Welchen Wochentag haben wir heute? Wie lange sind wir schon unterwegs? Ist die Wurst schon lange abgelaufen, die unten links im Kühlschrank liegt?
Fragen, die ich mir zu Hause nie stellen musste. Knapp einen Monat leben Jens und ich jetzt schon auf Sissi, es kommt mir manchmal vor, als wären wir gestern erst losgefahren. In anderen Momenten scheint es, als seien wir schon eine halbe Ewigkeit gemeinsam auf dem Wasser unterwegs. Auf längeren Seepassagen, wie etwa bei der Überquerung der Nordsee, kommt noch erschwerend der veränderte Tag- und Nachtrhythmus hinzu, denn wir schlafen bei jeder Gelegenheit, die sich bietet.
Datum und Uhrzeit werden nur dann wichtig, wenn der Tidekalender konsultiert werden muss. Die Tide hält sich unerbittlich an ihren Fahrplan und ist zuverlässiger als die Schweizer Eisenbahn. Verpassen wir die Tide, können wir erst 12 Stunden später fahren oder verbrennen eine Unmenge Diesel, damit wir gegen die Strömung motoren können.
Insgesamt ist es spannend, wie sich unsere Einstellung gegenüber den äußeren Gegebenheiten ändert. Wenn zu Hause die Bahn nicht fuhr, weil der Blitz in ein Stellwerk eingeschlagen hat, überlegte ich mir immer, wie ich so schnell wie möglich aus dem Schlamassel heraus komme. Heute liege ich oberhalb von Neptunes Staircase und kann nicht herunter, weil unten eine Eisenbahnbrücke vom Blitz getroffen wurde und erst repariert werden muss. Ob wir morgen herunter kommen, ist nicht sicher. Mir ist es aber egal, denn ich muss mir keinen Stress machen und es macht mir niemand Stress.
Jens meinte heute zu mir, dass er in diesem Urlaub noch kein Fish & Chips gegessen hätte. Die Bezeichnung „Urlaub“ finde ich für unsere Tour unangemessen, aber wie soll man das sonst nennen? Egal wie wir es nennen, wir werden einfach dieser Tage mal ein weniger fettiges Restaurant aufsuchen und Fish & Chips essen. Wo ist das Probem? Wir müssen nicht nach ein paar Wochen wieder zu Hause sein und danach zur Arbeit gehen, sondern sind ganz woanders und schauen uns dort Land und Leute an.
Auf die Leute muss man zugehen. Die Schotten sprechen einen Deutschen nicht einfach so an, das kann schon daran liegen, dass sie möglicherweise mit sprachlichen Schwierigkeiten rechnen (die gibt es) oder woran auch immer. Wenn wir aber auf sie zu gehen, kommt meist eine freundliche, gute Begegnung dabei heraus. Dafür sind wir doch unterwegs, wir wollen Land und Leute kennenlernen. Überall.
Wie sehr mir Zeit und Raum entfleucht sind, habe ich heute im Coop in Corpach bemerkt. Ich war auf der Suche nach einem Mittel, das das Jucken der Midgee-Bisse lindert. Sie hatten zwar ein Anti-Midgee-Mittel, sie hatten jedoch kein Mittel gegen den Juckreiz. Also fragte ich nach einer Apotheke. Der Verkäufer erklärte mir den Weg und meinte im Nachgang, dass die aber am Sonntag geschlossen hat. Wie bitte? Natürlich! Heute ist Sonntag!
Wie wird das wohl weiter gehen? Im Logbuch unserer Reise stehen zwar für jeden Tag Datum und Uhrzeit, aber das schreibt sich leicht hin und ist dann schnell vergessen. Allein die Gewohnheit gebietet, dass um Mitternacht ein neuer Tag anfängt. Mitternacht ist aber oft eine Zeit, zu der wir unterwegs sind. Wir schlafen dafür am nächsten Tag. Wenn wir nach Mitternacht im Hafen einlaufen, ausschlafen, anschließend die Hafengebühren bezahlen und dann die Gegend erkunden, bekommen wir noch eine zweite Nacht gratis, denn wir zahlen nur für Kalendertage. Das ist lustig, dann werden aus einem Tag plötzlich zwei Tage. Es fühlt sich auf jeden Fall so an. In der zweiten Nacht schläft es sich genau so gut wie in der ersten.
Ich bin gespannt, was dieser Törn aus mir noch macht. Jens geht es ähnlich.