Das Wetter von Übermorgen

Auf dem Weg von Europa in die Karibik ist die Segelstrategie normalerweise ganz simpel. Man segelt gegen Ende des Jahres von den Kanaren gen Süden, hat einen optionalen Zwischenstopp auf den Kapverden und dann findet man irgendwann den Passat. Der weht beständig von Ost nach West und bringt den Segler zuverlässig in die Karibik. Für uns waren es drei unerwartet entspannte Segelwochen, in denen wir allenfalls dann und wann von einem Squall begossen wurden.

In die Gegenrichtung ist es nicht ganz so leicht, die Strategie ist etwa ähnlich. Wenn Iridium das Bild nicht verhunzt, kann man auf der ersten Kachel die grobe Route sehen. Sie geht in etwa mit dem Golfstrom und es war ziemlich schwer, diesen blöden roten Pfeil auf dem bewegten Boot mit der Maus zu zeichnen. Alle sagen, dass diese Richtung härter zu segeln ist. Aber schon Kolumbus hat diese Route gemeistert und der hatte noch keine Wettervorhersage wie wir.

Hier geschehen gerade keine seglerischen Katastrophen, wir haben keine IT-Probleme mehr und sind gesund, also schreibe ich ein paar Zeilen über das Wetter. Das ist nämlich leider nicht so beständig, wie auf der Passatroute. Es will ständig beobachtet werden, die Route wird daran angepasst. Manch ein Segler kauft sich Wetterrouting ein, d.h. er bestellt bei einem Wetterdienst individuelle Wettervorhersagen inklusive Segelempfehlungen. Wir schauen selbst auf die Wetterkarte.

Zum Abendessen mache ich Frikadellen. Wir haben fünf Portionen Bourgignon-Fleisch in der Gefriertruhe. Das klingt viel schöner, als das profane Gulasch. Heute wird eine Portion davon gewolft und eben zu diesen Fleischklopsen verarbeitet. Eigentlich wäre Jens heute mit dem Kochen dran, doch er traut sich und seiner Seekrankheit noch nicht über den Weg. Also erledige ich den Job. Lecker. Während des Abendessens legt Jens plötzlich mit der Essgeschwindigkeit zu, sein Gesicht erhellt sich und er erklärt, dass die Seekrankheit jetzt vorbei ist. Magische, heilende Buletten.

Jens geht zu Bett und ich beginne meine Abendschicht. Heute habe ich seit langer Zeit mal wieder ein deutsches Buch in der Hand. In Aruba gibt es Bücher in Englisch oder Dutch. In Guadeloupe sind die Druckerzeugnisse logischerweise in Französisch. Im Reisegepäck von Jens war das Buch „Qualityland“ von Marc-Uwe Kling. Ich genieße meine Wache und sehe plötzlich aus dem Augenwinkel, dass ein Schiff auf dem AIS angezeigt wird. Natürlich besiegt die Neugier den Hunger nach Lektüre. Klammheimlich hat sich von hinten die Helios an uns angenähert, ein Segelboot von 12 Metern Länge wie wir. Nur etwas schneller auf einem etwas höheren Kurs am Wind unterwegs.

In vermeintlicher Kenntnis der Wettervorhersage wundere ich mich über seinen Kurs. Meines Erachtens hält er auf eine Flautenzone zu. Allerdings ist er schon der zweite französische Segler an diesem Abend auf diesem Kurs. Der andere war größer und viel schneller. Ich greife zum Funkgerät und rufe ihn auf Französisch an. Die Helios ist auch zu den Azoren unterwegs. Wir diskutieren eine Viertelstunde über das Wetter. Er hat Wetterrouting eingekauft und diesen Kurs vorgeschlagen bekommen. Da wir mit seiner Geschwindigkeit mithalten können, ändere ich den Kurs. Von sanftem Halbwind auf moderaten Am-Wind-Kurs.

