Überfahrt nach Barbados Tag 6 – Segeln wie im Prospekt

Wir haben nicht besonders viel Wind, aber wir haben jetzt so eine Art Wind. Er hat gerade mal auf 15 bis 18 kn zugelegt, aber das genügt für eine Verbesserung des Reisekomforts um mehrere Zehnerpotenzen. Das Segel hat so viel Druck, dass es bei keiner Schiffsbewegung mehr schlägt. Außerdem sind die Schiffsbewegungen insgesamt wesentlich angenehmer. Und es kehrt Ruhe ein. Durch die geringeren Schiffsbewegungen knarzt die Inneneinrichtung nicht mehr so viel und das Geschirr im Schank klirrt auch nicht mehr.

Auch heute beißt während unserer Skatrunde ein Fisch an, auch heute verlieren wir ihn. Diesmal durften wir den Köder aber behalten. Immerhin nähern wir uns einem erfolgreichen Fang. Unser Kühlschrank ist sowieso fast leer, da drin würde sich ein Thunfisch sehr gut machen.

Einen guten Teil des Nachmittags sitzen wir einfach nur im Cockpit herum und schauen heraus. Die ruhige Fahrt ist ein sanftes Gleiten durch die Wellen. Es schaukelt fast gar nicht mehr. Unten im Salon fühlt es sich an, als wäre Sissi fest vertäut am Steg. Man hört nichts, außer dem Zischen und Gluckern des Wassers. Eine Delfinschule oder ein kleiner Wal wären der perfekte Rahmen für dieses Bild aus einem Segelbootprospekt gewesen, hatten aber gerade andere Pläne. Wir genießen die Zeit und die Ruhe, die sich bis zum Horizont ausbreitet.

Am Abend starten wir den Motor für eine Stunde. Wenn man seinen Strom normalerweise aus Windkraft und Sonnenenergie bezieht, sind fünf Segeltage mit mäßigem bis geringem Wind und teilweise stark bedecktem Himmel der absolute Killer für die Stromversorgung. Nach einer Stunde vermeldet der Batteriemonitor, dass wieder 70 Ah mehr in den Akkus stecken. Endlich ist wieder Ruhe.

Meine Wache wird dann alles andere als ruhig. Plötzlich schieben über 30 kn Wind Sissi von hinten an. Ich denke zuerst an einen Squall, aber da ist nichts. Das Radar zeigt nichts an. Aber von einer Minute auf die andere hat sich der Wind von einem schönen, gutmütigen Schiebewind zu einem garstigen, böigen und unfreundlichen Wind geändert. Ich muss das Segel reffen, dabei sind nur 15 kn dauerhafter Wind. Die Böen gehen aber bis knapp 30 kn rauf.

In der Nacht werde ich von den Wellen immer wieder im Bett herumgeschleudert. Trotzdem schlafe ich ziemlich gut, der Körper gewöhnt sich an alles. Am Morgen danach finde ich Jens und Jakob im Cockpit, wie sie debil auf die Logge starren und dabei grinsen. Jens hat wieder ausgerefft und der Wind schiebt Sissi mit 6,5 bis 7,5 kn voran. Es fehlt nur noch, dass sie beide auf die Instrumente sabbern. Die Welle ist zwar stärker als gestern, aber die Geschwindigkeit macht den Komfortverlust mehr als wett. Es ist schön hier.

6. Etmal: 120 nm
Position um 12 Uhr: N15°49′ W34°49′
Noch 1449 Seemeilen bis nach Barbados, wir haben 621 Meilen hinter uns.

Bescheuertes Selfie im Cockpit

Überfahrt nach Barbados Tag 5 – Hart und entbehrungsreich!

Ein Skatspiel ist an Bord, ein Schachspiel und das Minderheitenquartett des Postillon. Damit lässt sich etwas anfangen. Außerdem haben wir noch die Angel, mit der wir immer noch keinen Fisch gefangen haben. Also Angel raus und das Kartenspiel klar machen. Ich verkünde, dass man am fünften Tag ruhen soll, wie es schon in der Bibel steht. Wir wollen Skat spielen. Ich glaube, die letzte Runde Skat habe ich im vergangenen Jahrtausend gespielt. Jens noch gar nicht, Jakob genauso oft. Die Angelschnur geht mit einem Köder ins Wasser, einem Köder, der garantiert funktionieren soll.

