Ordentlich schiefgelaufen…

Vielleicht habt ihr euch gewundert, warum nach Weihnachten hier im Blog Funkstille war. Es lag nicht daran, dass das Internet kaputt war in Kuba oder in der Marina. In dieser Beziehung habe ich ein wenig gelogen. Die Wahrheit ist wie folgt…

Der 27. Dezember fängt wunderschön an. Ich steige auf die Fähre nach Santiago, meine Kamera im Rucksack und das Handy mit der kubanischen Flagge in der Tasche. Jens bleibt an Bord, er hat das Essen im Restaurant am Vortag nicht vertragen und will sich nicht allzu weit von unserer wunderschönen Bordtoilette entfernen. Am Fähranleger schieße ich noch ein schönes Bild.

Am Fähranleger in Punta Gorda. Das letzte Bild, bevor mir die Kamera abgenommen wurde.

In Santiago will ich dann vom Anleger in die Stadt schlendern, als ich einige Rufe von hinten höre und meinen Namen ebenso. Ich drehe mich um und drei junge Kubaner im Alter von höchstens 25 Jahren kommen auf mich zugelaufen. Sie klappen ihre Portemonnaies auf und zeigen mir ihre Ausweise. Polizei. Was habe ich denn falsch gemacht? Mir fällt erst einmal nichts ein. Mein Reisepass wird kontrolliert. Ein uniformierter Polizist auf einem Motorrad kommt ebenfalls dazu. Er nimmt meinen Reisepass, die anderen Polizisten begleiten mich zu einem schrottreifen Kleinbus, dessen Anlasser nicht funktioniert und in dem sie mich wieder in die Marina zurück fahren.

Dort sitzt Jens schon bei den Offiziellen, er wird von Uniformierten bewacht. Unser Problem klärt sich alsbald. Wir haben eine Drohne an Bord, die wir auch bei der Einreise deklariert haben. Wir werden gefragt, wo die Drohne ist, und können diese Frage durchaus abschließend beantworten. Kurze Zeit später liegt die Drohne vor uns auf dem Tisch. Mehrere Uniformierte brüllen uns an oder stellen uns die Fragen in normaler Lautstärke. Jorge dolmetscht. Unter anderem werden wir gefragt, ob wir Elektronik verkauft haben oder verkaufen wollten. Nein, wollten wir nicht. Haben wir nicht. Den USB-Stick, den ich einem der Kubaner geschenkt habe, habe ich einfach mal vergessen.

Nach einigen Stunden Befragung (abwechselnd werden Jens oder ich befragt, der andere muss draußen bleiben) kommt es zur Durchsuchung unseres Boots. Sie sammeln unsere beiden Laptops ein, unsere vier Telefone, das Satellitentelefon, die Videokameras, meine Fotokamera und damit sind wir offline. Während dieser Durchsuchung versuchen sie noch, mir zu unterstellen, dass ich ein Handy vor ihnen verstecken will. Es liegt zunächst auf dem Salontisch neben Jens‘ Notebook, es ist nämlich das Telefon von Jens. Einer der Polizisten fotografiert die Szenerie. Fünf Minuten später werde ich angebrüllt und gefragt, wo das Telefon geblieben ist. Nach kurzer Suche findet es ein anderer Polizist unter der Matratze in der Vorschiffskoje. Ab diesem Moment ist mir klar, dass es hier nicht koscher zugeht. Zum Glück war ich in der ganzen Zeit nie in der Vorschiffskoje, dieser Vorwurf wurde später einfach unter den Tisch gekehrt.

Endlose Protokolle werden ausgefüllt. Endlose Listen von Paragraphen werden uns vorgelesen. Gefängnisstrafen angedroht. Zuletzt wird eine Liste der beschlagnahmten Gegenstände ausgedruckt und ich darf sie unterschreiben. Unsere Schiffspapiere werden ebenfalls einbehalten, wir dürfen das Land nicht verlassen.