Am Morgen ruft die Helios die Sissi. Ich schlafe, Jens antwortet auf Englisch. Der Skipper der Helios stellt fest, dass Sissi nun Englisch spricht, dass also jemand anderes am Funk ist. An der Stimme kann man Jens und mich nicht auseinanderhalten. Er teilt Jens eine Kursänderung mit. Das ist sehr freundlich. Vielleicht können wir noch eine Weile den Kontakt halten, das würde mich sehr freuen. Klappt aber wahrscheinlich nicht, denn die Helios ist einen Viertelknoten schneller als wir.

Ich hoffe, dass auf dem Bild die Wettersituation der kommenden 10 Tage zu erkennen ist. Von Grönland her kommt ein größeres Tiefdruckgebiet, an dessen Rand wir entlang segeln müssen. Sind wir zu weit drin, wird es sicherlich ungemütlich. Sind wir zu weit weg, landen wir in einem Flauteband. Der neue Kurs spart uns einen Haufen Meilen, weil er direkter ist. Die Kunst ist es, zum richtigen Zeitpunkt an der richtigen Stelle zu sein. Ich bin gespannt.

3. Etmal: 133 nm
Position: 21°01’N 62°14’W

Kommunikationsstörung behoben!

Wir können wieder uneingeschränkt Mails über Satellit empfangen. Das schreibe ich noch einmal in einem eigenen Beitrag, weil die Information im heutigen Blog wohl zu tief vergraben war. Natürlich freuen wir uns über jede Mail!

Geiz ist geil! Elektronische Katastrophen und ein Lauf

An Bord mangelt es uns nicht an kommunikativen Gadgets. Wir haben immerhin drei Android-Telefone und zwei Tablets im Gepäck. Auf all diesen Geräten ist die Software für IridiumGo! installiert. Ich persönlich nutze ein Google Pixel 4a. Das Gerät erfreut mich mit einem unverbastelten Android und es kommt ohne Software, die man nicht will. Aus dem Playstore habe ich die Iridium-Software installiert. Die Konfiguration ist kein Problem, das gehört für einen Softwareentwickler zum kleinen Einmaleins. Schon in Aruba habe ich das Gerät getestet und mir eine E-Mail nach Hause geschickt. Alles gut. Viel mehr wollte ich nicht testen, die Datenflatrate war nicht aktiv und zeitgetaktete Verbindungen sind über Satellit sehr teuer. Da war ich geizig.

Im Übrigen lief in der Vergangenheit auf der ganzen Reise die Iridium-Kommunikation über ein damals auf dem Hinweg in Portugal erworbenes Huawei-Tablet. Das allerdings hatte sich in den letzten Monaten des Jahres 2021 so sehr aufgebläht, dass ich ihm die Rückreise nicht mehr zugetraut habe. Mein Neffe Eike brachte ein neues Tablet mit, ebenfalls ein Huawei. Das erwies sich als Totalausfall. Damit kann man nicht einmal auf den Playstore zugreifen. Die installierte Version der Iridium-Software ist uralt und funktioniert gar nicht. Die ausgehenden Mails landen nicht im Spool-Ordner. Das kommt von den Sanktionen gegen China und bringt die Weltpolitik auf die Sissi. Die Reise nach Guadeloupe haben wir noch über das alte Tablet abgewickelt, die Dinger sind in Aruba sehr teuer. Da war ich geizig. Außerdem habe ich ja noch das Telefon als Rückfallebene.

In Guadeloupe kosten die Geräte kaum mehr als in Deutschland. Ich erwerbe ein Samsung-Tablet. So will ich ganz sicher gehen, denn die Dinger sind wirklich weit verbreitet. Ich installiere die Software, teste sie kurz und dann spiele ich mit Eike wieder Schach. Es sieht alles gut aus. Eike fliegt nach Hause, ich streiche das Cockpit. Nebenbei mache ich noch Probefahrten und habe mit den Kleinigkeiten viel zu tun. Irgendwann ist die Datenflat wieder aktiv. Ich kümmere mich nun um die Kommunikation und muss feststellen, dass die aktuelle Version aus dem Playstore auch die ausgehenden Mails nicht in den Spool-Ordner bekommt. Die Kommunikation mit dem Telefonprovider läuft aufgrund des Zeitunterschieds zäh. Hätte ich das Gerät mal gleich nach dem Kauf gründlich getestet. Da war ich geizig. Außerdem habe ich ja noch das Telefon als Rückfallebene.

