Überfahrt nach Barbados Tag 18 – Kaugummi

Die letzten Tage eines mehrtägigen Segeltörns ziehen sich wie Kaugummi. Bei einem mehrwöchigen Segeltörn ist das noch wesentlich schlimmer, das Kaugummi zieht längere Fäden. Nordseequerung und Biskaya waren jeweils ca. 400 Meilen weit, gerade zwei Tage für das Eingewöhnen in die Bordroutine und zwei Tage Warten auf die Ankunft. Die Strecke von Lagos nach Lanzarote war knapp 600 Meilen lang, die von Teneriffa nach Mindelo etwa 900 Meilen. In allen diesen Fällen waren die beiden letzten Tage die schlimmsten Tage, denn man ist ja eigentlich schon fast da, muss aber an der Bordroutine festhalten. Ich werde diese Tage ab sofort die Kaugummitage nennen.

Wir haben keine 200 Meilen mehr bis nach Barbados. Eine lächerliche Entfernung, die letzten 10 Prozent der Strecke. Ich sitze im Cockpit und genieße meine vorletzte Wache. Es hat abgekühlt auf 27°C, das fühlt sich sehr angenehm an. Der Sternenhimmel ist wieder einmal sensationell, der Mond wird erst in vier bis fünf Stunden aufgehen. Die Wellen sind gerade sehr angenehm, Sissi gleitet fast lautlos durch das Wasser. Immer wieder kann ich in unserer Bugwelle Leuchtplankton sehen, denn ich habe die komplette Beleuchtung ausgeschaltet – auch die meisten Instrumente, denn ich will kein künstliches Licht um mich herum. Als Frankfurter Bub bin ich mit den Sternbildern nicht besonders vertraut, denn in Frankfurt sieht man nur den großen Wagen. Tagsüber auf den Fahrradweg falsch geparkt und in der Nacht bei guten Bedingungen auch am Himmel. Mit Hilfe des Kompasses finde ich den Polarstern – denke ich. Kann man den auf 14° nördlicher Breite überhaupt noch sehen? Keine Ahnung. Ich werde mir mal eine App fürs Handy runterladen. Es ist ein Geschenk, das alles erleben zu dürfen.

Ja, es ist ein Geschenk. Wir haben es uns jedoch hart erarbeitet. Kleine Blutergüsse, Prellungen, Zerrungen, Backofenverbrennungen, Schürf- und Schnittwunden sind nur eine Randerscheinung der Segelei. Eine weitere ist die ständige Müdigkeit, obwohl wir alle genug schlafen können. Der Schlaf ist jedoch nicht so gut, wie auf einem Schiff, das ruhig vor Anker oder im Hafen liegt. An unseren zarten, durch Computertastaturen und Mäuse gestählten Händen findet sich jetzt Hornhaut, die sich teilweise schon wieder ablöst. Gegen den ständigen Hunger haben wir unsere Hausmittel. Heute hat Jakob noch ein letztes Zwiebelbrot gebacken, jetzt sind uns auch die Zwiebeln ausgegangen. Wir brauchen einen Supermarkt und eine Hafenbar.

Und was macht der Wind? Er wird weniger. Als hätten wir nicht schon genug von dem wenigen Wind gehabt. Da ist es wieder, unser Sissi-Ankunftsproblem. Sissi fährt prima, bis sich der Törn allmählich dem Ende zuneigt. Dann wird sie langsamer, langsamer und noch ein wenig langsamer.

Seit wir die Entfernung von 500 Meilen zum Ziel unterschritten haben, würden wir gerne die letzten Meilen bis ins Ziel fliegen. Wir wollen die Füße an Land setzen, eine mehrstündige Dusche nehmen in einer Duschkabine, die sich nicht bewegt. Wir wollen eine Mahlzeit mit mehr Besteck als nur dem Löffel zu uns nehmen, ohne mit der anderen Hand den Teller ständig festhalten und synchron mit den Schiffsbewegungen kippen zu müssen. Ich persönlich habe auch keine Lust mehr auf Eintopf, aber was anderes ist im Atlantikschwell nicht praktikabel. Selbstverständlich kann ich eine Mahlzeit in mehreren Töpfen herstellen – das Kochen geht leicht. Das Anrichten ist schon komplizierter, meist wollen die einzelnen Bestandteile des Essens nicht auf dem Teller bleiben, während man aus dem nächsten Topf schöpft. Das Essen ist anschließend ein Riesenproblem. Wir wollen eine Nacht in unserem Bett schlafen, ohne dabei durch die Gegend geschleudert zu werden.