Was die Polizisten nicht bemerkt haben, war der voll funktionstüchtige Navigationscomputer, auf dem ebenfalls ein Linux läuft. Darüber habe ich in den vergangenen Tagen die Blogposts abgesetzt, es waren halt nicht sehr viele und nach Havanna konnten wir den PC auch nicht mitnehmen. Ebenfalls nicht bemerkt haben sie die bei unseren Lebensmitteln liegende Kamera von Jens, deswegen konnten wir in Havanna fotografieren. Was ich nicht bemerkt habe waren die klebrigen Finger eines der durchsuchenden Polizisten. Er hat bei Jens eine Festplatte in seine Tasche gesteckt, die nie auf der Liste der beschlagnahmten Gegenstände aufgetaucht ist. Leider haben wir das zu spät bemerkt.

Unser Bekannter, der hier nahe bei der Marina wohnt, wurde für eine Woche ins Gefängnis gesteckt. Ihm wurde unterstellt, dass er von uns Elektronik oder gar die Drohne kaufen wollte. Im Gefängnis hat er dann auch erfahren, was das eigentliche Problem der Sache war. Jemand hat eine andere (!) Drohne über einem Gefängnis fliegen gelassen. Damit wurden wir die Hauptverdächtigen. Unsere Drohne ist jedoch gar nicht flugfähig, die Batterie ist kaputt.

Nach mehreren Tagen Warten und der Unsicherheit über die Arbeit der kubanischen Polizei fahren wir nach Havanna. Wir statten der deutschen Botschaft einen Besuch ab. Wir wollen von den Profis eine Einschätzung unserer Situation. Wir wollen wissen, ob es sinnvoll ist, sich um einen Anwalt zu kümmern und was ein Anwalt in Kuba in unserer Situation für uns tun kann.

Die Botschaft ist von Montag bis Freitag von 9 bis 12 Uhr für den Publikumsverkehr geöffnet. Trotz unserer deutschen Pässe müssen wir draußen auf der Straße stehen bleiben. Eine Frau kommt an den Zaun, fragt nach unserem Begehr und verschwindet mit unseren Pässen wieder im Gebäude. Nach einer knappen Viertelstunde erscheint sie wieder und hat drei Fragen des Konsuls auf ihrem Zettel stehen. Wir beantworten die Fragen. Nach wenigen Minuten erscheint sie wieder und meint, dass der Konsul erstaunt sei, dass wir nicht im Gefängnis wären. Sie erklärt uns, dass die Botschaft nichts für uns tun könnte. Sollten wir aber ins Gefängnis kommen, würden sie informiert werden und dann dafür sorgen, dass wir Essen bekommen. Ein wenig enttäuschend ist dieser Besuch schon. Wir nehmen es positiv, schließlich sind wir nicht im Gefängnis, fahren in die Stadt und rauchen eine dicke Cohiba.

Jens mit Mojito, Cohiba und Katze

Einen Tag nach unserer Rückkehr bekommen wir unsere Geräte zurück. Nur nicht die Festplatte von Jens. Ich bemerke (zu spät), dass aus der Videokamera eine SD-Karte fehlt. Nicht so schlimm, die hat nur 16 GB: Viel schlimmer ist, dass aus meinem Laptop der USB-Dongle für die externe Tastatur und Maus geklaut wurde. Aber auf See hat man ja alles doppelt, ich habe noch eine andere externe Tastatur und eine Maus.

Jörg mit Cohiba, Mojito und Katze

Fazit: Wir hatten unsere Geräte fast zwei Wochen nicht. Geklaut wurden eine Festplatte, eine SD-Karte und ein USB-Dongle.

Auf meinem Laptop konnten sie sich dank der Festplattenverschlüsselung nicht einloggen, nach dem Passwort haben sie nie gefragt. Mein Telefon lässt sich über Kabel nicht laden oder auslesen, ich habe es tiefentladen zurück bekommen. Da konnten sie nicht viel mit anfangen, der Akku war schon fast leer, als sie es von mir bekommen haben. Jens hat sein Telefon auf Werkseinstellungen zurückgesetzt, das kann ich leider erst in Deutschland machen, weil die Seekarten auf dem Telefon zwingend notwendig für unsere Reise sind.

