Hochseilakrobatik im Hafen

Heute hatten wir das Vergnügen, einer seltenen Abwechslung zusehen zu können. Charly wollte seine WLAN-Antenne wieder in die Mastspitze bringen, wo sie hingehört. Deswegen wurde zunächst die Mastleiter installiert. Wir haben es beim Morgenkaffee bemerkt und dachten zunächst, die Show sei schon vorbei. Nach dem Kaffee spaziere ich rüber zu Chapo und sehe, wie Charly sich gerade an den Aufstieg macht. Ute und Jutta sichern unten am Mast. Im Hafen passiert im Augenblick nicht viel, deswegen schaut auch der Nachbar vom Motorboot interessiert zu.

Charly steigt auf.

Charly ist gebürtiger Bayer und die Bayern haben hohe Berge, sind das Klettern und das Arbeiten in einer Seilschaft gewöhnt. Das merkt man sofort. Bayern kennen auch keine Höhenangst. Ich gehe nicht auf den Mast, dafür habe ich Jens. Der klettert in Kletterhallen und ist damit fast so qualifiziert wie ein Bayer.

Mit ruhiger, entspannter und klarer Stimme gibt Charly eindeutige Anweisungen an das Sicherungsteam, während er beim Aufstieg die letzten Handgriffe zur Montage der Mastleiter durchführt. In regelmäßigem Abstand werden Haltegurte um den Mast gelegt, damit die Leiter nicht wegrutschen kann.

Haltegurte

Jutta und Ute führen die Anweisungen von oben zügig aber ohne Hast durch. Die Kommunikation im Team ist eingespielt. Charly kommt schnell bis an die Mastspitze und bringt die WLAN-Antenne innerhalb weniger Minuten an ihren Platz. Dabei arbeitet er sorgfältig, denn ein erneuter Aufstieg in der Hitze wäre anstrengend. Der Zeitpunkt an und für sich ist perfekt gewählt, denn den ganzen Vormittag schon ist es bewölkt, die Sonne brät nicht so wie sonst.

Am Gipfelkreuz. Die Sehnsucht eines jeden Bergsteigers.

Nach wenigen Minuten ist die Montage erledigt. Während ich mich noch mit Jutta unterhalte und wir über die Vorzüge der neuen Mastleiter sprechen, gibt Charly schon von oben die freundliche Anweisung, ihn langsam wieder abzuseilen. So schnell hätte ich die Antenne nicht auf dem Cockpitdach montieren können, geschweige denn in so großer Höhe. Chapeau.

Eine Kleinigkeit vergessen.

Nach dem Rückweg zur Sissi fällt mir bei der Sichtung der Fotos auf, dass wirklich alles gut gelaufen ist. Charly geht rauf, Charly geht runter, die Antenne sitzt an ihrem Platz und abeitet. Nur die Mastleiter kann nicht mehr herunter genommen werden. Trotz aller Sorgfalt und Umsicht ist der oberste Haltegurt am Mast geblieben.

Das freut mich sehr, ich habe die Gelegenheit noch einer zweiten Hochseilshow beiwohnen zu können. Charly möchte nicht den ganzen Kletterspaß für sich alleine haben. Deswegen darf Jutta auch einmal nach oben und Charly sichert gemeinsam mit Ute.

Charly und Ute sichern

Es dauert nur ein paar Minuten, dann erreicht Jutta die Mastspitze. Sie entfernt den letzten Haltegurt, anschließend geht es wieder abwärts.

Es ist schön, wenn nicht immer nur der Alltag stattfindet.

Jutta auf dem Weg nach oben.

Dem kleinen, grünen Iguana ist das alles gleich. Er schaut mich auf meinem zweiten Weg zurück zu Sissi mit seinen Reptilienaugen an und bettelt um ein Foto. Die Sonne hat sich wieder einmal gegen die Wolken durchgesetzt.

Grüner Iguana

Tortuga sticht in See

Holger haben wir vor zwei Wochen kennengelernt. Damals lag er mit seiner Tortuga hinter der Landebahn des Flughafens vor Anker. Dort hatte er kein Internet und so sind der Corona-Ausbruch und die Folgen für alle Segler zunächst an ihm vorbeigegangen. Er bemerkte zwar, dass der Verkehr auf der Uferstraße in der Nacht komplett zum erliegen gekommen ist, wusste aber nicht warum. Holger wartete alleine an Bord auf seine Crew. Die vorherige Crew konnte noch regulär nach Hause fliegen, die neue Crew aber nicht mehr in Aruba einreisen. Ein echtes Problem.

Tortuga an der Tankstelle

Ein Freund von Holger sitzt auf Martinique und würde ihm bei der Überführung nach Deutschland helfen. Der darf aber auch nicht nach Aruba. Also will Holger nach Martinique. Er hat sich schlau gemacht, weiß von den 14 Tagen Quarantäne, die ihn nach der Einreise erwarten. Dennoch fährt er nach Martinique.

Die Leinen sind los, die Fender werden noch verstaut.

Wir wünschen Holger eine gute Reise, perfekten Wind und dass er die richtige Entscheidung getroffen hat. Entscheidungen treffen ist heutzutage nicht einfach, weil sich die Rahmenbedingungen so schnell ändern und Segelboote so langsam sind.

