Letzte Seereise

Seit ein paar Tagen schiebe ich diese Aufgabe vor mir her. Doch es steht noch (mindestens) ein Blog aus. Sissis letzte Seereise. Am nächsten Morgen scheint die Sonne. Routiniert gelingen mir die Vorbereitungen zur letzten Seereise. Kaffee ist drin, es kann losgehen. Mit Gregor habe ich seit längerem wieder einmal eine helfende Hand an Bord.

North Shields Ferry

Schon um 10 Uhr schleusen wir aus der Marina heraus. Es ist gerade Hochwasser, der Tidestrom gibt uns eine schöne Geschwindigkeit. Alle Fender und Leinen sind verstaut, Sissi ist klar für einen mehrtägigen Törn. Ich habe die Gelegenheit, in der schönsten Morgensonne noch ein paar Aufnahmen am Tyne zu machen. Gregor grinst, auf diesen Moment freut er sich seit Tagen.

Ufer in North Shields

Ein letztes Mal mehrere Tag am Stück unterwegs sein. Ein letztes Mal die Einsamkeit auf dem Ozean spüren. Die letzten Nachtschichten. Das letzte Mal Kochen auf schwankendem Untergrund. Ich bin ziemlich sentimental. Ich bin allerdings auch sehr froh, dass diese Etappe endlich beginnen kann. So kurz vor dem Ende des Törn will ich nicht noch tagelang festsitzen.

North Shields Fish Market

Es ist nicht einmal 11 Uhr, als wir den Fischmarkt und kurz darauf den Wellenbrecher erreichen. Draußen steht von den stürmischen Tagen der letzten Woche noch ein ordentlicher Schwell. Der Fischer hatte wahrscheinlich recht, als er uns gestern so vehement von der Abreise abgeraten hat.

Wellenbrecher

Allerdings glänzt der Wind heute mit kompletter Abwesenheit. Ich lade noch schnell eine aktuelle Vorhersage herunter und sehe das Desaster. Der Wind zieht sich von West nach Ost zurück. Das hatte ich so geplant und gewollt. Der Wind zieht sich aber viel schneller zurück, als wir ihm hinterher fahren können. Ich ahne Böses. Zum Glück haben wir genug Diesel im Tank für die gesamte Strecke. Vielleicht finden wir doch noch den Wind.

Schlepper, manövrierbehindert. Verwendet das gleiche AIS-Symbol wie die Schiffe in den Baustellen der Windparks. Dieser hat kein Wachboot.

Sissi tanzt in dem Schwell einen kleinen Pogo. Gregors Magen tanzt mit. Er geht schon kaum noch unter Deck, sondern bleibt lieber im Cockpit sitzen. Dann sehe ich nur noch, dass sich seine Gesichtsfarbe rapide verändert. Ich greife die Pütz. Er nimmt sie dankbar an. Der Tag ist gelaufen. Gregor legt sich in seine Koje.

Dahin gerafft

Da ich nicht weiß, wie es mit Gregor weitergeht, mache ich erst mal meine Routine, als würde ich alleine fahren. Ich kann nicht wissen, ob Gregor für seine Nachtschicht wieder fit ist. Ich bekomme allerdings auch beide Portionen Fisch. Ich habe extra Fisch mit Reis und Möhrengemüse gemacht, damit die erste Mahlzeit nicht so schwer im Magen liegt. Das 450g Steak muss noch bis morgen warten. Doch ich habe Glück, Gregor tritt mitsamt seinem Eimer zur Nachtschicht an.

Frachter

Am nächsten Morgen ist die Seekrankheit einigermaßen im Griff. Gregor kann sogar eine warme Mahlzeit zu sich nehmen. Als er dann später am Nachmittag ausgeschlafen hat, ist er sogar hungrig. Ein gutes Zeichen. Ich hole Steaks aus der Gefriertruhe. Die haben nur 250g und sind auch groß genug. Wir wollen es mit dem Essen nicht übertreiben. Dazu Babyspinat und Bratkartoffeln. Am Abend ist Gregor geheilt, das Thema holt ihn nicht mehr ein.

Windpark. Riesengroß.

