In einem anderen Land zu einer anderen Zeit

Es ist nicht leicht, diese Tage so zu verbringen, dass man nicht blöd im Kopf wird. Der tägliche Gang zum Supermarkt wird zu einem der Höhepunkte des Tages. Obwohl die Marinadusche, die Personaldusche des angrenzenden Hotels, eine ganz miese Aufenthaltsqualität hat, ist der Besuch dort ein weiterer Höhepunkt. Gestern habe ich fünf Stunden am Herd verbracht und ein Abendessen für die Chapo und uns gezaubert. In der ganzen Zeit habe ich Jens mit Küchengerüchen gequält. Das Ereignis war ein auf knackigen Karotten zartrosa gebackener Rinderbraten mit einem Riesenberg knuspriger, mit ein wenig Parmesan verfeinerter Kartoffelpuffer. Zugegebenermaßen wurde der Braten mehr rosa als zart, aber es hat allen geschmeckt. In den letzten Tagen bekochen wir uns gegenseitig.

Positiv an der Situation ist, dass wir zu Dingen kommen, die wir seit Monaten haben liegen lassen. In Lissabon haben wir viele Videos gemacht, geschnitten und veröffentlicht haben wir bisher nichts. Während ich am Herd stand, hat Jens sich mit dem Videoschnitt beschäftigt. Und nun haben wir ein kleines Video von Lissabon mit – ähm – geringem Straßenbahnanteil. Die Straßenbahn dort ist meiner Meinung nach ein rollendes Denkmal.

Auf der anderen Seite des Atlantik, ein halbes Dutzend mit Touristen voll beladener Kreuzfahrtschiffe vor der Stadt, geöffnete Bars und Restaurants, Menschenmassen walzen sich durch die Innenstadt, klumpen sich vor dem Aufzug in die Oberstadt oder quellen aus voll besetzten Straßenbahnen. Ich habe mir das Video zwei oder dreimal angesehen. Nicht wegen der tollen Aufnahmen mit der wackeligen Handkamera. Nicht wegen der phantastischen Filmmusik (Gema-frei). Nicht, weil ich sonst nichts zu tun habe. Ich habe mich am Leben auf den Straßen erfreut.

Ist die Szene bei 3 Min 46 Sekunden als Ausblick in die Zukunft zu verstehen? Wie sieht das Leben in der Öffentlichkeit in einem halben Jahr oder einem Jahr aus?

Die Salatbar ist noch geöffnet!

Jeden Mittag gibt es das gleiche Ritual zu beobachten. Ein Angestellter des Hotels bringt einen Eimer voll Essensreste in die Marina und entleert ihn neben eine dichte Hecke. Dann kommen plötzlich ganz viele Iguanas aus der Hecke herbeigeeilt und schnabulieren den leckeren Salat. Ich bin heute leider zu spät, einer ist noch da, die anderen sind schon satt. Morgen ist auch wieder ein Tag.

Nach dem Besuch der Salatbar

Für unsere Tage auf Aruba gelten nun neue Regeln. Zu der nächtlichen Ausgangssperre ist noch eine Ausgangssperre bei Tag hinzugekommen. Wir dürfen noch Lebensmittel einkaufen und in die Apotheke gehen. Ansonsten sind alle Aktivitäten draußen verboten. Zu unserem Glück ist die Definition von “drinnen” und “draußen” weit gefasst. Wir können uns auf dem Marinagelände und dem Gelände des angrenzenden Hotels frei bewegen. So lange wir nicht auf unseren Booten eingesperrt werden, kann ich mit all diesen Beschränkungen leben.

Hauptstraße in Oranjestad

Am Freitag wurde das Marinabüro für unbestimmte Zeit geschlossen. Ich musste gleich für einen ganzen Monat bezahlen, aber wir bleiben wahrscheinlich sowieso länger. Wir haben die Telefonnummern der Angestellten für den Fall der Fälle. Irgendwie möchten wir in den nächsten Wochen eine Füllung unserer leeren Gasflaschen organisieren, dazu brauchen wir die Marinaleute.