Tortuga verlässt Oranjestad

Wenn wir mit dem Segelboot unterwegs sind, müssen andauernd Entscheidungen getroffen werden. Meist sind Wetter und Wettervorhersage Grund dafür, dass diese Entscheidungen notwendig sind. Damit können wir umgehen.

Vernagelte Schaufenster

Auch wenn wir in Oranjestad im Augenblick alles haben, was wir brauchen, machen mir bestimmte Anzeichen Sorge. Im Hafen liegt eine große Motorjacht eines alten Holländers, der schon vor 15 Jahren nach Aruba gezogen ist. Gestern hat er sich vom Supermarkt große Mengen Nahrungsmittel auf sein Boot liefern lassen. Er meint, dass die Leute im Augenblick noch entspannt seien, weil sie noch Geld haben. Das wäre in ein bis zwei Monaten anders. In der Innenstadt gibt es praktisch kein Geschäft mehr, das nicht die Schaufenster mit Brettern vernagelt hätte.

Vielleicht verlegen wir Sissi in die zweite Marina auf Aruba. Dort ist die Liegegebühr günstiger und sie liegt ziemlich abseits von allem. Das Einkaufen wäre zwar beschwerlicher, dafür wären wir aber weit weg von jedem für Randalierer oder Plünderer interessanten Fleck. Vielleicht passiert aber auch gar nichts. Auf welcher Grundlage sollen wir eine solche Entscheidung treffen?

Sonnenuntergang, immer wieder schön.

Auf keinen Fall sollte man Entscheidungen mit leerem Magen treffen. Wir haben Leiterchen beim Metzger eingekauft und diese über Nacht in einer leckeren Jerk-Tomaten-Marinade eingelegt. Unser großer Topf ist voll, es ist eine Portion für fünf hungrige Personen. Diese Leiterchen habe ich dann dreieinhalb Stunden auf kleinster Flamme schmoren lassen. Jutta hat bergeweise Pommes frittiert und für Gemüse gesorgt. Jens hat einen Schoko-Nuss-Pudding gerührt. Gemeinsam gab es dann eine große Völlerei. Das Fleisch war perfekt mürbe und löste sich problemlos von den Knochen. Der Wachmann von der Marina ist uns fast in den Topf mit den Leiterchen gesprungen. Eidechsen mögen auch Schoko-Nuss-Pudding. Die Entscheidung wird vertagt, der Magen ist viel zu voll dafür. Außerdem kann sie noch ein paar Wochen warten. Dann wissen wir mehr.

Eins wissen wir jetzt allerdings mit Sicherheit: Corona macht dick und rund.


Nachtrag: Die Tortuga ist wieder auf Aruba. Holger musste aufgrund von Problemen umdrehen.

In einem anderen Land zu einer anderen Zeit

Es ist nicht leicht, diese Tage so zu verbringen, dass man nicht blöd im Kopf wird. Der tägliche Gang zum Supermarkt wird zu einem der Höhepunkte des Tages. Obwohl die Marinadusche, die Personaldusche des angrenzenden Hotels, eine ganz miese Aufenthaltsqualität hat, ist der Besuch dort ein weiterer Höhepunkt. Gestern habe ich fünf Stunden am Herd verbracht und ein Abendessen für die Chapo und uns gezaubert. In der ganzen Zeit habe ich Jens mit Küchengerüchen gequält. Das Ereignis war ein auf knackigen Karotten zartrosa gebackener Rinderbraten mit einem Riesenberg knuspriger, mit ein wenig Parmesan verfeinerter Kartoffelpuffer. Zugegebenermaßen wurde der Braten mehr rosa als zart, aber es hat allen geschmeckt. In den letzten Tagen bekochen wir uns gegenseitig.

Positiv an der Situation ist, dass wir zu Dingen kommen, die wir seit Monaten haben liegen lassen. In Lissabon haben wir viele Videos gemacht, geschnitten und veröffentlicht haben wir bisher nichts. Während ich am Herd stand, hat Jens sich mit dem Videoschnitt beschäftigt. Und nun haben wir ein kleines Video von Lissabon mit – ähm – geringem Straßenbahnanteil. Die Straßenbahn dort ist meiner Meinung nach ein rollendes Denkmal.

Auf der anderen Seite des Atlantik, ein halbes Dutzend mit Touristen voll beladener Kreuzfahrtschiffe vor der Stadt, geöffnete Bars und Restaurants, Menschenmassen walzen sich durch die Innenstadt, klumpen sich vor dem Aufzug in die Oberstadt oder quellen aus voll besetzten Straßenbahnen. Ich habe mir das Video zwei oder dreimal angesehen. Nicht wegen der tollen Aufnahmen mit der wackeligen Handkamera. Nicht wegen der phantastischen Filmmusik (Gema-frei). Nicht, weil ich sonst nichts zu tun habe. Ich habe mich am Leben auf den Straßen erfreut.

Ist die Szene bei 3 Min 46 Sekunden als Ausblick in die Zukunft zu verstehen? Wie sieht das Leben in der Öffentlichkeit in einem halben Jahr oder einem Jahr aus?