Auf jeden Fall freuen wir uns alle auf das Anlegerbier, für das wir dann über 2000 Meilen gesegelt sein werden. Gesegelt! Ich habe gestern in den schwachen Wind gerufen, dass wir den Motor starten und einen Tag früher auf Barbados sein könnten. Es will aber niemand den Motor starten. Lieber schaukeln wir uns mit derzeit 3 kn Geschwindigkeit zum Ziel. Ehrensache. Mit 5 Litern Diesel quer über den Atlantik. Dann ziehen sich die Kaugummitage halt noch etwas länger.

Zum Glück hat der Wind am Morgen wieder etwas aufgefrischt. Jens konnte eine halbe Stunde lang seine Kamera auf eine Delphinschule richten. Der Watermaker brummt mal wieder frisches Wasser in den Tank. Langsam läuft die Stromproduktion wieder an, gegen Mitternacht werden wir den Kühlschrank wieder einschalten können. Unser morgiges Anlegerbier muss kalt sein.

18. Etmal: 99 nm
Position um 12 Uhr: N13°24 W57°12
Noch 148 Seemeilen bis nach Barbados, wir haben 2038 Meilen hinter uns.

Delphine

Überfahrt nach Barbados Tag 17 – Windpilot, Seetang und Paketdienste

Seit der Fahrt von Lagos nach Lanzarote haben wir immer wieder das Problem, dass sich eine bestimmte Schraube an unserer Windfahne lockert. Das hatten wir zunächst gar nicht so dramatisch wahrgenommen, erst als wir die zweite Schraube verloren haben, wurden wir hier wacher. Leider ist es uns beim fortwährenden Nachziehen dieser Schrauben gelungen, das zugehörige Gewinde ziemlich zu zerstören. Das ist uns am letzten Montag in der Nacht zum Dienstag aufgefallen. Ich schrieb eine Email nach Hamburg zu Peter Foerthmann und bat um eine Ersatzteillieferung nach Frankfurt am Main, denn am heutigen Freitag sind dort Burti und Jörg abgeflogen, um sich mit uns auf Barbados zu treffen. Mit einer Expresslieferung müsste es doch möglich sein, das Teil noch rechtzeitig nach Frankfurt zu bekommen.

Peter Foerthmann hat auch prompt reagiert und das Ersatzteil ging sofort mit UPS auf die Reise. Er hat sogar längere Bolzen dazu gepackt, die wir nicht so schnell verlieren können. Jens und ich waren beruhigt, denn dieser Paketdienst hat bislang immer funktioniert. Total geplättet war ich von der Rechnungsstellung. Wir sollen ein paar schöne Bilder schicken von Sissi, wie sie mit der Windfahne fährt oder in einer malerischen Bucht liegt. Wow! Das nenne ich mal einen schnellen, freundlichen, kulanten und günstigen Service. Vielen lieben Dank an dieser Stelle!

Leider konnte UPS die Adresse in Frankfurt nicht rechtzeitig finden. Bumms. Aus. Ende der Geschichte. Noch können wir das Originalteil funktionsfähig halten. Mal sehen, wie lange das noch gut geht. Vielleicht findet sich auf Barbados ein Schlosser, der uns ein Ersatzteil anfertigen kann.

Wir versuchen weiterhin, den Atlantik leer zu fischen. Wir ziehen auch jedes Mal einen fetten Fang aus dem Wasser. Blöderweise ist der Fang jedoch vegetarisch und keiner mag ihn zu einem Salat verarbeiten. Seit Tagen fahren wir durch gigantische Felder von Seetang, der sich in Sekunden hartnäckig an der Angel festsetzt. Gut für die Fische, blöd für unseren Speiseplan.

17. Etmal: 100 nm
Position um 12 Uhr: N14°24′ W55°57′
Noch 226 Seemeilen bis nach Barbados, wir haben 1939 Meilen hinter uns.