Auf dem kleinen Samsung-Telefon, in dem immer die Aruba-Simkarte steckte, ist die Software. nicht installiert. Warum auch? Ich habe ja mein eigenes Telefon. Da war ich faul.

Jens und ich fahren los und setzen die Segel. In der Nacht setze ich die erste Positionsmeldung an unser Tracking über den Satelliten ab. Ich sehe eine eingehende E-Mail und freue mich, öffne gleich den Posteingang und sehe – nichts. Gar nichts. Das Gerät hat die Mail verschluckt. Das gleiche Verhalten zeigte mein altes Pixel 3, das wegen Fettleibigkeit zum Batterietausch nach Deutschland gereist ist. Mein Telefonprovider war damals wirklich gründlich bei der Sache und konnte das Problem nie lösen. Deswegen kaufte ich damals das Huawei.

Jens hat die Iridium-Software glücklicherweise auf seinem Telefon installiert, einem Pixel 4 ohne das a. Ich leite ihn durch die Konfiguration. Er macht einen Test, es funktioniert sofort. Warum? Wir prüfen die Einstellungen der Telefone. Sie haben beide exakt den gleichen Softwarestand in ihrem Betriebssystem. Auch die Version der Iridium-Software ist identisch. Im Gegensatz zu Jens habe ich meiner App die Berechtigungen gegeben, die sie braucht. Das kenne ich noch aus der Konfiguration des alten Huawei. Nur funktioniert seine ohne die Berechtigungen, meine aber mit den Benutzerrechten nicht. Ich ändere das, das Ergebnis ändert sich nicht. Bei Jens kommen die E-Mails an, bei mir nicht. Hauptsache ist, dass wir wieder erreichbar sind. Sonst wäre es schwer, uns das Eintracht-Ergebnis in Londen mitzuteilen. Die Iridium-Software ist Vollschrott.

Sissi kümmert sich inzwischen ums Vorankommen. Sie gleitet bei drei bis vier Windstärken mit sechseinhalb Knoten über den Atlantik. Der ist bei diesen Windverhältnissen eigentlich schon so ruhig wie der Teich im Frankfurter Palmengarten. Das fühlt sich für Jens leider anders an, auch heute ist er noch nicht richtig fit. Antigua haben wir hinter uns und in der Nacht fahren wir an Barbuda vorbei. Die Schufterei mit dem Schrubber hat sich jedenfalls gelohnt. Bis zu den Azoren bringt uns der glatte Rumpf bestimmt vier oder fünf Tage Zeitvorteil. Über unsere Stromproduktion können wir überhaupt nicht meckern, am frühen Nachmittag vermeldet der Batteriemonitor 100% Ladung in allen Batterien.

Bei der Wachablösung in der Nacht bin ich wirklich richtig müde. Ich schlafe durch bis um 10 Uhr morgens. Nach dem Aufwachen sehe ich das Gesicht von Jens, der mir einen Kaffee klaut. Damit ist mir klar, dass er seine Seekrankheit überwunden hat. Wir sind immer noch über sechs Knoten schnell, auch der Kurs ist sehr gut. Die Eintracht hat das Finale erreicht, unser Signalhorn trötet über den weiten, leeren Ozean. Europa, wir kommen!

2. Etmal: 131nm
Position: 18°57’N 62°47W

(Sollte dieser Beitrag mehrfach erscheinen, sind es Spätfolgen der technischen Probleme)