Land in Sicht!

Jede Seereise findet irgendwann ihr Ende, auch diese. So lasse ich Sissi gerade durch die Dunkelheit galoppieren, immer die Lichter von Basseterre, der Hauptstadt von Guadeloupe zu meiner linken Seite. Eike hat sich vor fünf Stunden ins Bett gelegt. Wir haben mal wieder versucht, eine Partie Schach zu spielen. Es wurden deren zwei, aber nicht mehr. Dann hat sich bei ihm die Seekrankheit wieder gemeldet und er hat sich hingelegt. Seit mehr oder minder acht Tagen hat er einen flauen Magen. Die Reisetabletten sind alle aufgegessen, genau wie das frische Fleisch, das frische Gemüse und die Schokoriegel auch. Ein paar Karotten liegen noch im Kühlschrank, doch Eike ist kein Esel, Karotten sind nicht sein Ding.

Die drei Heiligen. Diese Inseln hindern uns noch am direkten Kurs zum Ziel.

Irgendwie passt es mir nicht, den Riesenumweg zu fahren. Ich lade eine frische Wettervorhersage herunter, vielleicht finde ich eine Lösung. Wenigstens etwas Frisches hier an Bord. Beim Betrachten der windtoten Zone hinter den Bergen von Guadeloupe fällt mir auf, dass es möglich ist, diese zu durchqueren. Auch ohne Motor. Denn der Wind dreht um einige Grad und bläst diese Zone einfach weg. Wenn wir es schaffen, zwischen 19 Uhr und Mitternacht über diesen Bereich zu kommen, können wir eine gewaltige Strecke abkürzen. Der Seegang hat schon abgenommen, Guadeloupe klaut nicht nur den Wind, die Insel schützt auch vor den großen Wellen. Sissi beschleunigt auf 6,5 kn. Warpgeschwindigkeit. Die müssen wir nur noch sechs Stunden durchhalten und schwupp haben wir den traurigen Bereich hinter uns.

Zweisamkeit auf einem Segelboot ist so eine Sache. Die Kommunikation mit der Außenwelt ist auf eine dünne Satellitenverbindung beschränkt. Klar, Emails kann man immer senden und empfangen, auch Eike hat diesen Luxus genutzt. Es ist aber ein zweischneidiges Schwert. Heute kam eine Mail für Eike von einem guten Freund, der Gesprächsbedarf hat. Eike würde gerne mit ihm sprechen. Das geht halt nicht. Internet – bei uns immer verfügbar, hier ist es nicht vorhanden. Das Handy ist zu einer teuren Uhr mit Kamera degradiert. Nicht einmal die heruntergeladenen Serien kann er sich ansehen, das würde nur die Seekrankheit anfeuern. Und mit mir kann man sich auch nicht immer gut unterhalten. Während ich versuche, das Schleppen in den Hafen zu organisieren, habe ich meinen Kopf mit anderen Dingen gefüllt und bin auch nicht immer ansprechbar.

Derweil prescht Sissi mit Höchstgeschwindigkeit dorthin, wo sonst immer die tote Zone ist. Die Sechs steht eigentlich immer auf dem Tacho. Stunde um Stunde setze ich Wegpunkte in der Wetter-App und beobachte, wie sich die verbotene Zone mehr und mehr zurückzieht. Es sieht so aus, als würden wir doch schon am Dienstag ankommen. Moment – mir fällt auf, dass sich der Winddreher erst morgen ereignen wird. Heute ist Montag. Ich eile ins Cockpit und komme gerade rechtzeitig, um die Segel einfallen zu sehen. Sofort gehe ich auf Südkurs, der uns aus der Zone herausbringen soll. Sissi fährt nur noch mit dreieinhalb Knoten. Wir haben die tote Zone gefunden.

Aber eins sei mal gesagt: Mit dreieinhalb Knoten ohne nennenswerte Wellen vor Guadeloupe cruisen ist allemal besser, als mit zweieinhalb Knoten unter Motor durch die Wellen zu stampfen. Das Segeln ist sehr angenehm. Ich erinnere mich an die vielen Segeltörns mit Christoph, der mir viel über Segeltrimm beigebracht hat. So kann ich das Beste aus dem wenigen Wind herausholen. Und mir kommt eine Idee, wie Sissi selbständig den Weg um die tote Zone finden kann. Etwas luvgierig getrimmt, zieht sie bei viel Wind direkt auf das Ziel zu, bei wenig Wind hält sie sich per Leeruder aus der Zone raus. Theoretisch. Es funktioniert sogar einigermaßen.