Wenn dieser Blog erscheint, sind wir längst in internationalen Gewässern. Wir werden uns bald wieder melden.

Merke: Wenn Du mit Deinem Boot nach Kuba fährst, musst Du wissen, worauf Du Dich einlässt. Kleine Deals wie Geld wechseln oder Zigarren unter der Hand erwerben ist verboten aber geduldet. Mit Elektronik sollte man sehr, sehr vorsichtig sein. Bringe lieber Zahnpasta und Sonnenblumenöl mit, daran fehlt es hier auch und die Einheimischen freuen sich sehr darüber.

Havanna

Morgens fallen wir müde aus dem Zug und haben keine Ahnung, wo es zu unserem Quartier geht. Wir halten ein Taxi am Bahnhof an und lassen uns fahren. Der Taxifahrer verlangt 15 Dollar. Wir haben keine Ahnung, ob der Preis in Ordnung ist oder nicht, noch kennen wir die Geografie von Havanna nicht. Also sind wir einverstanden und nach knapp 10 Minuten stehen wir vor unserem „Private House“, unserer Wohnung für die nächsten Tage. Es ist der Morgen des ersten Januar 2021. Ich klingele wie wild an der Tür, es tut sich nichts. Erst nach einigen Minuten öffnet sich die Tür und eine junge Frau mit vollkommen übermüdetem Blick lässt uns herein. Zunächst will sie uns zwei ihrer drei Zimmer vermieten, uns reicht jedoch eins, das kostet die Hälfte.

Das „Wohnzimmer“. Es hat kein Dach und wenn es regnet, regnet es herein. Sonst aber sehr schön.

Natürlich müssen wir das Zimmer im Voraus bezahlen, die Leute haben kein Geld. Unsere Zimmerwirtin verschwindet gleich mit den Ausweisen, um unsere Daten zu notieren. Als ich meinen Ausweis zurück bekomme, fehlt das Visum. Sie findet es nach mehrminütiger Suche irgendwo auf dem Boden, es ist einfach aus dem Pass gefallen. Es wäre fatal für mich, wenn ich dieses Visum verlieren würde.

Nachdem wir uns ausgeruht haben, machen wir einen Spaziergang durch das Quartier. Auf der Suche nach einer Mahlzeit gehen wir immer weiter in Richtung Alt Havanna. Die meisten Restaurants haben geschlossen, es ist der erste Januar. Ein Taxifahrer möchte uns herumfahren, kennt jedoch auch ein Restaurant, das geöffnet hat. So sind wir schon einmal satt.

Altstadt von Havanna. Es ist nicht viel los.

Auf den Straßen ist nicht viel los. Trotzdem sind immer noch genug Taxifahrer da, die uns ihr Taxi anbieten. Es ist das Festival der Zigarren, die Arbeiter in der Manufaktur können Zigarren für einen kleinen Preis auf der Straße verkaufen. Auch Rum und Kaffee sind im Angebot. Wir kaufen nichts, sind sowieso sehr müde. Hier sehen wir eine schöne Straßenszene mit dem Blick auf das Kapitol.

Später am Tag sind die Straßen voller

Wir werden immer wieder angesprochen, ob wir ein Taxi brauchen, Geld wechseln möchten, Zigarren kaufen oder eine Frau. Wir werden gefragt, wo wir herkommen. Wenn die Kubaner hören, dass wir aus Deutschland sind, kommen immer wieder die Worte „alles klar“ und „alles paletti“. Anscheinend hat jeder Kubaner einen Verwandten, Bekannten oder Freund in Deutschland. Zumindest sagen sie das. Nur einer war mit der Geografie nicht so ganz firm, er verortete Manchester in Deutschland. Ist ja aus der Entfernung auch nur knapp daneben.