Seit der Nacht, in der mich das Wachboot aus der Windpark-Baustelle vertrieben hat, habe ich meine Einstellung zum Thema „aktuelle Seekarten“ durchaus geändert. Ich hätte in Newcastle auch Zeit gehabt, mir eine aktuelle Karte zu kaufen. In manchen Gewässern wird so viel gebaut, dass sich die Situation in wenigen Jahren durchaus ändert. Die Nordsee gehört dazu. Am zweiten Tag fahren wir stundenlang an endlosen Reihen von Windrädern vorbei. Die Anlage fehlt in meinen beiden Seekarten. Meine jüngste Karte ist knapp fünf Jahre alt. Doch der Anlage fehlt, was Sissi auch fehlt – der Wind. Die Rotoren stehen still.

Riesengroße Windräder stehen still.

Mit dem Radar lässt sich die Ausdehnung des Windparks recht gut ermitteln und so können wir ihn auch umfahren. Auch wenn hier kein Wachboot Wache schiebt, möchte ich nicht zwischen den Rotoren einen Slalom fahren müssen. Nach dem Abendessen geht die Sonne unter, wir haben den Windpark hinter uns gelassen.

Bei Sonnenuntergang haben wir den Windpark hinter uns gelassen.

In der zweiten Nacht ist etwas mehr los auf dem Wasser. Ein paar Arbeitsplattformen wollen umfahren werden. Dazwischen tummeln sich immer wieder Frachter oder Fischer. Um drei Uhr morgens sind wir kurz vor dem ersten von drei Verkehrstrennungsgebieten. Das sind Einbahnstraßen auf dem Wasser, die vor allem von Frachtschiffen genutzt werden. Ich erwarte nicht viel Verkehr und bin über drei Frachter auf dem AIS erstaunt. Sie sind so schnell, dass wir keine Probleme mit ihnen haben werden. Gregor löst mich ab, ich gebe ihm noch eine Einweisung in die Situation. Eine Stunde später werde ich geweckt, plötzlich ist noch ein Fischer mit im Spiel. Eine Stunde später ändert sich das Motorengeräusch. Gregor hat massiv Gas weggenommen. Ich sehe oben einen Frachter vor dem Bug. Weit vor dem Bug. Zwei Meilen vor dem Anker. Gregor meinte, er wolle nicht zu dicht an den Riesen ran. Ist okay, aber zwei Meilen sind mir gut genug. Eine Stunde später darf ich wieder nach oben. Es ist hier auf dem Meer einfach viel zu viel los.

Oelige Windstille

Irgendwann habe ich dann doch ein paar Stunden Schlaf bekommen. Am nächsten Morgen sieht das Meer noch glatter aus. Mit ein wenig Glück schaffen wir es zum Hochwasser am Nachmittag in Den Oever anzukommen. Hochwasser soll heute um 20:30 Uhr sein. Ich würde mich danach sehnen, einmal zum richtigen Zeitpunkt anzukommen. Außerdem will ich keine Nacht mehr in einer Ausweichmarina verbringen. Wir bewegen uns langsam auf das letzte Verkehrstrennungsgebiet zu. Das ist das Gebiet mit dem meisten Verkehr, direkt vor Holland. In meiner Erinnerung standen die Gasplattformen nicht so dicht vor der Küste. Doch stehen schon lange dort, sie sind in der Seekarte verzeichnet. In der Seekarte sind sogar mehr eingezeichnet, als in der Wirklichkeit vorhanden.

Die letzten Plattformen stehen kurz vor der holländischen Küste

Mit Hilfe des AIS ist es eine Kleinigkeit, eine Lücke zwischen den Frachtern zu finden. Kurz müssen wir die Geschwindigkeit etwas reduzieren, dann können wir hindurch. Ich erinnere mich noch an meine erste Querung mit Sissi, damals noch ohne AIS. Das war damals recht anstrengend. Wir mussten die Schiffe mit Radar und Peilkompass peilen. Jetzt genügt ein Blick auf die Karte. Die Schiffe sind ganz aktuell..

Verkehrstrennungsgebiet

Ein Schiffsname fällt mir besonders auf. „Ville de Bordeaux“. Der kommt hinter uns durch, als wir die zweite Hälfte schon hinter uns haben. Ein Flugzeugtransporter für Airbus.

