Der Dienstag ist gekommen. Jens fliegt heute nach Hause. Es ist nicht so, dass mir das gefällt. Jetzt muss ich sehen, wie ich alleine weiter nach Europa komme. Vielleicht hilft mir Fanny, eine junge Schweizerin. Sie hat im Hafenbüro einen Aushang gemacht und sucht eine Passage nach Europa. Wir wollen uns heute zum Mittagessen treffen. Doch erst einmal muss Jens an den Flughafen. Sein Flug geht um 10:45 Uhr und er möchte zwei Stunden vor dem Abflug da sein. Also muss ich schon wieder extrem früh aufstehen, ich will ihn begleiten.
Papst Johannes Paul II. war bekanntermaßen sehr reisefreudig. Wenn man jeden Flughafen nach ihm benannt hätte, an dem er den Boden geküsst hat, dann wäre die Welt voll mit solchen Airports. Doch hier in Ponta Delgada war er zur Flughafeneröffnung, hat ihn sozusagen eingeweiht. Was soll ein Papst auch sonst machen? Der alte Flughafen hieß noch Kuh-Flughafen, weil dort so viele Kühe neben der Landebahn grasten und auch sehr viele Kühe weggeflogen wurden. Heilige Kühe vielleicht nicht, doch immerhin haben sie hier jetzt einen heiligen Flughafen.
Kaum haben wir die Marina verlassen und überqueren auf dem Weg zum Taxistand die Hauptstraße, schon hält ein Taxi an. Der Taxifahrer kann das gute Geschäft riechen. Eine Fahrt zum Flughafen mit Gepäck kostet immerhin 10€ und dauert etwa fünf Minuten. Ohne Gepäck kostet die Fahrt 8€. Auf Sao Miguel gibt es Festpreise für die Taxis, wie in Aruba. Während die langen Ausflüge etwa nach Sete Cidades mit 60€ recht günstig zu haben sind, sind die Kurzstrecken in meinen Augen Wucher. Mit dem Bus für 97 Cent zum Flughafen zu fahren ist leider keine Option. Die Planer haben die Bushaltestelle am Terminal nicht gebaut, man muss etwa zwei Kilometer zu Fuß gehen. Das mache ich dann auch, nachdem ich mich von Jens verabschiedet habe. Die 8€ möchte ich lieber anderweitig investieren. Immer schön an der vierspurigen Straße entlang. Dann darf ich fast noch auf die Autobahn laufen, nicht nur die Bushaltestelle wurde nicht gebaut, auch die Treppe nach oben zur Bushaltestelle haben sie vergessen. Die Straße liegt nämlich ein gutes Stück oberhalb des Flughafens.
Natürlich fängt es an zu regnen. Außerdem bin ich wohl nicht heilig genug, denn mir fährt der Bus nach Ponta Delgada vor der Nase weg. Toll. Ich erinnere mich aber an heilige Tiere, die ich aus dem Bus heraus auf dem Weg nach Mosteiros zum ersten Mal gesehen habe. Sie wohnen in Relva, das ist der Ort gleich hinter dem Flughafen. Von meinem Standort aus ist es nicht mehr weit, ich habe keine Lust, im Regen auf den Bus zu warten. Dann spaziere ich lieber im Regen.
Auf meinem Weg komme ich an einer heiligen Blechskulptur vorbei. Offenbar hatte der Fahrer einen Schutzengel. Er hatte es wohl etwas eilig beim Einparken und dann aber ganze Arbeit geleistet. Noch kompakter kann man einen Wagen kaum zwischen der Gartenmauer und dem Baum unterbringen.
Ich besuche noch schnell den örtlichen Supermarkt, um für die heiligen Kühe ein Opfer zu besorgen. Das soll sie freundlich stimmen. Dann sind es nur noch wenige Schritte zu der Stelle, wo ich die Tiere gesehen zu haben glaube. Und tatsächlich, da sind sie. Sie sind auf ihrer Weide und schauen mich ungläubig an.
