Abgeschiedenheit

Ich telefoniere in den letzten Tagen sehr oft mit unserer Schwester. Sie ist im Home Office, wie so viele andere Menschen in diesen Tagen auch. Die Abgeschiedenheit macht ihr zu schaffen. Mich erreichen Emails von Freunden zum gleichen Thema. Auch in der Presse gibt es viele Lebenshilfe-Artikel zum Thema „Leben in der Isolation“.

Als Herdentier macht vielen Menschen die Isolation zu Hause zu schaffen. Oft fahren allerdings die gleichen Menschen auf eine Hallig in den Urlaub oder buchen eine einsame Hütte in Schweden. Sie suchen die Abgeschiedenheit und meiden für Wochen den Kontakt zu anderen Menschen.

Geparktes Auto. Wir laufen da auf dem Weg zum Supermarkt regelmäßig dran vorbei.

Wir kennen das sehr gut. Auf dem Segelboot befinden wir uns tagelang oder wochenlang in der perfekten Isolation. Wir haben dann die härteste Ausgangssperre, die man sich vorstellen kann. Wer das Boot unterwegs verlässt, ist mit größter Sicherheit innerhalb kurzer Zeit tot. Darüber wacht der Atlantik. Während der Isolation sehen wir nur uns, haben wir nur uns gegenseitig als Gesprächspartner. Wir sitzen in unserem kleinen Boot aufeinander.

Soziale Isolation

„Hamsterkäufe“ sind für uns allerdings vollkommen normal. Wir kaufen nicht ein, wir bunkern. Wir laden Unmengen von Lebensmitteln auf unsere Sissi, denn wir können nicht einmal zum Supermarkt an der Ecke gehen. So streng ist unsere Ausgangssperre.

Sinnvolle Tätigkeiten in der Freizeit

Wir teilen unsere Zeit ein in Arbeitszeit und Freizeit. Während der Arbeitszeit wird Sissi geputzt, gewienert und gepflegt. Es wird repariert, was kaputt gegangen ist. Es wird gekocht und gespült. Und es wird natürlich darauf geachtet, dass der Kurs stimmt und dass wir nicht gegen ein anderes Schiff fahren. In der Freizeit wird entspannt, gelesen oder ein Film gesehen. Wir warten nicht darauf, dass etwas passiert. Wir sorgen dafür, dass etwas passiert. Im Internet surfen ist über das Satellitentelefon nur sehr begrenzt möglich, telefonieren können wir auch nicht so richtig.

Am Ende des Tages

Wir führen unser Leben so, dass wir das Gefühl haben, den Tag sinnvoll verbracht zu haben. Am Ende jeden Tages kommen dann der Sonnenuntergang und das Abendessen als kulinarischer Höhepunkt. Das Leben ist schön auf See. Das Leben ist einsam auf See.

Im sicheren Hafen

Irgendwann und meist viel später als veranschlagt kommen wir in einen sicheren Hafen und die Ausgangssperre ist aufgehoben. Das feiern wir, dann sind wir glücklich. Das ist immer so. Das ist gut so.


Wie jeder Vergleich hinkt auch dieser. Der Urlaub auf der Hallig hat ein festgelegtes Ende. Am Ende des größten Ozeans befindet sich wieder Land, wir können uns recht gut ausrechnen, wann wir dort ankommen. Das ist der Unterschied.

Die Gemeinsamkeit besteht darin, dass wir alle dafür sorgen müssen, dass uns der Himmel nicht auf den Kopf fällt. Dass wir alle dafür sorgen müssen, dass der bzw. die anderen sicher sind. Ich kümmere mich um Jens, Jens kümmert sich um mich. Wir vertrauen uns gegenseitig blind. Wir achten aufeinander. Wir helfen uns gegenseitig.

Steuere deine Wohnung durch die Untiefen in der Coronasee. Achte darauf, keinen Schiffbruch zu erleiden. Führe deine Crew. Du wirst sehen, am Ende des Meeres ist wieder Land. Es gibt immer Land auf der anderen Seite des Ozeans.

Anne Frank auf Aruba

Ich übersetze das mal nicht, ihr habt alle Zeit genug, euch das selbst aus dem Niederländischen zu übersetzen. Im Internet gibt es Mittel und Wege.

Hilfsmittel: Wir schauen nur einmal am Tag, wie weit wir gekommen sind. Wir könnten öfter schauen, aber das wäre frustrierend, denn bei mehreren tausend Meilen Reststrecke sind die lediglich hundert Meilen, die wir am Tag zurück legen, immer nur kleine Schritte. Schau‘ nicht so oft im Internet, was um dich herum passiert. So schnell dreht sich der Planet auch nicht.

Mach‘ es Dir bequem. Halte Dich vom Fernseher fern. Schau‘ lieber den einen oder anderen Film auf Youtube, das ist eine nachrichtenfreie Zone. Lies‘ ein Buch. Lerne Brot backen – das ist toll! Betrachte den Begriff „Coronaferien“ als Ferien von der Corona-Berichterstattung. Das hilft. Sicher.

Auf hoher See