Ville de Bordeaux

Ein letztes Mal mache ich mir Sorgen um die Navigation. Wir sehen nämlich einfach kein Land. Auch die Telefone schweigen noch. Das bin ich so dicht unter der Küste nicht mehr gewöhnt. Irgendwann ist es dann doch soweit, wir haben Land in Sicht. Ein letztes Mal. Seufz.

Land in Sicht

Typisch für Holland. Die Küstenlinie ist kaum wahrzunehmen, die Gebäude sieht man zuerst. Auf dem Wasser ist dann die Hölle los. Vor uns arbeitet ein Geschwader Krabbenkutter.

Krabbenfischer beim Krabbenfischen

Die blöden Teile haben ja auch noch Vorfahrt, wenn sie fischen. Im Zweifel nehme ich immer an, dass sie fischen. Irgendwie müssen wir da durch. Immerhin haben wir die Tide noch erwischt, wir fahren mit 7,5kn. Die Fischer fahren mit 3-4kn, also haben wir ein wenig Spielraum.

Fischer fischt nicht.

Im Endeffekt ist es dann aber nicht allzu schwer. Ich bin nicht mehr an den vielen Verkehr gewöhnt. Die Holländer sind es schon und haben das prima im Griff. So gleiten wir dann durch die Fischerboote bis Den Oever, wo mich ein Riesentrumm von Boot ziemlich erschreckt. Er kommt von links mit hoher Geschwindigkeit und hält auf die Hafeneinfahrt zu. Ich bin nicht mehr an den Verkehr gewöhnt.

Nein, es ist nicht knapp. Es sieht nur so aus.

Langsam geht die Sonne unter. Wir werden es nicht mehr mit der Tide bis ganz nach oben schaffen. An den Stellen mit der stärksten Strömung hat sie uns jedenfalls prima geholfen. Nun sehen wir, dass das Wasser langsam zum Stillstand gekommen ist. Mir wird auch klar warum. Ich bin navigatorisch manchmal ein Vollidiot.

Ankerlieger

Wir haben die Zeitzone gewechselt. Das muss ich bei der Tide natürlich berücksichtigen. Die kümmert sich nicht um die Zeitzone. Also müssen wir eine Stunde gegen den Strom motoren. Es gibt Schlimmeres. Schlimmer wäre, nicht mehr ins IJsselmeer schleusen zu können. Ich finde meinen Wateralmanak nicht. Laut Google hat die Schleuse aber noch ein paar Stunden geöffnet.

Ankert hinter der Tonne

Einige große Segelboote liegen hier vor Anker, Das scheint zum Ausflug dazu zu gehören, die Boote sind bewohnt. Eine Nacht im Wattenmeer bei diesen Bedingungen ist ein echter Traum. Ich fotografiere meinen letzten Sonnenuntergang auf meiner Reise.

Letzter Sonnenuntergang auf der Reise

Jetzt gilt es. Ich greife zum Funkgerät und spreche die Schleuse an. Ich liebe die Servicementalität der Holländer. Wir sollen einfach in den Vorhafen durchfahren. Er würde die Brücke sofort aufmachen, wenn wir im Vorhafen sind. So läuft es dann auch. Zum letzten Mal wird für Sissi auf dieser Reise eine Straße gesperrt. Dann machen wir schon in der Schleuse fest. Das einzige Boot.

In der Seeschleuse Den Oever

Natürlich bin ich beim Schleusen wieder überrascht. Man schleust ja nach unten. In meinen letzten Seeschleusen ging es immer nach oben. Nach unten in einer solch großen Schleusenkammer zu schleusen ist total einfach. Das Tor öffnet, wir sind wieder frei. Mehrere Dutzend Möwen streiten in der Ausfahrt. Es ist neblig. Wo kommt der denn her? Noch knapp 12 Meilen.

Kurz vor dem Ziel

Wir machen Sissi am Passantensteg fest. Ich freue mich riesig darüber, dass Barbara und Volker zur Begrüßung gekommen sind. Sie verbringen gerade ihren Urlaub in Stavoren. Der Motor geht aus, das Bier ist kalt. Ich bin am Ende meiner Reise angekommen. 280 Meilen in zweieinhalb Tagen Motorfahrt. Der Dieseltank ist praktisch leer.