Das Kapitol aus der Nähe

Nach einem Spaziergang von zwei Stunden, einer Mahlzeit und einigen Metern mehr auf dem Asphalt haben wir genug. Wir laufen zurück zu unserem Quartier. Den Rest des Tages verbringen wir mehr oder weniger im Wohnzimmer.

Leider hat unsere Zimmerwirtin einen leeren Kühlschrank. Zum Abendessen gehen wir also noch einmal vor die Tür und besuchen das Restaurant nebenan. Es ist an der Ecke, es ist um die Ecke, man könnte es also Eckkneipe nennen.

CanChanChaRa – an der Ecke. Unser Quartier ist zwei Türen links davon.

Hier kostet eine Mahlzeit zwischen drei und fünf Dollar. Ein Bier kostet drei Dollar. Wir können uns also unbesorgt den Bauch vollschlagen. Das Essen ist wieder richtig gut. Es schmeckt anders als in Santiago. Wir erfahren später, dass jede Region in Kuba ihre eigene Art der Küche hat. Wir wollen wieder kommen, es ist günstig, gut und praktisch.

Blick vom Balkon des Stammrestaurants

Wenn man auf dem Balkon des Restaurants sitzt, hat man den Ausblick wie auf dem obigen Bild. Es sieht aus, als wäre es tief in der Nacht, doch die Sonne geht in Havanna um diese Jahreszeit schon um 18 Uhr unter. Zwei Stunden später ist auf den Straßen nichts mehr los, jedenfalls nicht am ersten Januar außerhalb der Altstadt.

Drohnenflüge verboten. Aufgenommen am Kapitol

Was es mit den Drohnenflügen auf sich hat, beschreibe ich im nächsten Blog. Jetzt muss ich noch ein wenig vorarbeiten, wir haben so viele Bilder aus Havanna mitgebracht. In den kommenden Tagen werden wir in Richtung Aruba, Bonaire oder Curacao weitersegeln. Deswegen muss ich die Beiträge heute vorbereiten.

Abenteuer Eisenbahn

Ende der Funkstille. Wir sind wieder zurück in Santiago. Noch suchen wir nach einer Lösung, wieder einmal einen schönen Blog mit Bildern zu veröffentlichen, das wird hoffentlich nicht mehr lange dauern. Leider haben wir erfahren müssen, dass Jamaika immer noch geschlossen ist. Also suchen wir nach anderen Zielen und können vielleicht mit einer Überraschung aufwarten. Doch nun zu unserem Ausflug nach Havanna.

Vorweg: Ich werde nie wieder eine Beschwerde über die Deutsche Bahn äußern. Nie wieder in meinem Leben, das habe ich mir hier in Kuba geschworen.

Der Fahrplan ist ein Traum. Es gibt einen Zug zwischen Santiago und Havanna, der alle vier Tage fährt. Am ersten Tag fährt er in Santiago los, um am folgenden Tag in Havanna anzukommen. Dort geht es einen Tag später wieder zurück, am vierten Tag ist der Zug wieder in Santiago. Das erste Abenteuer ist der Kauf der Fahrkarte. Die Fahrkarte gibt es mitsamt der zugehörigen Sitzplatzreservierung in speziellen Agenturen oder am Bahnhof. Leider war es mir nicht möglich, an den entsprechenden Schalter zu gelangen. Vermutlich, weil ich kein Einheimischer bin. Doch Norbert hat mir bei der Beschaffung der Fahrkarte für die Verbindung nach Havanna helfen können. Nur die Fahrkarte zurück konnten wir nicht in Santiago bekommen, weil es im neuen Jahr neue Fahrpreise gibt und diese Ende Dezember noch niemandem bekannt waren.