Der Weg zum Supermarkt

Auf meinem heutigen Weg in den Supermarkt habe ich gar keinen Menschen auf der Straße getroffen. Ich habe kein Auto fahren gesehen. Es ist gespenstisch.

Gespenstisch wirkt auch der absolut leere Hotelstrand. Es ist uns nicht so richtig klar, ob wir den benutzen können oder nicht. Es ist aber niemand da, der uns an der Benutzung hindern würde. So lange das Hotel noch geöffnet war, durften wir an diesen Strand. Ich gehe nachher mal rüber und probiere es aus.

Kein Foto aus dem Reiseprospekt.

Es fällt mir immer noch schwer, mich an die aktuelle Situation zu gewöhnen. Was gerade auf unserem Planeten geschieht, ist so unsagbar schwer zu begreifen.

Segler in der Karibik

Jens und ich leben gut auf unserem kleinen Planeten. Sissi liegt sicher im Hafen, die Supermärkte um uns herum haben geöffnet und die Regale sind voll. Wir sind gesund. Wir haben Freunde im Hafen, können Gespräche führen. Ein guter Metzger ist bequem zu Fuß erreichbar und den Hotelstrand haben wir für uns alleine.

DIe Metzgerei. Jeder Kunde darf eine Nummer ziehen und muss dann draußen warten, bis die Nummer aufgerufen wird. So wird vermieden, dass zu viele Menschen gleichzeitig im Laden stehen.

Am Hotelstrand werden wir auch nicht weggejagt. Inzwischen kennen wir alle Sicherheitsleute und die Sicherheitsleute kennen uns. Sogar ein nächtlicher Spaziergang am Wasser entlang ist während der Ausgangssperre möglich, denn der Weg wird durch mehrere Stockwerke Luxusbeton von den Blicken eventuell vorbeifahrender Polizisten abgeschirmt.

Das Ferienhotel macht Ferien. Ganz besonders bei Dunkelheit, wenn auf der ganzen Insel Ausgangssperre ist. Wir haben es gut.

Auf anderen Inseln sieht es anders aus. Wir sind in Kontakt mit Seglern auf verschiedenen Inseln. Auf Martinique liegt noch die Joint Venture II. Dort gibt es eine strenge Ausgangssperre, die Segler dort können ihre Boote nur aus wichtigem Grund verlassen. Da gehört ein Spaziergang nicht dazu. Die Supermärkte sind nur noch am Vormittag geöffnet und in den Regalen klaffen schon Lücken. Dennoch scheint Martinique noch attraktiv zu sein.

Attraktiv für Segler, die sich derzeit auf Grenada befinden, wie die Lucky Star. Dinge des täglichen Bedarfs gibt es dort zu kaufen, sonst ist aber nicht viel im Supermarkt zu finden. Das Boot für eine Atlantiküberquerung auf Grenada zu bevorraten erscheint unmöglich. Deswegen versuchen sie, die Erlaubnis zur Einreise nach Martinique zu bekommen, um dort ihre Vorräte zu ergänzen.

So geht es rundherum um die gesamte Karibik bis nach Kolumbien und Panama. Die einzelnen Segler haben einen mehr oder weniger günstigen Platz gefunden, um die nächsten Wochen zu überstehen. Die meisten sind durch Zufall an ihrem Ort gestrandet. Eine Rückfahrt nach Europa ist etwa ab Mitte April möglich. Bis dahin müssen die Boote vorbereitet werden.

Oft fehlt auch Crew. Es gibt einige Boote, deren Crewmitglieder nach Hause geflogen sind. Es hätten neue Crewmitglieder einfliegen sollen, was aber im Augenblick bekanntermaßen nicht geht. Da sitzt oft nur noch der Skipper an Bord und harrt der Dinge. Vor dem Flughafen von Aruba liegt noch ein deutsches Boot, die Tortuga. Deren Skipper ist ohne seine Crew einigermaßen aufgeschmissen, er muss aber trotzdem seine Rückfahrt planen.

