Kreuzfahrer-Dreck und Dreckskreuzfahrer

Diesen Beitrag schrieb ich am 14.12. vor der Abfahrt in Santa Cruz. Er gehörte zu den Beiträgen, die während unserer Atlantiküberfahrt erscheinen sollten. Aus verschiedensten Gründen habe ich auf die Veröffentlichung bislang verzichtet, nach dem Erlebnis heute Nacht ist es mir jedoch ein Bedürfnis, meine Meinung zu Kreuzfahrtschiffen mitsamt ihrer Fracht zu äußern.

Dezember 2019, Santa Cruz, Teneriffa: Vorgestern haben Jens und ich die neue Genua hochgezogen. Es war gerade eine gute Gelegenheit, denn der Wind hatte gerade abgeflaut. Dann geht der Segelwechsel am einfachsten von der Hand, denn das Segel wird nicht wild in der Gegend herum zappeln. Ich stand an der Winsch, um das Segel hoch zu kurbeln, Jens am Vorstag zum Einfädeln das Segels in die Rollanlage. Plötzlich blieb mir die Luft etwas weg, ich fühlte mich, als würde ich direkt am Auspuff eines VW Diesel einen tiefen Luftzug nehmen.

Queen Victoria rußt

Die Queen Victoria liegt heute in Santa Cruz. An derselben Stelle liegt jeden Tag ein anderes Schiff. Alle lassen ihren Dieselgenerator im Hafen laufen. Alle hinterlassen diese fette Rußfahne, die man auf dem vom Vordeck der Sissi aufgenommenen Bild gut erkennen kann. Das ist die eine Seite der Kreuzfahrerei. Ich kann sehr gut verstehen, dass die Venezianer, die Hamburger und eigentlich alle Bewohner der von Kreuzfahrtschiffen überlaufenen Städte dieser Umweltverpestung Einhalt gebieten wollen.

Der Ruß wird vom Wind in den Salon der Sissi getrieben. Den Ruß atmen wir beim Arbeiten auf dem Schiff ein, wir bekommen ihn auch in der Freizeit ab. Er zieht bis in unsere Schlafkoje. Erst wenn sich der Kreuzfahrer mit einem Höllenlärm von seiner Schiffströte mitten in der Nacht verabschiedet, zieht langsam wieder frische Luft durch unser Boot.

Kreuzfahrer mit E-Bikes

Außerdem fallen mit jedem Kreuzfahrtschiff auch Horden von Menschen in den Ort ein. Sie stehen im Supermarkt vor uns normalen Bootstouristen in der Schlange und tragen oft die Lebensmittel und Getränke raus, die wir eigentlich hätten selbst kaufen wollen. Die Supermärkte hier sind klein, meist werden sie erst am folgenden Tag wieder beliefert und aufgefüllt.

AIDS Logo auf dem E-Bike

Ändern können wir es nicht. Wir müssen damit leben. Wenn sie mich dann mit ihren E-Bikes aber auf dem Weg vom Boot zur Dusche fast über den Haufen fahren, dann möchte ich sie am liebsten ins Hafenbecken schubsen. Danke, AIDA, dass du so viele E-Bikes mitgenommen und an deine Passagiere verliehen hast. Könnt ihr nicht wenigstens mit Reisebussen durch die Gegend kutschen, wie die anderen Kreuzfahrer auch? Die Busse machen zwar auch Lärm, dafür fahren sie nicht mitten durch die Marina.


31. Januar 2020, 01:50 Uhr, zwischen Barbados und St. Lucia: Ich liege auf der Couch und döse ein wenig vor mich hin. Meine Wache ist fast zu Ende, in einer guten Stunde werde ich Jens wecken. Bislang war die Wache ziemlich ereignislos – wie fast immer auf dem Atlantik.

Ein penetrantes Piepsen bringt mich aus meinem Dämmerzustand schnell wieder in den Wachzustand. Der AIS-Kollisionsalarm meldet sich. In einer knappen halben Stunde wird die Britannia uns über den Haufen fahren oder ganz nah passieren. Hä? Unser AIS sendet. Unser AIS empfängt. Die können sehen, dass wir ein Segelboot sind. Die können unseren Kurs sehen. Ich mache mir keine besonderen Gedanken, denn viele Kreuzfahrer fahren nach Barbados.

