Atlantik Tag 8 – Hauptantrieb defekt, Lasagne auf dem Teller

Jens holt einen Schraubendreher aus dem Werkzeugkasten und beginnt, den „Defekt des Tages“ zu reparieren. Vom Deckel der Bratpfanne hat sich die Schraube abvibriert, die den Griff mit dem Deckel verbindet. Eine Kleinigkeit, aber doch lebensnotwendig für Jens. Schließlich möchte unser Pastafari, dass das letzte schöne Stück Rindfleisch durch den Wolf läuft und in einer Lasagne endet. Meinen Vorschlag, auch diese Schraube mit Schraubenkleber zu sichern, hat er abgetan. Nicht dass davon noch was in die Pastasauce tropft. Bis es so weit ist, haben wir noch einiges zu tun. Wir machen 100 Liter Wasser, fahren den Staubsauger durch den Salon und wienern das Cockpit. Es soll schließlich alles schön sein für den morgigen Landfall.

Die Nähe des Landes zeigt sich auch dadurch, dass das Funkgerät sporadisch wieder anfängt, unverständliches Knarzen von sich zu geben. Noch sind wir theoretisch außer Reichweite, aber das AIS zeigt, dass es auch heute wieder zu Überreichweiten kommt. Wir sehen Schiffe, die über 100 Meilen von uns entfernt sind. Ein paar Delphine schwimmen kurzzeitig neben Sissi, verbergen sich aber gekonnt vor den Kameraobjektiven. Lediglich Jakob hat das Glück, ein paar Sekunden Video eines getauchten Dephins aufnehmen zu können. Fliegende Fische sind zum Glück keine mehr auf unserem Deck gelandet.

Leider hält sich der Wind einigermaßen an die Vorhersage. In den Nachmittagsstunden wird er schwächer und schwächer. Die Genua beginnt wieder zu schlagen, wenn Sissi in den Wellen torkelt. Wir fahren nur noch mit zwei bis drei Knoten. Da wir es sowieso nicht mehr am Nachmittag bis Mindelo schaffen können, ist uns das aber ziemlich egal. Nach dem Pastagenuss rollen wir die Genua ein, starten den Motor und fahren mit Krach und Gestank die letzten 60 Meilen. An Segeln ist inzwischen nicht mehr zu denken, der Windmesser zeigt nur noch drei bis vier Knoten Wind. Nach dem Motorstart bildet sich eine Diesel-Abgaswolke über dem Cockpit. Der letzte Windrest pustet unsere eigenen Abgase mit Bootsgeschwindigkeit vor sich her. Segeln ist so viel schöner.

Unsere Wacheinteilung bleibt, ich habe die erste Wache. Der Sternenhimmel ist immer noch so traumhaft schön. Nach den letzten ruhigen Nächten mit vielen Sternen macht es mir aber heute gar keinen richtigen Spaß mehr, im Cockpit den Kopf in den Nacken zu legen. Das Grollen aus dem Untergrund ist zu penetrant, zu nervig. Dennoch ist es schön zu wissen, dass wir am heiligen Vormittag unsere Füße wieder an Land setzen können. Ein fliegender Fisch landet neben mir im Cockpit. Ich hole ein Kehrblech und befördere das zappelnde Viech wieder ins Wasser. Dann wecke ich Jakob und lege mich ins Bett.

Als ich am Morgen aufwache, sind wir nur noch wenige Meilen weg von Mindelo. Der Morgen graut und langsam können Jens und ich die Schemen der Berge erkennen.

Kurz vor Mindelo, kurz vor dem Sonnenaufgang

Es ist bald geschafft. In einer Stunde spätestens werden wir am Steg liegen. Im Hafen herrscht schon mächtiger Verkehr, eine Fähre und viele Fischerboote fahren umher, wir müssen uns mit Sissi irgendwie da durchmogeln.

Die Sonne geht gleich auf über Mindelo

Nach einem übermüdeten Anlegemanöver liegt Sissi nun wieder fest am Steg vertäut. Ich spaziere mit Björn von der SY Salty zur Immigration, wir holen uns Stempel in den Pässen ab und zahlen pro Schiff eine Gebühr von 25€. Lokales Geld konnte ich leider noch nicht ziehen, der eine Geldautomat war defekt und der andere akzeptiert nur Visa und keine MasterCard.

Weihnachtsmann vor dem Büro der Immigration

Am achten Reisetag zurückgelegte Strecke: 89 nm
Wir haben um 8:30 Uhr in der Marina Mindelo festgemacht.
Position um 12 Uhr: Marina Mindelo
Noch 1999 Seemeilen bis nach Barbados. Die gesamte zurückgelegte Strecke sind 916 Meilen.

Schöne Weihnachten!!!

Weihnachtsbaum auf der Sissi

Pan Pan

Über unsere Fahrt von Lanzarote nach Teneriffa habe ich geschrieben, dass nichts Besonderes passiert ist. Das stimmt nicht ganz.

Im Funk wurde alle paar Stunden ein Pan-Pan Ruf wiederholt. Das ist der zweitschlimmste Ruf, den man über Funk bekommen kann. Der schlimmste Ruf ist ein Mayday. Es war nicht unser erster Pan-Pan, den wir empfangen haben, aber dieser hat in mir ein ungutes Gefühl ausgelöst. Zum Glück waren wir weit weg.

