An der genannten Position haben wir um 15:15 Uhr unseren allerersten Fisch herausgeholt. Ein Mahi Mahi. Gerade setzten wir uns zum Skat spielen zusammen, da rollte die komplette Angelschnur von der Trommel. Vorbei war es mit dem Skat, eine halbe Stunde hat Jens mit dem Fisch gekämpft. Dann holte er ihn gemeinsam mit Jakob an Bord. Anschließend wurde der Fisch geschlachtet, geschuppt, ausgenommen… Es ist ein bodenständiges Leben an Bord einer Segeljacht.
Diesen Fisch widmen wir Rob von der SY Grace, der uns den Tipp mit dem passenden Köder gegeben hat, wir widmen ihn meinen ehemaligen Kolleginnen und Kollegen bei der DENIC eG, deren Abschiedsgeschenk zu unserer Angelausrüstung wurde. Wir widmen ihn allen, die gerne frischen Fisch essen. Nach mehreren tausende Seemeilen ohne Fang wollte ich gar nicht mehr daran glauben.
Es könnte alles so schön ruhig sein, wenn da nicht die täglichen Reparaturen wären. Unser Windpilot will inzwischen zweimal am Tag Zuwendung durch den Schraubenschlüssel, es müssen immer wieder dieselben Schrauben nachgezogen werden. Da muss ich mir noch etwas einfallen lassen. Dennoch lassen wir es uns gut gehen, ich finde Zeit, in den Bugkorb zu klettern und ein Bild von Jens und Jakob im Cockpit anzufertigen. Was das Bild ganz schön zeigt ist, dass wir uns damit arrangiert haben, wenn sich unsere schwimmende Wohnung mal wieder deftig zur Seite neigt.
Am Abend sind Jakob und Jens gerade ins Bett gegangen, meine Wache beginnt. Nach wenigen Minuten sehe ich im Licht des Vollmondes eine riesige dunkle Wolke, die von hinten auf Sissi zugeflogen kommt. Ich schalte das Radar ein und ein riesiger oranger Fleck gibt mir recht. Dort kommt der erste Squall unserer Atlantiküberquerung heran gebraust. Ich reffe sofort die Genua, lasse nur noch einen Fetzen in der Größe eines Badehandtuchs stehen. Vorwarnzeit: Etwa fünf Minuten. Merke, bei einem Squall muss man sofort reffen.
Die Zeit reicht nicht mehr, mir noch Duschgel und ein Handtuch aus dem Bad zu holen, statt dessen verrammle ich den Niedergang und bleibe in T-Shirt und Unterhosen im Cockpit sitzen. Ich warte auf den Regenguss, den ein solcher Squall angeblich immer mit sich bringt. Angeblich. Tatsächlich teilt sich dieser erste Squall noch zwei Meilen hinter unserem Heck in zwei Zellen auf, von denen eine an Backbord und eine an Steuerbord an Sissi vorbei rast. Wir bleiben vorerst verschont. Der Wind geht dennoch auf 35 kn rauf, er bleibt auch nach dem Squall noch sehr böig.
Um Mitternacht wecke ich Jakob zu seiner Wache, da sind wir wieder mittten in einem Squall. Diesmal reicht die Regenmenge, um mir das Salz von der Haut zu spülen. Zu mehr leider auch nicht. Wieder klettert die Zahl auf dem Windmesser in ungeahnte Höhen, mal 35 kn, mal 40 kn. Das geht ab. Nach ein paar Minuten schiebt Jens die Luke auf und fragt, ob wir einen Squall haben. Der Windgenerator würde Resonanzen von den Ausmaßen eines Raketenstarts verursachen.
Am folgenden Morgen baue ich bei bestem Wetter gemeinsam mit Jens einen Teil der Windfahne ab, ersetze kurze Schrauben durch längere, die ich dann mit Muttern ordentlich kontern kann. Vielleicht ist das Problem jetzt ein und für alle Mal abgestellt. Wenn nicht, muss ich mir etwas Neues einfallen lassen. Es ist unglaublich, wie kreativ man auf einem Segelboot in der Mitte des Atlantik wird, wenn der nächste Baumarkt tausende Kilometer entfernt ist.