Ich sitze im Cockpit und betrachte den hellen Lichtschein, der sich immer mehr nähert. In den ganzen hellen Lampen kann ich die Positionslampen nicht ausmachen. Unser Windpilot steuert seinen normalen Zickzack. Mal werden wir 30 Meter, mal 300 Meter entfernt von der Britannia den nächsten Begegnungspunkt haben. Und zwar in 20 Minuten. Ich probiere den Nachtfotomodus meines Handys aus, da kann man sogar was erkennen.

Noch 20 Minuten bis zur Begegnung

Die Kurslinie des Kreuzfahrers auf dem AIS ändert sich keinen Zentimeter. Er hält auf uns zu. Ich entscheide mich erst einmal für unsere Kurshaltepflicht, die wir als Segler schließlich haben. Das muss auch der Kerl am Ruder der Britannia wissen. Allerdings unterstütze ich den Windpiloten in seinem Zickzack. Das Zick erlaube ich ihm, das Zack nicht. Eine Viertelstunde später steht fest, dass wir den Kreuzfahrer etwa in 100 bis 200 Metern Entfernung passieren werden. Auf dem Handy erscheint eine Begrüßungs-SMS für das Bordnetz der Britannia. Letztendlich war der kürzeste Abstand weniger groß als die Länge dieses Dampfers.

Unfallfrei passiert, die Britannia ist durch

Frachtschiffe haben bislang immer ihren Kurs für uns geändert, auch die 300 Meter langen Brocken. Fähren sind immer einen großen Bogen um uns gefahren. Nur die Kreuzfahrtschiffe sind eine Gefahr, die machen nach unserer Erfahrung nämlich gar nichts.

Die Dreckskerle fahren einfach stur ihren Kurs weiter. Wenn Passagiere vor den Häfen ausgebootet werden, fahren auch die Dinghis eine schnurgerade Linie, ob da ein Segler vorbei kommt oder nicht. Dies soll keine Verallgemeinerung oder ein Vorurteil sein, dies ist mein Urteil nach 6000 Seemeilen unserer Welttournee und ein Fazit aus mehreren Dutzend Begegnungen mit diesen leuchtenden Trümmern.


Jetzt habe ich meinen Dampf abgelassen. Wir haben noch 10 Meilen bis zur Rodney Bay vor uns, werden wohl bei Tageslicht einlaufen. Dann zwei Stunden duschen und anschließend ein riesiges Steak im Marinarestaurant. So stelle ich mir den Abend vor.

Überraschungsbus

An einem schönen Tag auf Barbados wollen Jens und Jörg schnorcheln gehen. Ich habe dazu keine Lust, Burti auch nicht. Wir wollen an Land gehen und einen Ausflug machen.

Wir haben auch keine Lust, den Touristenhorden hinterher zu traben. Wir wollen eine individuelle Tour machen, die es so in keinem Reiseführer gibt. Also gehen wir zum nächsten Busbahnhof und steigen in den nächsten Bus. Wir wissen nicht, wo der Bus hinfahren wird. Wir wissen auch nicht, wie lange es dauern wird. Die Einheimischen, die wir in der Warteschlange treffen, wollen unser Ziel wissen. Wir kennen es nicht. Die Leute halten uns für komplett beknackt. Ein gelber Bus fährt vor, beschriftet mit “Sam Lords Castle”. Wir steigen ein und es geht los. Eineinhalb Stunden fährt uns der Bus über die Insel, immer weiter durch Vororte von Bridgetown, dann am Flughafen vorbei und dann noch eine halbe Stunde weiter. An der Endstation werden wir mitten in der Pampa rausgeworfen.

Endhaltestelle

Zunächst einmal gibt es hier nicht viel zu sehen. Haben wir den falschen Bus genommen? Die Sonne brennt vom Himmel, Schatten gibt es nicht viel. Nur an der Kreuzung, an der wir den Bus verlassen haben, stehen ein paar Bäume herum.

Blick nach Nordwesten – eine Schule
Blick nach Nordosten – eine Billard Bar
Blick nach Südosten – zum Meer
Blick nach Südwesten – da geht es Richtung Bridgetown

Wir entscheiden uns dafür, erst einmal an der Bar vorbei zu laufen und dann noch etwas die Straße entlang. Die Bar ist ausgestorben, wir wissen aber jetzt, dass wir auf dem Rückweg kalte Getränke bekommen werden.