Dann beginne ich mit der Erläuterung der Regeln. Mit den Werten der Farben, mit dem Reizen, Ausspielen der Karten etc. Es dauert eine Weile, bis ich mich wieder daran erinnere, welche Bedeutung die Buben beim Reizen haben. Und dass man einen Null spielen kann. Und welchen Wert ein Null, ein Null-Ouvert oder sowas haben. An alle Werte kann ich mich nicht mehr erinnern, aber wir sind ja unter uns und üben noch. Normalerweise stehen diese Werte alle auf einer der Karten im Skatspiel. Nur in unserem Bordkartenspiel fehlen sie. Segeln ist hart und entbehrungsreich.

Es macht Spaß. Viel Spaß. Jakob und Jens kapieren die Regeln einigermaßen schnell. Nur gelegentlich wird Trumpf nicht bedient, aber das sind Randerscheinungen. Wir spielen eine Runde aus, dann fällt uns plötzlich auf, dass die Angelschnur komplett rausgerauscht ist. Ein fetter Fisch ist am Haken. Wir machen uns klar für das Thunfischsteak am Abend, Jens kurbelt Meter um Meter zurück auf die Rolle. Das Zählwerk zeigt noch 50 Meter Schnur an, als sich die Kurbel plötzlich ganz leicht drehen lässt. Der Fisch ist weg, der Angelhaken auch. Segeln ist hart und entbehrungsreich.

Anschließend gönnen wir uns eine schöne Dusche. Jeder muss, da gibt es keine Ausnahme. Entweder duschen alle oder keiner. Sonst können wir eine gleichmäßige Geruchsbelästigung der anderen nicht mehr garantieren. Die Dusche ist leider nur kalt, sie hat Atlantiktemperatur (etwa 25°C). Segeln ist hart und entbehrungsreich.

Dann essen wir die Pizza, leider ohne Oregano und ohne frischen Thunfisch. Der Oregano ist uns ausgegangen, den Thunfisch hatten wir nie. Außerdem hatten wir nur zwei Bleche Pizza, drei hätten wir auch wegessen können. Dafür hat der Teig dann aber nicht mehr gereicht. Segeln ist hart und entbehrungsreich.

In der Nacht kommt endlich etwas Wind auf. Die Bootsgeschwindigkeit nimmt zu. Die Bootsgeräusche nehmen ab. Es ist wieder Spannung im Schiff, auch die Rollbewegungen werden angenehmer bzw. verschwinden. Bis ich mir während meiner Wache ein Glas Cola eingießen möchte und dabei die normalen Vorsichtsmaßnahmen ein wenig missachte. In diesem Augenblick erwischt uns mal wieder eine fiese Welle, bringt Sissi ins Rollen, mich ins Taumeln und die Cola auf den Fußboden. Toll, ich darf mitten in der Nacht noch den Fußboden wischen. Segeln ist hart und entbehrungsreich.

Wir stehen per Email in Kontakt mit der Joint Venture II, die eineinhalb Tage vor uns abgefahren ist. Die leiden auch unter dem schwachen Wind. Und wir stehen in Kontakt mit der Björkö, die zwei Tage nach uns abgefahren ist und nicht über Wind klagen kann. In der Nacht werden wir von der Chriscat aus Frankreich in nur zwei Meilen Abstand überholt, leider können wir keine Funkverbindung herstellen. Mehrere Rufe gehen ins Nichts, wahrscheinlich haben die ihr Funkgerät ausgeschaltet, um Strom zu sparen. Schade. Bei denen ist es wohl noch härter und entbehrungsreicher.

Am folgenden Morgen erfreuen wir uns daran, dass in den letzten 24 Stunden nichts kaputt gegangen ist und außer der Angelschnur nichts zerrissen wurde. Wir öffnen eine frische Dose Leberwurst aus Frankfurt und schmieren uns den Inhalt auf das selbst gebackene, frische Brot. Kleine Gewürzgurken hätten super zu dem Brot gepasst, haben wir aber nicht. Bzw. wir finden sie gerade nicht in der Vorratslast. Segeln ist hart und entbehrungsreich.

5. Etmal: 103 nm
Position um 12 Uhr: N15°42′ W32°47′
Noch 1565 Seemeilen bis nach Barbados, wir haben 501 Meilen hinter uns. Den Point-of-no-return haben wir auch hinter uns. Wir können mit unserem Diesel nicht mehr nach Mindelo zurück fahren. Ab sofort müssen wir vorwärts.