Die Rückfahrt könnte beschwerlicher werden als üblich. Normalerweise machen Segelboote, die den Atlantik von West nach Ost überqueren, auf Bermuda, den Azoren und manchmal Madeira einen Zwischenstopp. Einerseits will man die schönen Landschaften nicht auslassen, andererseits ist es gut für die gesamte Crew, wenn man mal ein paar Nächte richtig ausschlafen kann.

Um es kurz zu machen: Bermuda hat die Grenzen geschlossen. Madeira ebenso. Auf den Azoren ist mit besonderer Erlaubnis ein Tankstopp und Bevorratung möglich. Das Boot darf dabei nicht verlassen werden. Es wird unangenehm.

Schlimmstenfalls müssen wir alle die 5500 Meilen nach Deutschland ohne Zwischenstopp segeln. Das wären dann ca. 50 Tage auf See. Unangenehm.

Innerhalb weniger Tage hat sich unter den gestrandeten Seglern eine WhatsApp-Gruppe gebildet. Über 100 Teilnehmer schaffen es dort im Augenblick noch, eine einigermaßen konstruktive Diskussion zu führen. Immerhin war es auf diesem Weg möglich, einige Daten zu Schiff und Crew an deutsche Behörden zu schicken. Die deutschen Außenpolitiker sollen sich darum kümmern, dass die Jachten auf der Heimreise auch in Bermuda und Madeira einlaufen kann. Immerhin ist ein Vertreter des diplomatischen Korps mit in der Gruppe. So viel zu einer einigermaßen brauchbaren Aktion. Wie ich zu der Online Petition stehe, weiß ich noch nicht. Verproviantieren muss man sowieso für den Fall der Fälle – also bis Deutschland. Ein Boot in Seenot werden sie sicher nicht abweisen.

Segler in der Presse
Focus zur Problematik gestrandeter Segler
Floatmagazin: Fluch der Karibik
Spiegel: Gefangen im Paradies
FAZ: Geleitzug aus der Karibik?

Unsere Sissi hat genug Vorräte, wir können zur Not die 5500 Meilen segeln. Dieses Wissen ist sehr, sehr beruhigend. Deswegen können wir uns entspannen und manchmal noch eine der wenigen Attraktionen, die noch geöffnet haben, besuchen.

Der Flamingo ist sehr zutraulich. Er muss nicht einmal gefüttert werden, sondern kommt auf den ausgestreckten Finger geflogen.

Attraktion. Die Latte hängt niedrig. Ein Hotelresort hätte ich vor der Seuche niemals als Attraktion bezeichnet. Noch vor ein paar Tagen war hier mehr los. Die hoteleigene Insel mit vielen Flamingos und Pelikanen war noch geöffnet, wenn auch nur für ein Dutzend Gäste. Leider ist sie inzwischen geschlossen. Wir hatten viel Spaß mit den Vögeln.

Für einen Vierteldollar bekommt man an einer Art Kaugummiautomaten Pellets, mit denen man die Vögel füttern kann. Das wissen die Vögel natürlich auch. Kaum dreht man einen Vierteldollar in den Automaten, stürzen sich unzählige Antillenkrakel und Tauben auf den ahnungslosen Menschen. Wir haben uns für einen Dreivierteldollar Spaß gekauft und ein kleines Video gedreht. Viel Spaß dabei.

Außerdem gibt es auf der Insel eine hervorragende Dusche. Sie schlägt die Personaldusche des Hotels, die wir mitbenutzen, um mehrere Flamingohalslängen. Ein paar Unbequemlichkeiten müssen wir doch erleiden.

Bescheuertes Selfie mit einem Pinguin.