Die Hafengebühren sind bezahlt. Ich habe wieder einmal viel zu viele Vorräte eingekauft. Ich plane jede Tour, als würde es tagelang über das Meer gehen, dabei mache ich hier doch nur Kurztrips. Morgens raus und abends rein.
Eigentlich darf ich außer frischem Grünzeug keine Einkäufe mehr machen. Trotzdem kaufe ich noch frischen Fisch, der dann gleich in der Gefriertruhe landet. Man weiß ja nie… Am Tag nach dem Tod der Königin hat BBC das Radioprogramm komplett umgekrempelt. Es werden ausschließlich ruhige Stücke gespielt. Zwischendrin kommen Menschen zu Wort, die von persönlichen Erlebnissen mit der Königin erzählen. Es sind eine ganze Menge Menschen, die etwas zu erzählen haben. In ihren 70 Jahren Regentschaft hat sie viele normale Menschen persönlich getroffen. Menschen, die sich nun erinnern dürfen.
Das Wetter ist ruhig, die Sonne scheint. Ich mache einen kleinen Spaziergang um das Hafenbecken und ein paar Bilder dazu. Eigentlich hätte ich auch heute aufbrechen können, doch das hätte mir für die weitere Fahrt nichts gebracht. Dazu hätte ich böse Wellen erwarten können, denn der Schwell vom starken Wind am Vortag steht noch etwas länger. Außerdem fühle ich mich in Whitehills wohl. Es ist ein ruhiger Ort. Der Hafen vermittelt Geborgenheit.
Einzig der Schwell im äußeren Hafenbecken kann ein wenig nervig sein. Kombiniert mit einer Strömung, die durch das Becken hindurch geht, werden die Boote manchmal an ihren Leinen hin und her gerissen. Ich kann es verschmerzen, ich hatte schon viel unruhigere Liegeplätze. Die Oblomow macht sich reisefertig. Christian und Christoph wollen noch heute Abend loslegen. Sie fahren direkt nach Dänemark und wollen dem starken Wind zuvorkommen, der Anfang nächster Woche aus Norwegen nach Süden blasen wird. Ich will nach Holland und werde genau diesen Wind zu Nutzen wissen. Wenn man weiter westlich auf der Nordsee unterwegs ist, wird es ein prima Segelwind werden.
Mein Blick fällt auf die Fischereiausrüstung. Hummerkörbe, Bojen und Seile liegen auf der Kaimauer. Davor hatte ich bei der nächtlichen Ankunft Angst. Sie liegen im Dutzend vor dem Hafen im Wasser und lauern nur darauf, sich um den Propeller eines ahnungslos einfahrenden Segelboots zu wickeln. Ich erinnerte mich an den Ratschlag von Bernie, den er mir vor drei Jahren gegeben hat. Damals sagte er, dass man unbedingt auf Nordkurs aus dem Hafen raus fahren bzw. im Umkehrschluss exakt auf Südkurs in den Hafen einfahren soll. Dann besteht keine Gefahr, dort lassen die Fischer genug Platz frei. So war es dann auch bei der Einfahrt und so werde ich morgen wieder raus fahren. Tagsüber geht es ja noch, doch in der Nacht kann man die Dinger nicht sehen.
Der Tag neigt sich dem Ende zu. Im Radio spricht Prinz Charles – äh – King Charles III. zu seinen Untertanen. Auch meine Nachbarn von der Lycka wollen morgen abfahren. Sie kommen zwar aus Holland, wollen jedoch nicht wie ich die Nordsee in einem Schlag überqueren. Sie wollen gemütlich die Küste entlang nach Süden segeln, in der Nacht immer in einem Hafen schlafen. Das wäre mein Alternativplan, wenn auf absehbare Zeit kein vernünftiger Wind angesagt wäre. Doch nächste Woche soll dieser Wind ja kommen.
Meine Reise neigt sich unwiderruflich ihrem Ende zu. Noch ein Hafen in Schottland, dann eine letzte Mehrtagestour und dann bin ich schon wieder an der Seeschleuse zum IJsselmeer. Ich würde es gerne noch ein wenig herauszögern, inzwischen möchte ich aber auch ankommen. Erinnerungen werden wach an die Zeit vor drei Jahren, als Jens und ich gestartet sind. Der Brexit war noch nicht vollzogen, wir konnten einfach nach Schottland segeln. Wir waren froh, die Nordsee hinter uns gelassen zu haben und hatten noch alles vor uns. Den Caledonian Canal, die schottische Westküste, Irland, den Atlantik und die ganze Welt. Covid war noch nicht erfunden und Corona einfach nur ein schlechtes Bier. Unsere Kanzlerin hieß Merkel und war eine Institution, fast wie die Queen. Drei Jahre habe ich keinen Herbst oder Winter gesehen. Jetzt sind die Nächte empfindlich kalt und künden vom Ende des schier endlos scheinenden Sommers. Wie wird sich das anfühlen, wieder in Deutschland zu sein? Was mir die Leute erzählen, ist nicht besonders aufmunternd. Unfreundliche Deutsche, Hektik und beruflicher Stress.
Ich verabschiede mich von der Oblomow. Genau wie ich haben die beiden knapp 400 Meilen Wasser vor sich. Nur 400 Meilen denke ich, es ist eine meiner kürzeren Hochseeetappen. Die beiden machen das zum ersten Mal, sie haben denselben Respekt wie ich damals bei der ersten Nordsee Überquerung. Das ist gut, dann werden sie sicher ankommen. Auch ich habe weiterhin Respekt, aber ich weiß ziemlich gut, was in diesen Tagen auf mich zukommen wird und ich wie damit umgehen muss.
Auch Bernie ist zur Verabschiedung der Oblomow gekommen. Er macht seinen Job als Hafenmeister mit sehr viel Herzlichkeit und Engagement. Auch das ist für mich immer ein Grund, in Whitehills einen Stopp einzulegen.
Ich gehe zurück an Bord, brate mir ein Stück frischen Lachs und ein paar Jakobsmuscheln. Mit dem Lachs bin ich anschließend sehr zufrieden, das mit dem Muscheln muss ich noch üben. Zu diesem Zweck habe ich noch ein paar Exemplare in der Gefriertruhe. Nach dem Abendessen wird mir das Radioprogramm zu ruhig. Auch zum Thema Königin ist eigentlich alles gesagt. Ich starte eine Playlist von der Atlantiktour, die ich damals mit Mário schon einmal gehört habe. Sie ist ein wenig Heavy-Metal lastig. Genau das brauche ich jetzt. Ich gehe früh zu Bett, morgen ist ein Segeltag. Oder zumindest ein Fahrtag, es ist nicht viel Wind vorhergesagt.