Am Morgen stellt sich heraus, dass der Plan zur Hälfte funktioniert hat. Wir können es heute noch schaffen, es wird aber spät am Nachmittag. Die Marina hat bis 20 Uhr geöffnet, den Abschleppdienst habe ich gerade angeschrieben. Jetzt warten wir ab und segeln.

Spezielle Adresse an alle Freunde von Eike: Sein Telefon ist kaputt, er kann im Augenblick weder Whatsappen noch Telefonieren. Erst brauchen wir einen Handyshop, der es reparieren kann. Das Problem ist, dass wir die SIM-Karte nicht herausbekommen. Deswegen können wir sie leider noch nicht in mein Ersatztelefon stecken, um ihn wieder online zu bringen.

9. Etmal: 89 nm
Wir sind beinahe da…. doch die letzten Meilen ziehen sich am längsten.

Endspurt

Der drittletzte Seetag oder der vorletzte komplette Seetag. Die Nacht war ereignislos, Eike hat noch ein paar Mal die Genua verkleinert. Als ich aufwache, fahren wir noch mit 2,5 kn in Richtung unseres Ziels. Dafür sind wir aber sehr ruhig unterwegs. Die Schräglage bringt uns ganz neue Erfahrungen mit der Küchenspüle. So lange ich Sissi habe, habe ich das Seeventil an der Küchenspüle nie geschlossen. Jetzt sind wir schon fast einen Tag mir ordentlich Schräglage auf dem Steuerbordbug unterwegs und müssen feststellen, dass das Wasser aus dem einen Spülbecken in das andere läuft und sich dabei mit dem Atlantik vermischt, der von unten ebenfalls zum Spülen kommen möchte. Also steuern wir das Schiff ein wenig mehr in den Wind, die Schräglage nimmt ab und das Wasser kann ablaufen. Schnell das Seeventil wieder schließen und alles ist gut.

Gerade brummt der Watermaker unseren Wassertank wieder voll. Wir haben Strom satt, nach dem Abschalten der Gefriertruhe sind unsere Batterien über Nacht auf 100% geladen worden. Das münzen wir jetzt um in Wasser.

Für die Psyche ist es natürlich total doof, dass wir erst einmal komplett an Guadeloupe vorbei fahren müssen, bevor wir den endgültigen Kurs anlegen können. Wir wollen ankommen, es reicht. Aus den geplanten fünf bis sieben Seetagen sind inzwischen acht geworden, zwei stehen uns noch bevor. Das ist halt so. Hätten wir einen Motor, könnten wir den direkten Weg nehmen.

8. Etmal: 88 nm
Entfernung nach Pointe-a-Pitre: 140 nm

Wir haben ein neues Ziel!

Am frühen Nachmittag versuche ich, den Motor wieder in Gang zu bringen. Dazu gehört auch, dass ich versuche, alle Fehlerquellen nach und nach durchzugehen. Ich prüfe, ob genug Diesel im Tank ist. Dabei fällt mir auf, dass in dem Steigrohr, in welchem ich den Pegel ablese, irgendwas Biologisches zu treiben scheint. Ich fluche, vermute Dieselpest. Haben die in Bonaire etwa verseuchten Kraftstoff verkauft? Also fange ich an, die 20 Bolzen, die die Wartungsluke des Dieseltanks verschließen, einen nach dem anderen abzumachen. Das dauert nur eine Stunde. Anschließend kann ich das Saugrohr für den Diesel herausnehmen. Es ist blitzblank, keine Spur von einer Verseuchung. Genau so der Diesel im Tank, der sieht sehr gut aus.

Nachdem ich die Hälfte der Bolzen wieder reingeschraubt habe wird mir klar, dass diese Arbeit auf See vollkommen unnötig ist. Das kann ich auch machen, wenn wir wieder ruhig im Hafen liegen. Ein Hafen ist jetzt auf jeden Fall angesagt, denn ein Mechaniker kommt nicht mit dem Dinghi. Der Jockel muss wieder laufen.

Den Motor begutache ich von allen Seiten. Der Ölstand ist noch genau so, wie ich das Öl bei der Inspektion eingefüllt habe. Also ist er auch nicht verstorben, weil er zu wenig Öl hatte. Das stimmt mich hoffnungsfroh. Mit dem Kühlwasser ist es genauso, alles ist so wie es sein soll. Zumindest habe ich den Motor also nicht verheizt.

Mein Blick fällt zum dritten Mal auf den Diesel-Vorfilter. Der soll doch eigentlich komplett mit Diesel gefüllt sein, ist er aber nicht. Statt dessen ist er voll mit Luft. Mir wird in diesem Moment klar, dass der Motor in jedem Fall ausgegangen wäre, ob das Segel schon oben war oder nicht. Mit Luft läuft der Dieselmotor nicht sehr gut. Die Dieselleitung kommt mir komisch vor, sie scheint porös zu sein. So einiger Ärger in den letzten Wochen mit dem Motor scheint von dieser Fehlerquelle her zu rühren. Leider habe ich nicht genug Dieselleitung auf Lager, um sie auf See zu ersetzen.