Also fahren Jens und ich am 31.12. gegen Mittag an den Bahnhof von Santiago. Bevor wir zum Taxi gehen, fragt uns Norbert, ob wir auch warme Sachen eingepackt haben. Er hat uns nämlich die erste Klasse reserviert, dort sind die Waggons klimatisiert und zwar richtig, richtig kalt. Wir bitten ihn, uns für die Rückfahrt ein Ticket zweiter Klasse zu besorgen und holen noch ein paar warme Sachen aus dem Boot.

Der Zug soll um 16:30 Uhr abfahren, deswegen sind wir schon um 13 Uhr am Bahnhof. Warum? Weil das zwingend notwendig ist. Die Reservierung muss nun in eine Registrierung umgewandelt werden. Man muss an den entsprechenden Schalter gehen. Dort zeigt man seinen Pass vor und die Reservierung wird im Computer überprüft. Anschließend wird die Fahrkarte auf der Rückseite gestempelt.

Nun können wir den Bahnhof wieder verlassen und noch ein paar Sandwiches für die Reise kaufen. Der kleine Imbiss gegenüber dem Bahnhof hat alles im Angebot, was ein Reisender für die Fahrt braucht. Allerdings gibt es kein Bier, wie fast überall in Kuba. Der Jahreswechsel wirft seine Schatten voraus, die Kubaner haben die kompletten Biervorräte auf der Insel für ihre eigenen Zwecke eingekauft, da bleibt keine Dose mehr im Regal liegen. Okay, das ist ein minderschweres Problem, es gibt schließlich genug Rum.

Um 15:30 Uhr sitzen wir vor dem Bahnhof im Schatten, als plötzlich die Türen der Wartehalle geschlossen werden. Außer uns sind noch mehrere Dutzend Reisende vor der Tür, es kommt beinahe zu Tumulten. Wir können von draußen beobachten, wie bei allen Wartenden die Temperatur gemessen wird. Als der Temperatur-Mess-Offizielle sämtiche Reisenden gecheckt hat, werden die Türen wieder geöffnet. Nun können wir auch in die Wartehalle, beim Eintritt werden die Fahrkarten das erste Mal kontrolliert, unsere Hände werden desinfiziert und unsere Temperatur wird gemessen.

Gegen 16 Uhr öffnen sich die Tore zum Bahnsteig. Die Fahrkarten werden ein zweites Mal kontrolliert, wir werden zum ersten Wagen geschickt. Dort steht die Schaffnerin an der Tür, kontrolliert unsere Fahrkarten ein drittes Mal. Eine Fahrkartenkontrolle bedeutete auch jedes Mal, dass wir unseren Reisepass vorzeigen müssen. Die Schaffnerin notiert unsere Namen auf einem Klemmbrett, die auf unserer Tickets aufgedruckten Sitzplätze werden uns angewiesen und wir können uns endlich setzen. Die Klimaanlage brummt heftig, es ist schon recht frisch im Wagen, doch noch kommt die Sonne von draußen dagegen an. An der Decke sind Fernseher montiert, auf denen eine Art Western läuft. In Spanisch. Niemand kann sich dem entziehen, der Ton kommt über die Wagenlautsprecher.

Die Waggons sind nur wenige Jahre alt und kommen aus China. Dagegen ist nichts einzuwenden, in China gibt es ein riesiges Eisenbahnnetz und sie können Züge bauen. Die Sitze sind sehr bequem und die Beinfreiheit ist exorbitant. So viel Platz gibt es in deutschen Zügen nicht. Auch sind die Waggons sehr sauber und sie haben zwei (!) fuunktionierende Toiletten pro Wagen. Die Deutsche Bahn hat sich von diesem Konzept längst verabschiedet. Nur die Fernseher und die Klimaanlage nerven.

Bei der Abfahrt stellt sich die Schaffnerin in die Mitte des Wagens und macht die Ansage, wie man sie auch aus unseren Zügen kennt. Wir fahren nach Havanna, wir halten unterwegs da und dort, und und und… Währenddessen spielt der Western weiter auf den Fernsehern, nur den Ton hat man etwas leiser gedreht.