Ich fühlte mich an den Film Styx erinnert, der im vergangenen Jahr bei uns in den Kinos war. Zwischen der afrikanischen Küste und den Kanaren wurde ein Flüchtlingsboot vermisst bzw. gesucht, ein Boot mit einer unbekannten Zahl von Menschen an Bord. Alle Schiffe wurden aufgefordert, besonders gut Ausschau zu halten.

Seit jenem Film hatte ich irgendwie immer gründlich Angst davor, dass uns ein solches Boot vor den Bug fahren könnte. Was sollten wir denn in einer solchen Situation tun? Besonders dann, wenn das Boot gar in konkreter Seenot ist. Zum Glück waren wir weit weg.

Wenn solche Vorfälle im Mittelmeer passieren, besteht eine gewisse Chance, dass man in Deutschland in der Presse darüber liest. Hier auf dem Atlantik gehen diese Boote auch verloren, Menschen sterben und man liest nichts darüber. Jedenfalls nicht bei uns. Es fahren allerdings auch keine Rettungsschiffe herum, die diesen Menschen das Leben retten könnten.

Wenn ich mir etwas zu Weihnachten wünschen könnte, wäre das zum Beispiel die Möglichkeit für diese verzweifelten Menschen, einfach an den Schalter zu gehen und ein Ticket für die Fähre zu buchen.

Atlantik Tag 7 – Fish and chips and Muskelschmerzen

Die Windvorhersage für die kommenden Tage ist nicht wirklich berauschend. Wir versuchen, auf unserem Weg nach Mindelo so viel Strecke unter Segel zu machen, wie es möglich ist, bevor der Wind stark nachlassen wird. Der Nachmittag verläuft ohne weitere Schäden am Material, wir entspannen uns. Und wir beginnen zu spinnen. Als ob Mindelo nicht noch knapp 200 Meilen von uns entfernt liegen würde, sprechen wir über Landausflüge, Sightseeing und die Mahlzeiten, die wir einkaufen wollen. Trotz der eher rolligen See gelingt es uns allen, eine kalte Dusche zu nehmen. Erfrischend!

Jens angelt ein schönes Stück Fleisch aus dem Kühlschrank. Das wird zu Gulasch geschnitten. Dazu verarbeitet er all das Gemüse, das sich noch verarbeiten lässt. Jetzt sind wir ohne frische Ware. Die Sachen waren nach einer Woche auf See teilweise in grenzwertigem Zustand. Wir mussten insgesamt jedoch nur sehr wenig wegwerfen. Im Abendprogramm zeige ich die Rohfassung eines kleinen Films, den ich derzeit über unsere Passage nach Sao Vicente am schneiden bin. Danach schauen wir noch einen Film aus der bordeignen Videothek.

Jakob und ich baumen noch die Genua aus, bevor er sich ins Bett legt. Der Wind lässt langsam nach, fünf Stunden früher, als die Vorhersage versprochen hat. Während ich mit dem Baum hantiere, fällt mein Blick auf das Vordeck. Kaum zu glauben, wir haben einen Fisch gefangen! Unser erster fliegender Fisch liegt dort und wartet darauf, mit dem Stinken anfangen zu können. Die fliegenden Fische verwesen sehr schnell, besonders wenn die Sonne scheint. Ab sofort müssen wir Sissi regelmäßig auf fliegende Fische kontrollieren. Als ob wir nicht schon genug zu kontrollieren hätten. Ich hole mir eine Tüte Chips.

Während ich in den Schlaf gerollt werde, bemerke ich jeden Muskel an meinen Armen, an meinem Oberkörper, selbst in den Fingern. Es schmerzt. Seit einer Woche bin ich damit beschäftigt, mich immer irgendwo festzuhalten. Oder ich drehe eine Winschkurbel. Oder ich halte mich irgendwo fest, während ich eine Winschkurbel drehe. Das strengt an. Jahrzehnte der Vernachlässigung meiner Muskeln als Mausschubser an meinem Schreibtisch machen sich bemerkbar. Jens und Jakob haben diese Probleme nicht. Jens ist viel in Kletterhallen unterwegs gewesen, Jakob ist einfach nur jung. In dieser Situation fühle ich mich richtig, richtig alt.

Der folgende Tag begrüßt uns mit Sonnenschein. Wir haben keine neuen Defekte an Bord. Einen solchen 23. Dezember hatte ich noch nie in meinem Leben. Im Schiff sind es angenehme 24°C, draußen bläst eine erfrischende Brise. Wir sehen immer wieder mal einen Schwarm fliegender Fische vorbei ziehen und am Horizont das Segel eines anderen Segelboots. Das Leben ist schön.

7. Etmal: 117 nm
Position um 12 Uhr: N17°50′ W23°55′
Noch 79 Seemeilen nach Sao Vicente (Mindelo). Noch 2081 Seemeilen bis nach Barbados. Die gesamte zurückgelegte Strecke sind nun 827 Meilen.

Aua, aua. Muskelkater und blaue Flecken. Das hat mir vorher keiner gesagt.

Nur noch 80 Meilen bis Mindelo