Wir müssen uns noch etwas einfallen lassen für den morgigen Tag. Heute oder morgen werden wir Bergfest feiern. Dann haben wir mehr Meilen im Kielwasser als vor dem Bug. Vielleicht opfern wir eine Dose heiligen Apfelwein für dieses göttliche Fest.
9. Etmal: 117 nm Position um 12 Uhr: N15°43′ W40°49′ Noch 1104 Seemeilen bis nach Barbados, wir haben 982 Meilen hinter uns.
Die Katastrophen waren alle für den verflixten siebten Tag reserviert, der achte Tag startet geruhsam. Keine fliegenden Fische. Nur ein paar lose Schrauben festziehen, nicht einmal an Stellen, an denen es gefährlich werden kann. Alles im grünen Bereich, der Kaffee dampft frisch. Wind und Solarstrom fließen stetig in die Batterien, der Wattermaker brummt und macht den Wassertank voll. Es gibt keinen Grund zu klagen. Nicht einmal mehr beim Iridium-Lotto müssen wir noch fluchen. Wir haben jetzt immer fünf Richtige! Also fünf von fünf Balken für die Signalstärke. Und das kam so…
Vor ein paar Wochen habe ich auf der Überfahrt von Santa Cruz nach Mindelo in einem Blog über Iridium geschimpft. Dass uns immer die Verbindungen wegbrechen und dass die Übertragung größerer Datenmengen ein Glücksspiel sei. Kurz darauf erreichte mich eine Email von Martin von der SY Fairytale. Er hat viel Iridium-Erfahrung und meinte, ich solle das Gerät mal ohne unsere externe Antenne betreiben. Da ich das schon mal ohne Erfolg auf der Nordsee versucht habe, ignorierte ich diese Empfehlung und vergaß sie ein paar Tage später.
Vor ein paar Tagen habe ich es dann doch probiert. Ich hatte Langeweile auf meiner Wache und sonst war gerade nichts zu reparieren. Im Cockpit konnte ich mit der eingebauten Antenne problemlos größere Datenmengen übertragen. Nach mehreren Versuchen ist es mir dann später auch am Einbauort im Maschinenraum gelungen, derart stabile Verbindungen zu produzieren. Ein Wackelkontakt befindet sich dort, wo man das Antennenkabel ins Gehäuse des Telefons steckt. Mit etwas Klebeband fixierte ich das Antennenkabel, dann kam in der Fünf-Balken-Position noch ein dicker Klecks Schraubenkleber drauf. Hält. Seit ein paar Tagen. Und wir haben seit dem nie wieder Probleme mit Verbindungsabbrüchen gehabt. Martin, von hier aus noch einmal vielen Dank für die Mail!
Der nächste Schritt wird sein, Netflix über Iridium zum Laufen zu bringen. Oder doch bei Musk kaufen? Die 2400er Verbindung ist ebenso leistungsfähig, wie die meines Hochgeschwindigkeitsmodems in den 1980er Jahren. Die Verbindungen sind jedoch wirklich saumäßig stabil. Spaßeshalber habe ich ein Foto mit 1,9 MB Größe an unsere Schwester gemailt. Das hat lediglich etwas mehr als zweieinhalb Stunden gedauert. Und eine Flatrate ist ja in jeder Minute verschwendet, in der man keine Daten überträgt.
Natürlich haben wir uns bei den Reparaturen geirrt. In der Segellast ist eine Latte gebrochen – unter der Last zweier Segel, eines Dinghis, einer Mastleiter, eines Hackenporsche und eines Fahrrads. Die will nun ausgeräumt werden. Jakob und Jens haben mit den Ausräum- und Holzarbeiten schon begonnen.
8. Etmal: 119 nm Position um 12 Uhr: N15°46′ W38°53′ Noch 1215 Seemeilen bis nach Barbados, wir haben 865 Meilen hinter uns.