Anschließend kommt es zur vierten Fahrkartenkontrolle. Die Schaffnerin kontrolliert, ob jeder auf dem richtigen Platz sitzt. Wer sich auf einen falschen Platz gesetzt hat, wird nun auf den richtigen Platz geschickt. Langsam rumpelt der Zug über einigermaßen ausgeleierte Gleise aus Santiago heraus. Die Landschaft ändert sich schnell, draußen ist es wunderbar grün. Wir fahren durch Bananenplantagen und Urwälder. Toll. Neben der Schaffnerin sind außerdem noch zwei Polizisten in jedem Wagen. Und der Oberschaffner. Vier Personen sind für ca. 50 Reisende zuständig.

Nach einer knappen Stunde hält der Zug am ersten Bahnhof. Den Namen habe ich wieder vergessen. Es sieht aber so ähnlich aus, wie auf deutschen Bahnhöfen auf dem Land. Ein Bahnsteige für den Personenverkehr und daneben ein Dutzend Gütergleise mit rostigen und verrotteten Güterwagen. Die sind allerdings sämtlich in Gebrauch. Das ist der Unterschied. In Kuba werden noch viele Güter auf der Schiene transportiert.

Nach dem ersten Halt kommt die Schaffnerin mit einem Trolley durch den Wagen gelaufen, wie er auch in Flugzeugen üblich ist. Sie verkauft für 5 Pesos ein Sandwich und eine kleine Flasche Limo. Fünf Pesos sind etwa 20 Cent. Mehr ist das Brötchen allerdings auch nicht wert. Es ist trocken und mit knorpeligem Schinken und geschmackfreiem Käse belegt. Die Limo ist pappsüß. Von dem Angebot wird rege Gebrauch gemacht, man kann so viel kaufen, wie man möchte. Unsere Sandwiches aus dem Laden gegenüber sind besser. Außerdem haben wir noch ein Brot für die Reise gebacken, das schlägt das einheimische Brot um Längen.

Bei der fünften und letzten Fahrkartenkontrolle brauchen wir den Pass nicht mehr vorzuzeigen, die Fahrkarte wird abgerissen und die Schaffnerin sammelt die abgerissenen Abschnitte. Da das Papier nicht perforiert ist, faltet sie die Tickets akribisch und reißt sie dann mit einer geübten Bewegung ab.

Gegen 22 Uhr haben wir mehrere Musikvideos, Propagandavideos für den Tourismus in Kuba, eine Raubkopie eines Steve Martin Films (Englisch mit spanischen Untertiteln) und einen spanischen Liebesfilm ertragen müssen. Der Filmterror kommt von einem DVD-Player, der auf Weichen oder heftigen Schienenstößen zu springen anfängt. In jedem Wagen gibt es einen DVD-Player, die werden offenbar nacheinander vom DVD-Beauftragten gestartet und spielen mit leichtem Zeitversatz von ca. 30 Sekunden dann dasselbe Programm. Woher ich das weiß? Ich konnte es hören, wenn die Türen zwischen den Wagen offen standen. Um 22 Uhr schalten sie das Filmprogramm aus und die Lichter im Wagen werden ebenfalls ausgeschaltet. Endlich können wir versuchen zu schlafen.

Pünktlich um Mitternacht geht dann wieder das Licht im Zug an. Der Zugchef höchstpersönlich läuft von Platz zu Platz und wünscht jedem Fahrgast mit der Faust ein frohes neues Jahr. Dann gehen die Lichter wieder aus und wir versuchen zu schlafen, während unsere Füße in den Sandalen ohne Socken langsam zu Eisbrocken gefroren werden.

Nach wenig Schlaf kommen wir am nächsten Tag gegen 10 Uhr morgens mit nur zwei Stunden Verspätung in Havanna an. Wir nehmen uns ein Taxi zu unserem Quartier und müssen uns erst einmal aufwärmen.


