Seit ein paar Tagen schon brausen wir mit unserem Mietwagen über die Insel. Ich habe das Geschoss für eine Woche gemietet, damit wir uns Guadeloupe in aller Ruhe von der Landseite anschauen können. Am Motor kommen wir im Moment nicht voran, wir warten darauf, dass endlich ein Mechaniker Zeit für uns hat. Die hier im Hafen ansässigen Betriebe sind teilweise für Wochen ausgebucht.
Also nehmen wir das Leben wie es ist. Wir setzen uns ins Auto und fahren nach Basse-Terre. Guadeloupe ist eigentlich zwei Inseln. In der Mitte der beiden Inseln “fließt” der “salzige Bach”, la rivière salée. Im Auto bemerken wir kaum, dass wir auf einer Art Autobahn von der einen auf die andere Insel wechseln, doch die Ampeln, Schranken und Scharniere der Klappbrücke sind mir aus Holland wohlbekannt. In jeder Nacht wird die Brücke geöffnet, so dass Segelboote von einer auf die andere Seite fahren können. Auch mit Sissi möchte ich da noch durch, doch dazu muss der Motor wieder laufen. Die eine Insel “Grande-Terre” ist übersetzt die große Insel, “Basse-Terre” ist die niedrige Insel. Auf dieser befindet sich mit 1467 Metern Höhe jedenfalls der höchste Berg. Einer der höchsten Berge in der Karibik, nicht nur auf Guadeloupe. Einige vorgelagerte Inseln gehören auch noch dazu, die besuchen wir aber mit dem Boot, wenn der Motor wieder läuft…
Auf Empfehlung von Martin (SY Fairytale), der vor ein paar Tagen nach Ende seines Chartertörns mal wieder im Cockpit von Sissi saß, suchen wir uns den dritten Wasserfall des Carbet aus. Auf engen und steilen Straßen kämpft sich unser Mietwagen tapfer voran. Immer wieder stößt mein rechter Fuß gegen den Fahrzeugboden. Bergab ist der Motor hingegen super.
Das Fahrzeug hat etwa 35,4 PS installiert. Die Straßen auf Guadeloupe folgen dem steilen Verlauf der Geländekontur. Ich schalte aus dem fünften in den vierten, den dritten Gang, dennoch kommen wir auf den Nationalstraßen kaum einmal schneller als 50 km/h voran. Von hinten “schieben” uns große SUVs, die dann auch bei nächster Gelegenheit überholen.
Das obligatorische Orientierungsschild am Parkplatz verheißt eine Wanderung von 40 Minuten bis zum Wasserfall. Ich bin überrascht, dass wir nach knapp 500 Metern auf einen weiteren Parkplatz kommen. Dann wird der Wanderweg schmaler und nach wenigen hundert Metern kann er auch nicht mehr mit dem Auto befahren werden. Zunächst geht es auf gut ausgetretenen Pfaden in die grüne Hölle.
Mit zunehmender Steilheit des Geländes können wir sehen, wie die Verwaltung des Nationalparks immer wieder gegen die Naturgewalten zu kämpfen hat. Teilweise besteht der Weg aus Holzstegen, die über die verschlammtesten Wegstücke gezimmert sind. Diese wiederum sind von Wasserfluten immer wieder weggespült worden. Wir klettern über Baumwurzeln. Wir machen uns dreckig.
Neben vielen Vögeln können wir auch andere Tiere hören. Sind es Affen? Werden wir sie sehen können? Nein, wir sehen keine Affen. Aber wir treffen Dutzende anderer Wanderer. Ich finde es faszinierend, wie der Franzose wirklich jedem anderen Wanderer ein freundliches Bonjour zukommen lässt. Natürlich bekommt von uns auch jeder sein Bonjour zurück. Eines der Bonjour endete mit dem Ruf “Jörg!?!” Tatsächlich, eine Bekannte kommt gerade vom Wasserfall heruntergelaufen. Ricarda von der Lady Charlyette ist ebenfalls in Guadeloupe. Nach einer halben Stunde Fußmarsch können wir den Wasserfall deutlich hören.
Der Weg ist weggerutscht. Wir können nicht weiter. Das jedenfalls sagt das Schild und unsere Augen sehen es ebenfalls. Wir hangeln uns an Baumwurzeln herunter und machen und noch ein wenig dreckiger. Dann haben wir es endlich geschafft und sind unterhalb des Wasserfalls.
Ich muss erst einmal meine Wunden lecken. Der Abstieg ist an meinem kaputten Knie nicht komplett vorüber gegangen. Ich kann mein kaputtes Kreuzband geradezu flattern sehen. Also strecke ich mich im Schatten aus, während Eike sein wohlverdientes Bad nimmt.
Derweil kommt die nächste Reisegruppe an. Deutsche. Wir kommen nach kurzer Zeit ins Gespräch. Es handelt sich um neun Leute, die alle zusammen einen Katamaran gechartert haben und vor Beginn ihrer Charter noch ein paar Tage die Insel anschauen. Ist ja fast wie bei uns, nur dass wir auf den Mechaniker warten. Damit der Motor endlich wieder läuft.
Irgendwann lassen die Schmerzen im Knie so einigermaßen nach. Eike ist ein wenig durchgefroren, das Wasser ist nicht so warm wie im Atlantik. Die Klettertour gleich wird ihn wieder aufwärmen, da bin ich mir sicher. Langsam machen wir uns auf den Weg.
Im Endeffekt entpuppt sich der Aufstieg als viel leichter als erwartet. Und auch viel leichter, als es der Abstieg gewesen ist. Meinem Knie jedenfalls fügt er keinen weiteren Schaden zu.
Dennoch machen wir an der nächsten Schutzhütte erst einmal für ein paar Minuten Pause. Wir nutzen die Gelegenheit zum Betrachten der Vegetation. Tiere sehen wir leider nicht, nur die deutsche Reisegruppe, die den Wasserfall wenige Minuten nach uns verlassen hat. Warum reiben sie ihre Hände an diesem Baum und riechen daran? Sieh’ an, es handelt sich um einen Gummibaum.
In jede Richtung schaffen wir es nicht, die “vorgeschriebene” Wanderzeit zu erreichen. Wir sind langsamer. Nach einer Stunde Abstieg stehen wir wieder vor unserem Wagen. Ich hoffe, dass wir nicht in einen Stau geraten. Stop-and-go mit einem Schaltwagen und Knieschmerzen links ist unangenehm. Auf dem Weg zur Küste dokumentiere ich noch einmal die schöne Aussicht aus dem Gebirge auf das Meer.
Natürlich gibt es in Pointe-a-Pitre einen Stau. Wir besuchen noch ein Einkaufszentrum und wie immer bin ich von der Auswahl in Frankreich begeistert. Neben frischem Thunfisch kaufe ich noch zwei Pferdesteaks. Eike hat noch nie Pferd gegessen. Am Abend sitzen wir im Cockpit und schauen in den Fernseher. Eike fragt mich, ob ich das Fahrrad nach unten geräumt habe. Ich habe das Fahrrad nicht angefasst. Doch an Deck, wo das Fahrrad nachmittags nach gestanden hat, ist keine Spur mehr zu sehen. Man hat uns das Fahrrad tatsächlich vom Boot getragen, als wir im Dschungel unterwegs waren.