Pizza

Überfahrt nach Barbados Tag 4 – Schaukeln, nicht segeln

Man kann es den Leuten niemals recht machen. Besonders nicht bei der Planung der Mahlzeiten auf einem Transatlantiktörn. Wir haben noch jede Menge Gemüse, es ist aber kein frisches Fleisch mehr da. Ab sofort leben wir von unseren Konserven. Besonders unseren Kartoffeln geht es nicht gut. Die vertragen das Klima nicht so richtig und wollen gegessen werden. Die Süßkartoffeln halten sich noch prima. Die können das Klima besser ab. Ich schlug heute ein Gericht mit Bratkartoffeln und für morgen ein Gericht mit den letzten Kartoffeln vor. Daraufhin meuterte Jens, unser Pastafari. „Kartoffeln, immer nur Kartoffeln!“ Da muss ich mir noch etwas einfallen lassen. Vielleicht lege ich Lasagneplatten zwischen die Kartoffelschichten.

Der Wind ist unfreundlich. Irgendwo zwischen wenig und ganz wenig. Das hat zur Folge, dass wir in den Wellen herum taumeln, wie eine betrunkene Kuh auf einer Eisfläche. Wenn uns eine Welle dann richtig erwischt, schlägt die Genua und es kracht in allen Ecken von Sissi. Irgendwie wünsche ich mir schon ein paar Tage mit Starkwind. Damit können wir besser umgehen, dann schaukeln wir auch nicht mit 4 kn vor uns hin, sondern zischen mit doppelter Geschwindigkeit durch die Wogen.

Es hat sich eine Routine der Wachwechsel eingeführt. Nach dem Abendessen gehen Jakob und Jens früh ins Bett, ich habe die Wache bis Mitternacht. Dann wecke ich Jakob, der bis um vier Uhr Dienst tut. Er weckt Jens, der dann den Rest der Nacht an der Reihe ist. Morgens gegen 8:30 Uhr habe ich ausgeschlafen und übernehme von Jens. Das endet dann meist gegen Mittag, danach sind wir alle wach. Dann ist jeder mal an der Reihe. Ansonsten wird gedöst, gelesen, gegessen. Es findet eine tägliche Kontrolle des Boots statt. Haben sich Schrauben gelöst? Wir arbeiten Hand in Hand, routiniert. Wir fahren zusammen über den Atlantik. Manchmal frage ich mich – fahren wir auch gemeinsam?

In den ersten Tagen haben wir uns zunächst wieder an die Regeln auf See gewöhnen müssen, die sich durchaus von denen im Hafen unterscheiden. Es bleibt hier etwa kein Gegenstand dort liegen, wo man ihn abgelegt hat. Wenn man sich nicht mit mindestens einer Hand festhält, bleibt man auch nicht lange stehen. Wir sind jetzt so fit, dass wir in unserer gemeinsamen Tageszeit auch gemeinsam etwas unternehmen können. Wir schlafen inzwischen gut und müssen tagsüber nicht den fehlenden Nachtschlaf nachholen.

Gesellschaftsspiele haben wir nur wenige im Gepäck, doch Online-Spiele werden wir kaum machen können. Auf jeden Fall will ich mich morgen mal an einer Pizza versuchen. Auf anderen Booten bekommen sie das mit der Pizza auch hin, da werde ich Pizza-Gott doch ebenfalls ein paar leckere Scheiben aus dem Ofen ziehen können. Abwechslung muss sein, wir haben keine Kartoffeldiät gebucht. Falls wir übermorgen dann unsere letzten Kartoffeln Neptun übereignen müssen, ist das eben so.

Eigentlich müssen wir nur noch den heutigen Samstag überstehen. In der Nacht zum Sonntag wird Wind aufkommen. Dann wird sich die Stimmung an Bord schlagartig verbessern, denn ein schnelles Boot macht mehr Spaß als ein langsames Boot. Im Augenblick fühlt es sich an, als wäre der Atlantik ein zähflüssiges Sirup. Und die fliegenden Fische nerven. Der Kerl auf dem Foto zu diesem Blog hat unter einem Fender angefangen, vor sich hin zu müffeln. Bäh. Fischsuche ist auch Bordroutine.

Am Morgen erwartet mich vor dem ersten Morgenkaffee die erste Reparatur. Die elektrische Kaffeemühle mahlt keinen Kaffee mehr. Liebevoll nehme ich sie auseinander und streichle die Innereien mit einem zarten Pinsel. Ich befreie sie von großen Kaffeebrocken und finde noch ganz viele tief im Inneren des nützlichsten Haushaltsgeräts an Bord. Dann bekomme ich meinen Lebensspender, den schwarzen Zaubertrank. Mmmmh, lecker.

4. Etmal: 97 nm
Position um 12 Uhr: N15°45′ W31°05′
Noch 1666 Seemeilen bis nach Barbados, wir haben 398 Meilen hinter uns.

Fliegender Fisch