Für die Rückfahrt haben wir Fahrkarten zweiter Klasse bekommen. Die Zahl der Kontrollen ist genau gleich. Sogar der Abstand der Sitze ist in der zweiten Klasse wie in der ersten Klasse. Der neue Fahrpreis zweiter Klasse ist mit dem alten Fahrpreis erster Klasse identisch. Eine Fahrt kostet pro Person 95 Pesos, also etwa vier Dollar.

Der Vorteil in der zweiten Klasse ist die Abwesenheit der Videobildschirme, die Abwesenheit der Klimaanlage und die Möglichkeit, die Fenster während der Fahrt zu öffnen. Das ist richtiges Eisenbahnfahren. Ich kann dem Klackern der Räder über die Schienenstöße lauschen, den Menschen, die sich unterhalten und ich kann den Duft Kubas genießen. Es riecht immer irgendwie verbrannt. Irgendwo verbrennen die Menschen ihren Müll, die Lok verbrennt schwefligen Diesel, irgendwo steht immer eine Fabrik die vor sich hin rußt und ihren schwarze Rauch über hohe Schornsteine im Land verteilt. Manchmal riecht es aber auch nach dem Urwald, nach viel Grün.

Neben der Fahrkartenkontrolle kommt unterwegs noch die Covid-Kontrolle. Jeder Fahrgast muss seinen Namen aufschreiben, die Nummer seines Ausweises und das Ziel der Reise. Warum? Wir haben feste Sitzplätze, die Ausweisnummern sind auch im System hinterlegt. Andererseits ist es auch egal, wir sind noch stundenlang in diesem Zug unterwegs und haben nichts Besseres zu tun.

Die Brötchen haben nun neue Preise. Was auf der Hinfahrt für fünf Pesos zu haben war, kostet jetzt 50 Pesos. Was für ein Glück, dass wir uns wieder vor der Fahrt versorgt haben. Außerdem haben wir uns in einem Restaurant den Bauch noch einmal richtig voll geschlagen. Die Reisenden haben lautstark über die neuen Preise im Zug protestiert. Nicht nur dort, überall in Kuba wird über die neuen Lebensmittelpreise geschimpft. Die Preise sind massiv gestiegen, die Gehälter allerdings nicht. Unser Zimmerwirt meinte, dass sich die Menschen gegenseitig aufessen würden, wenn es so weiter geht. Ich bin gespannt, wie sich die Situation in Kuba in den nächsten Monaten entwickeln wird. Die Fleischpreise sind über 150 Prozent gestiegen, die Preise für Brot um 500 Prozent.

Nach unserer Ankunft in Santiago müssen wir zunächst im Zug warten. Als wir endlich aussteigen dürfen und den Bahnsteig entlang laufen, kommen wir zunächst an einem Fahrgastdesinfizierer vorbei. Der steht dort mit einer Art Spritze, wie wir sie bei uns für Unkrautvernichtungsmittel im Garten benutzen, und desinfiziert alle Fahrgäste und ihr Gepäck. Dann kommen wir an einer Station vorbei, an der Fieber gemessen wird. Nun endlich werden wir aus dem Bahnhof entlassen und können uns ein Taxi in die Marina nehmen.

Norbert ist ziemlich glücklich, dass unsere Reise so gut verlaufen ist. Er hat öfter versucht, uns in unserem Quartier zu erreichen. Leider war unsere Zimmerwirtin in der Nacht immer unterwegs und hat gefeiert, dafür hat sie dann tagsüber ihr Telefon nicht gehört. Wir sind nach der Nachtfahrt auch ziemlich müde und gehen früh ins Bett. Diesen Blog musste ich trotzdem schreiben. So viel Zeit muss sein. Ich werde nie wieder über die Deutsche Bahn meckern, über die Möglichkeit am Bahnhof eine Fahrkarte zu kaufen und dann in einen Zug zu steigen, der meistens einmal in der Stunde fährt.