Atlantik Tag 4 – Zweiundvierzig

Mitten im Atlantik fanden wir ihn, einsam neben Sissi treibend und Teil einer quasi in der Marina Santa Cruz gestrandetem Gemeinschaft der Anhalter. Anhalter gibt es in Santa Cruz wie Sand am Meer. Sie streunern über die Stege, finden mit Kennerblick die Langfahrer-Boote und fragen, fragen, fragen… Sie irren gewisserweise auch planlos über die Stege, jede neue Segeljacht zum unmöglichsten aller Zeitpunkte belagernd – direkt nach dem Anlegen. Wenn eine Crew alles mögliche braucht, ein Anlegerbier, eine Dusche und mindestens zwölf Stunden ruhigen Schlaf am Stück. Aber nicht die Frage, ob die Jacht weiter in die Karibik fährt und noch Crew braucht.

So überfiel er auch uns. Auf seiner Suche nach einer Mitfahrgelegenheit über den großen Teich. „Weißt Du, wo Dein Handtuch ist?“ So hätte ich fragen sollen. Habe ich aber nicht. Wahrscheinlich warten die Menschen in Tamsweg (Österreich) schon seit Tagen auf einen Beitrag dieser Art, denn wir haben seit Santa Cruz ein drittes Crewmitglied.

Wer das mit dem Handtuch und der 42 nicht versteht, möge jetzt bitte in die Bibliothek laufen oder beim Buchhändler seines Vertrauens das Werk „Per Anhalter durch die Galaxis“ von Douglas Adams erwerben. Es lohnt sich.

Jens und ich haben lange überlegt, ob wir die Passage wie gewohnt zu zweit machen machen wollen, oder einen Anhalter mitnehmen sollen. „Nein, wir brauchen kein weiteres Crewmitglied, wir sind komplett“, haben wir gesagt. Dann haben wir uns das alles ein paar Tage durch den Kopf gehen lassen. Einerseits bringt eine weitere Person den Bordalltag ganz schön durcheinander. Andererseits kann eine dritte Person auch Wache gehen und wir bekommen mehr Schlaf. Letzteres hat den Ausschlag gegeben.

Wir haben ihn zu uns an Bord gebeten und getestet. Können wir uns mit ihm unterhalten? Nerven wir uns schon nach fünf Minuten an? Hat er eine Ahnung, was ihn in den kommenden Wochen erwarten wird? Hat er die nötigen Papiere bei sich? Uns hat tatsächlich mal ein Italiener mit abgelaufenem Reisepass gefragt, ob das in der Karibik ein Problem sein würde. Hat er Allergien? Hat er Essgewohnheiten, die den unsrigen diametral entgegengesetzt sind? Ist er willig, auch Arbeiten an Bord zu übernehmen? Welche Arbeiten kann er überhaupt übernehmen? Seine Segelerfahrung belief sich zu diesem Zeitpunkt auf eine Überfahrt mit einem Katamaran von Gibraltar zu den Kanaren. Der Abend war angenehm. Nachdem er wieder gegangen ist, haben wir uns erst einmal Schlafen gelegt. Diskutiert haben wir das am folgenden Tag und sind einstimmig zu dem Entschluss genommen, dass wir es mit Jakob Pfeifer, 21 Jahre alt, probieren werden. Falls es nicht funktioniert, werden wir ihn auf den Kapverden wi
eder
rauswerfen.

Deswegen ist er auch noch nicht im Blog in Erscheinung getreten. Ich wollte ihn erst in unsere Geschichte schreiben, wenn wir die ersten Tage hinter uns und Jakob besser kennen gelernt haben. Inzwischen wissen wir, dass es hier an Bord gut läuft, auch mit dem neuen Crewmitglied. Also wurde es höchste Zeit, das mal in die Öffentlichkeit zu bringen.

Ansonsten läuft hier alles wie immer. Der Wind weht, Sissi rollt, der Wassertank grollt. Seit dem Parasailor-Unfall zieht uns die Genua wieder vorwärts, wir haben sie ausgebaumt. Das macht das Leben leichter. In der vergangenen Nacht hat der Wind zugelegt, wir sind jetzt nicht mehr mit drei bis vier Knoten, sondern mit mindestens fünf bis sechs Knoten unterwegs.

Feine Rinderfilets vom Markt mit Süßkartoffeln und einer leckeren Tomaten-Paprika-Sauce (mit Mojo verfeinert) gab es gestern zum Abendessen. Spät am Abend sahen wir für ein paar Stunden auf dem AIS aufgrund von Überreichweiten ein Dutzend Schiffe, alle mindestens 100 Meilen von uns entfernt. Und wir sahen einen phantastischen Sternenhimmel.

Das Iridium-Lotto haben wir nun im Griff, wir können jetzt bequem die 14-Tage-Vorhersage für den kompletten Atlantik in nur drei bis vier Stunden herunterladen. Geht doch!

Leider scheint die Flaute schneller zu sein als Sissi. Wenn sich an der Vorhersage nichts mehr ändert, sind wir an Heiligabend in Mindelo auf Sao Vicente und müssen dort bis Silvester eine Woche Flaute aussitzen. Wenn wir in dieser Zeit ein neues Spifall bekämen, würde es sich wenigstens lohnen. Mal sehen. Abwarten und Kaffee trinken. Bis Heiligabend sind es noch ein paar Tage und das Wetter kann sich immer ändern. Morgen werden wir wahrscheinlich halsen und einen etwas westlicheren Kurs einschlagen.

4. Etmal: 114 nm
Position um 12 Uhr: N22°18′ W19°44′
Noch 366 Seemeilen bis zu den Kapverden, genauer gesagt 430 Seemeilen nach Sao Vicente (Mindelo). Ab sofort gebe ich die Meilen bis Sao Vicente an, weil wir dorthin fahren würden. Es sind nur noch 2335 Seemeilen bis nach Barbados. Die gesamte zurückgelegte Strecke sind nun 446 Meilen.

Das Bild zu diesem Beitrag hat Stefan von der Roede Orm ein paar Minuten vor unserer Abfahrt aufgenommen.

Crew der Sissi kurz vor der Abfahrt