In die Gegenrichtung ist es nicht ganz so leicht, die Strategie ist etwa ähnlich. Wenn Iridium das Bild nicht verhunzt, kann man auf der ersten Kachel die grobe Route sehen. Sie geht in etwa mit dem Golfstrom und es war ziemlich schwer, diesen blöden roten Pfeil auf dem bewegten Boot mit der Maus zu zeichnen. Alle sagen, dass diese Richtung härter zu segeln ist. Aber schon Kolumbus hat diese Route gemeistert und der hatte noch keine Wettervorhersage wie wir.
Hier geschehen gerade keine seglerischen Katastrophen, wir haben keine IT-Probleme mehr und sind gesund, also schreibe ich ein paar Zeilen über das Wetter. Das ist nämlich leider nicht so beständig, wie auf der Passatroute. Es will ständig beobachtet werden, die Route wird daran angepasst. Manch ein Segler kauft sich Wetterrouting ein, d.h. er bestellt bei einem Wetterdienst individuelle Wettervorhersagen inklusive Segelempfehlungen. Wir schauen selbst auf die Wetterkarte.
Zum Abendessen mache ich Frikadellen. Wir haben fünf Portionen Bourgignon-Fleisch in der Gefriertruhe. Das klingt viel schöner, als das profane Gulasch. Heute wird eine Portion davon gewolft und eben zu diesen Fleischklopsen verarbeitet. Eigentlich wäre Jens heute mit dem Kochen dran, doch er traut sich und seiner Seekrankheit noch nicht über den Weg. Also erledige ich den Job. Lecker. Während des Abendessens legt Jens plötzlich mit der Essgeschwindigkeit zu, sein Gesicht erhellt sich und er erklärt, dass die Seekrankheit jetzt vorbei ist. Magische, heilende Buletten.
Jens geht zu Bett und ich beginne meine Abendschicht. Heute habe ich seit langer Zeit mal wieder ein deutsches Buch in der Hand. In Aruba gibt es Bücher in Englisch oder Dutch. In Guadeloupe sind die Druckerzeugnisse logischerweise in Französisch. Im Reisegepäck von Jens war das Buch „Qualityland“ von Marc-Uwe Kling. Ich genieße meine Wache und sehe plötzlich aus dem Augenwinkel, dass ein Schiff auf dem AIS angezeigt wird. Natürlich besiegt die Neugier den Hunger nach Lektüre. Klammheimlich hat sich von hinten die Helios an uns angenähert, ein Segelboot von 12 Metern Länge wie wir. Nur etwas schneller auf einem etwas höheren Kurs am Wind unterwegs.
In vermeintlicher Kenntnis der Wettervorhersage wundere ich mich über seinen Kurs. Meines Erachtens hält er auf eine Flautenzone zu. Allerdings ist er schon der zweite französische Segler an diesem Abend auf diesem Kurs. Der andere war größer und viel schneller. Ich greife zum Funkgerät und rufe ihn auf Französisch an. Die Helios ist auch zu den Azoren unterwegs. Wir diskutieren eine Viertelstunde über das Wetter. Er hat Wetterrouting eingekauft und diesen Kurs vorgeschlagen bekommen. Da wir mit seiner Geschwindigkeit mithalten können, ändere ich den Kurs. Von sanftem Halbwind auf moderaten Am-Wind-Kurs.
Am Morgen ruft die Helios die Sissi. Ich schlafe, Jens antwortet auf Englisch. Der Skipper der Helios stellt fest, dass Sissi nun Englisch spricht, dass also jemand anderes am Funk ist. An der Stimme kann man Jens und mich nicht auseinanderhalten. Er teilt Jens eine Kursänderung mit. Das ist sehr freundlich. Vielleicht können wir noch eine Weile den Kontakt halten, das würde mich sehr freuen. Klappt aber wahrscheinlich nicht, denn die Helios ist einen Viertelknoten schneller als wir.
Ich hoffe, dass auf dem Bild die Wettersituation der kommenden 10 Tage zu erkennen ist. Von Grönland her kommt ein größeres Tiefdruckgebiet, an dessen Rand wir entlang segeln müssen. Sind wir zu weit drin, wird es sicherlich ungemütlich. Sind wir zu weit weg, landen wir in einem Flauteband. Der neue Kurs spart uns einen Haufen Meilen, weil er direkter ist. Die Kunst ist es, zum richtigen Zeitpunkt an der richtigen Stelle zu sein. Ich bin gespannt.
3. Etmal: 133 nm
Position: 21°01’N 62°14’W