Der Regen hat aufgehört, die Sonne traut sich langsam aus den Wolken heraus. Ich winke mit den Opfergaben. Die beiden Kühe kommen sofort angelaufen.
Leider gibt es um die Weide herum einen Elektrozaun. Die beiden Bewohner kennen diesen Zaun natürlich ganz genau und möchten nicht mit ihm in Berührung kommen. Ich möchte den Zaun auch nicht berühren. Vielleicht ist gar kein Strom drauf, doch verlassen werde ich mich darauf nicht. Die Kühe wohnen immer hier, sie sollten ihr Grundstück kennen.
Es ist schon ein halbes Jahr her, das sich diesen Gesichtsausdruck das letzte Mal gesehen habe. So fordernd zuletzt in Aruba, in größeren Massen zuletzt in Bonaire, das war im Januar bzw. Februar. Also lege ich los und opfere meine Karotten.
Irgendwie bekommen wir drei das hin. Niemand muss den Zaun berühren. Ich muss meinen Arm ganz schön lang ausstrecken, die beiden Kühe müssen ihren Kopf ein wenig verdrehen. Die Motivation ist hoch, es klappt wie gewünscht. Herrlich ist es, das Geräusch der Zähne zu hören, wie sie die Karotten zermahlen.
Die beiden sind wesentlich weniger gierig, als ihre Artgenossen in Aruba. Vielleicht liegt es daran, dass sie auf einer satt grünen Weide wohnen. Wahrscheinlich liegt es daran, dass sie solche Leckereien nicht allzu oft bekommen. Sie haben aber einen sehr zufriedenen Gesichtsausdruck. Nach dem Möhrenopfer sind die beiden wohl zufrieden, eine Kuh rollt sich sogar auf den Rücken.
Ich verabschiede mich und gehe weiter zur Bushaltestelle. Die liegt gleich neben einem geweihten Gebäude. Portugal ist ja schon ziemlich katholisch, auf den Azoren wird das aber noch einmal getoppt. In jedem Dorf gibt es mindestens eine Kirche und/oder eine Kapelle.
Der Fahrplan sagt mir, dass ich noch Zeit für eine ausgiebige Besichtigung habe. Also nichts wie hin. Leise betrete ich das Gotteshaus. Trotzdem fühlen sich zwei Betende durch mich gestört und drehen sich immer wieder nach mir um.
Den heiligen Teppich schreite ich nicht ab, ich verlasse das Gebäude gleich wieder. Ich möchte niemanden stören oder belästigen. Nein, mein Telefon gibt keine Geräusche von sich, wenn ich ein Foto aufnehme. Vielleicht liegt es ja auch nur daran, dass ich ein Fremder bin und hier nicht gar so viele Fremde eintreten. Relva liegt ein wenig abseits der klassischen Touristenspots auf Sao Miguel.
Mein Bus ist pünktlich. Ich kann von der Straße aus sehen, dass das Flugzeug von Jens da ist und die Fluggäste schon an Bord gegangen sind. Die Türen sind nämlich schon geschlossen. Bei so viel Heiligkeit wird der Abflug wohl pünktlich sein.
Eine kleine Flugverspätung von etwa fünf Minuten erlaubt mir sogar, exakt den Flieger zu fotografieren, in dem Jens sich auf dem Weg nach Lissabon befindet. Eigentlich wollte ich irgendeinen Flieger ablichten. Heilige Scheiße, ich hätte nicht gedacht, dass das mit dem richtigen Flieger noch klappt.
Mittags treffe ich mich mit Fanny. Sie ist 29 Jahre alt, kommt aus der Schweiz und ist mit dem Segelboot aus der Karibik auf die Azoren getrampt. Jetzt möchte sie weiter. Beim Mittagessen macht sie einen sympathischen Eindruck, wir besichtigen Sissi und ihr gefällt das Boot. Sie möchte noch ein paar Tage in Sete Cidades wandern gehen, bevor sie an Bord einzieht. Damit bin ich vollkommen einverstanden. Einen Teil ihres Gepäcks kann sie schon auf Sissi parken, sie muss ja nicht alles zum Wandern mitschleppen.