Auf jeden Fall müssen wir nun mit dem Strom haushalten, denn wir können nicht mehr einfach so mit der Maschine nachladen. Die Gefriertruhe wird ausgeschaltet. Aus dem letzten Blätterteig mache ich leckere Käsesnacks. Die gefrorene Bolognese wird unser Abendessen. Die vakuumierten Käseblöcke können auch in den Kühlschrank, die hätte man gar nicht einfrieren müssen. Viel war nicht mehr drin. Das Roastbeef wird schon eine Verwendung finden, da habe ich keine Zweifel. Nun haben wir 80 Ah mehr am Tag, damit sollten wir auf jeden Fall auskommen.

Nur – wohin fahren? Ich würde schon gerne die Eisenbahn in St. Kitts sehen. Aber St. Kitts hat nur eine kleine Marina und ich habe keine Ahnung, wie es mit den Reparaturmöglichkeiten dort aussieht. Wir haben 190 Dollar für Covid-Tests ausgegeben, die in St. Kitts mitgebracht werden müssen. Herausgeschmissenes Geld. Dafür sparen wir jede Menge Geld für Diesel, denn unser Tank wird jetzt nicht mehr leerer.

Guadeloupe und Martinique sind die Sehnsuchtsziele der Franzosen in der Karibik und die Franzosen segeln gerne und viel. Eine Inlandsreise von Bordeaux nach Martinique, Guadeloupe und wieder zurück ist bei unseren Nachbarn durchaus an der Tagesordnung. Aus Martinique erinnere ich mich an riesige Marinas und schnappe mir den Revierführer. Eine Marina nach der anderen in Guadeloupe gehe ich durch, darunter die Marina Bas le Fort in Pointe-a-Pitre. Die verspricht alle Gewerke und beste Reparaturmöglichkeiten. Ich schreibe eine Email an Jens. Der soll mir die Email-Adresse besorgen, denn die steht leider nicht im Buch.

Ich werde uns anmelden und um Schlepphilfe bitten. Es ist besser, wenn sie das vorher wissen und nicht per Funkgerät überrascht werden. Eike ist etwas unglücklich damit, wie sich die Situation entwickelt. Die Fahrt nach Guadeloupe ist ein wenig länger. Noch länger wird sie, wenn ich auf die Windvorhersage schaue. Wir müssen einen Riesenzacken bis in Höhe von Domenica fahren. Direkt westwärts von Guadeloupe ist ein windtotes Loch. Da dürfen wir nicht drin hängenbleiben. Dann brauchen wir den richtigen Winkel, um auf die andere Seite der Insel kommen zu können. Insgesamt sind es wohl 60 bis 80 Meilen Umweg, weil wir keinen Motor haben. Das ist fast ein ganzer Tag.

Der Wind frischt auf, noch vor dem Abendessen reffen wir die Genua. Nach dem Abendessen reffen wir noch einmal. Für die Nacht ist sehr viel Wind vorhergesagt. Eike hat sich hingelegt und ich schreibe schon einmal den Blog, der heute 12 Stunden früher erscheint. Wir haben ein neues Ziel! Wir fahren nach Guadeloupe. Ich erwarte, dass wir dort im Laufe des Mittwochs eintreffen werden. Gerade bohrt sich unser Bug wieder und wieder in die Wellen, wir sind immer noch zu schnell. Ich schließe für jetzt und gehe noch etwas reffen.

Gerefft fährt es sich ziemlich gut. Da Eikes Gästekoje diese und die kommende Nacht mehr ein Rodeopferd als ein Schlafplatz sein wird, räumen wir heute Abend noch schnell die Koje von Jens aus. Zum Glück ist da nicht mehr viel Zeug drin gelagert. So hat Eike auf dem Steuerbordbug die einzige Koje an Bord für sich, in der man bequem liegen kann. Ich habe das Gefühl, dass es ihm hilft. Er hat nämlich beim Abendessen zu mir gesagt, dass er vermutlich schon seit einer Woche seekrank ist. Nur das leckere Essen hier hält ihn aufrecht. Ich werde mir weiterhin Mühe geben, brauche aber langsam mal wieder eine Metzgerei und einen Gemüseladen. Außer drei verbliebenen Karotten gibt es keine frischen Lebensmittel mehr an Bord. Doch verhungern werden wir nicht.

Entfernung mit allen Zacken nach Pointe-a-Pitre: 165 nm