Vereinzelte Häuser in der weiten Landschaft

An einer kleinen Seitenstraße biegen wir ab, laufen in Richtung des Meeres. Wir wollen versuchen, an den Strand zu gelangen. Viel Hoffnung haben wir nicht, es ist kein Weg zum Strand ausgeschildert und der asphaltierte Weg verwandelt sich bald in Schotter und später in eine Trecker-Fahrspur. Ein paar Pfützen zeugen von Regenschauern, die vor kurzem erst herunter gekommen sein müssen.

Auf dem Weg zum Strand

Der Weg wird unwegsamer, die Sonne brennt heißer und wir wollen nicht mehr allzu weit gehen. Unsere Klamotten sind durchgeschwitzt und die mitgenommenen Wasservorräte gehen immer mehr zur Neige.

Anscheinend war die Idee mit dem Überraschungsbus doch nicht so gut. Wir hätten lieber schnorcheln gehen sollen. Oder einfach den Tag mit den Einheimischen Rum saufend verbringen sollen. Oder an Bord bleiben und das Nichtstun pflegen. Doch dann gehen wir um eine Ecke und wie aus dem Nichts taucht die schönste karibische Bucht auf, die wir uns jemals hätten vorstellen können.

Felsen umrahmen die kleine Bucht
Perfekte karibische Bucht

Wir klettern über eine steile, halb verfallene Treppe an den Strand herunter und laufen bis zum Meer. Alles ist ein wenig unwirklich.

Treppe

Zwischen den Palmen stellt sich bei uns ein gewisses Dschungelgefühl ein. Es liegen hier keine leeren Getränkedosen herum, kein Müll und kein Dreck. Nur ein paar Kokosnüsse faulen am Boden, von Tieren leer gefressen.

Dschungelgefühl

Es ist einsam, außer uns gibt es hier keine Menschen. Es herrscht Ruhe und Frieden. Die Wellen brechen sich, das Wasser leuchtet in den schönsten Blautönen. Herrlich.

Unberührter Strand

Wir laufen mit nackten Füßen durch den Sand, die Wellen spülen um unsere Unterschenkel. Wir könnten hier noch Stunden verbringen. Zum Baden ist es zu gefährlich. Entspannen können wir hier gut. Die Freude ist groß.

Burti am Wasser

So stellt man sich die Karibik vor, wenn man die Prospekte der Reiseveranstalter sieht. Solche Bilder bekommen die Kreuzfahrttouristen nicht zu sehen. Hier gibt es nichts, nicht einmal einen Rumverkäufer.

Burti im tropischen Paradies
Jörg im tropischen Paradies

Auf dem Rückweg zur Bushaltestelle kehren wir in allerbester Stimmung in der kleinen Bude gegenüber von der Billard Bar ein. Es gibt kalte Cola und kaltes Bier. Dazu kommt Reggae-Musik aus einer Boom-Box. Die Einheimischen stellen für uns Stühle in den Schatten, damit wir einen kühlenden Luftzug abbekommen.

Kiosk und Bar

Die Leute sprechen zwar kein Wort Deutsch, können aber an den Zischlauten unsere Sprache erkennen. Wir kommen ins Gespräch. Es wird ein schöner Nachmittag. Einer der Locals wiegt kleine Portionen Marihuana verkaufsfertig ab, ein anderer verkauft sie an der Straße. Ein dritter verpackt selbst angebauten Tabak zu verkaufsfertigen Portionen. Ständig kommen Leute vorbei, die sich hier ihren Rauch kaufen. Alles geht ganz entspannt, selbst wir Bleichgesichter werden akzeptiert. Sitzen wir doch mit den Einheimischen zusammen und unterhalten uns angeregt.

Auf dem Rückweg nach Bridgetown fahren wir mit einem Reggae-Bus. Das Radio spielt laut, die Fenster stehen offen. Wir inhalieren den Duft der Insel noch einmal und hoffen, dass Jens und Jörg einen ebenso schönen Tag hatten.

Reggae Bus

Der Busfahrer fährt uns in seinem gelben Bus vollkommen entspannt über die Insel und durch den Stau in Bridgetown.

DISCLAIMER: In alles öffentlichen Verkehrsmitteln, Taxis, Bars, Restaurants und unter Dächern gilt auf Barbados ein Rauchverbot.