe richtig heißen Kaffee! Ich kann heißen Kaffee aufsaugen. Trotz des langsamen Starts gestern Mittag haben wir 106 Meilen zurückgelegt. Die richtig guten Etmale kommen jetzt noch. Von der Samai lese ich, dass sie „lediglich“ 115 Meilen geschlichen sind. Was für Raser!

9. Etmal: 106 nm
Position: 47°15‘N 15°26‘W