Seetang

Überfahrt nach Barbados Tag 16 – Wal zum Frühstück

Sissi schüttelt ihr Hinterteil zweimal. Ich bin inzwischen daran gewöhnt, dass ich auf einer tanzenden Oberfläche schlafen kann, aber das ist mir zu viel. Einmal fliege ich gegen die rechte Wand, einmal gegen die linke Wand meiner Koje. Zu den blauen Flecken, die ich schon habe, kommen wieder neue hinzu. So kann ich nicht weiterschlafen, ich stehe auf. Genau zum richtigen Zeitpunkt. Gerade setze ich meine Kaffeetasse an den Mund, da ruft Jens „Oh, oh, oh!“

Mehrere Wale schwimmen neben Sissi. Sie tauchen auf, blasen aus und tauchen wieder unter. Sie bleiben richtig lange bei uns. Teilweise sehen wir helle Flecken im Wasser, das sind Wale, die mit dem Bauch nach oben schwimmen und sich die Sonne auf den Pelz brennen lassen. Eine oder zwei Tassen Kaffee später schnappe ich mir dann meine Kamera und klettere in den Bugkorb. Die Wale sind schon fast 20 Minuten bei uns. Vielleicht erwische ich einen mit der Kamera. Auf der Biskaya hatte ich auch schon Glück. Ein paar Minuten später lande ich einen Treffer. Besser als auf der Biskaya. Toll!

Sekunden später gelingt es mir ungewollt, Jakob mächtig einen Tiefschlag zu verpassen. Dabei will er nur seinen Job gut machen und das Kaffeegeschirr spülen. Nur kann er nicht sehen, dass ich noch Kaffee in der Kanne habe, als er mir die Tasse abnehmen möchte. Jeder, der schon einmal versucht hat, einen Pitbull von einem Steak zu trennen, kann sich vorstellen was es heißt, mich von meinem Kaffee zu trennen.

Noch in dem Moment, in dem die Worte meinen Mund verlassen, tut es mir leid. Ich treibe ihn in die Tränen, das war nicht gewollt. 16 Tage Überfahrt und flauer Wind zerren an den Nerven. An unser aller Nerven. Nur darf mir so etwas nicht passieren, das ist Gift für die Stimmung an Bord. Ich versuche, mich zu entschuldigen. Wir führen ein klärendes Gespräch und ich bin nun zuversichtlich, dass allenfalls ein paar schwer sichtbare Narben zurück bleiben.

Ich meine den Spruch jetzt wirklich ernst: Segeln ist hart und entbehrungsreich! Wenn drei Menschen für mehrere Wochen auf 12 Quadratmetern gemeinsam leben, praktisch ohne Privatsphäre und ohne die Möglichkeit, sich mal vor der Tür die Füße zu vertreten, ist es ein Ausnahmezustand für die Psyche.

Gestern Abend gab es noch ein letztes Mal Pizza. Jetzt haben wir nichts mehr im Kühlschrank, das uns verderben könnte. Keinen Käse mehr, keine Wurst, kein Fleisch und Fisch haben wir auch nicht mehr geangelt. Der Kühlschrank ist jetzt aus. Derzeit können wir sowieso nicht genug Strom ernten, um ihn seriös betreiben zu können. Es fehlt einfach der Wind. Sollte allerdings ein Fisch beißen, werden wir den Kühlschrank sofort wieder in Betrieb nehmen. Der Wind soll am Samstag wieder kommen, also übermorgen. So lange bleiben wir langsam. Den Motor machen wir aber nicht an, wir segeln das aus. Ich mache den Watermaker an und lasse ihn so viel Wasser produzieren, dass wir alle ausgiebig duschen können. Bei 28°C und knapp 80% Luftfeuchtigkeit ist das zwar ein kurzes, aber ein tolles Vergnügen.

Die Joint Venture ist vorgestern Nacht in Barbados angekommen. Sie hat zuerst in Bridgetown versucht einzuklarieren, hat von dort aber keine Antwort bekommen. Dann sind sie nach Port St. Charles gefahren und konnten dort die Einreiseformalitäten in einer Stunde erledigen. Damit ist für uns klar, dass wir ebenfalls in Port St. Charles einklarieren werden. Von der Grace erhalten wir über die Roede Orm die Nachricht, dass sie den Leuchtturm von Barbados sehen. Die Björkö will morgen ankommen. Wir sind mal wieder die langsamsten. Dafür sind wir aber bestens geduscht!

16. Etmal: 116 nm
Position um 12 Uhr: N14°28′ W54°23′
Noch 315 Seemeilen bis nach Barbados, wir haben 1839 Meilen hinter uns.

Wal