Schottland ruft!

Und ich möchte diesem Ruf Folge leisten. Die Wettervorhersage verspricht zwei bis drei Tage guten Wind, der bis zur Isle of Man reichen soll. Ich hätte gerne noch ein paar Tage in Cork verbracht, aber nach dem guten Wind kommt erst einmal der falsche Wind oder gar kein Wind. Die Reise ist ja eher eine Kurzstrecke, es sind bis Douglas nur 250 Meilen. Also muss ich gar nicht viel einkaufen, Sissi ist schnell verproviantiert. Ich zahle die Marina und bitte die Leute vom Yachtclub um Hilfe, denn ich will noch zur Tankstelle. Da das Wasser schon abläuft, herrscht im Owenboy River eine gewisse Strömung. Die Mädels und Jungs vom Yachtclub kennen ihren Hafen, Sissi ist schnell betankt und die Reise kann losgehen.

Der Motor tuckert im Leerlauf, der Autopilot hält Kurs. Ich nutze den ruhigen Flusslauf, um die Fender und Leinen einzusammeln und zu verstauen. Normalerweise macht das meine Crew. Der Yachtclub liegt hinter mir, ich fahre an der nächsten Marina vorbei. Dabei drückt mir der Kaffee ordentlich auf die Blase. Der Flusslauf ist frei, keine feindlichen Boote in Sicht. Also springe ich schnell runter auf die Toilette. Dann höre ich einen Schrei und es rumpelt. Quasi mit offenem Hosenlatz stürme ich nach oben und sehe das Malheur. Sissi hat ihren Anker an einer ordnungsgemäß in der Marina festgemachten Segeljacht im Heckkorb eingefädelt. Scheiße.

Wahrscheinlich verläuft der Strömung nicht 100% mit dem Fahrwasser, sondern strömt auch durch die Marina. Der Autopilot konnte da bei der geringen Drehzahl den Kurs nicht halten. Normalerweise hätte meine Crew das Ruder bedient, wenn ich die Toilette bediene. Das fängt ja gut an mit dem Einhandtörn. Kräftige Rückwärtsgas befreit Sissi, ich drehe um und lege an einem freien Landeplatz an. Derweil fängt ein anderer Marinalieger mein Opfer wieder ein. Ich verstehe zunächst gar nicht, wieso sich das Boot plötzlich in den Strom gedreht hat. Dann wird es mir klar: Die kleine Berührung hat den Steg zerrissen, der war wohl schon ein wenig morsch. Ausgerechnet an der Stelle, an der die Klampe des anderen Segelboots war.

Der Hafenmeister kommt. Nicht, weil der Steg kaputt ist oder weil ich das Boot gerammt habe, sondern weil ich auf dem Parkplatz eines Fischerboots festgemacht habe. Ich erkläre ihm die Situation. Er klettert an Bord meines Opfers und kann keinen Schaden feststellen. Zum Steg meint er nur, dass ich das nicht gewesen bin. Er wusste wahrscheinlich auch, dass das Holz seine besten Tage schon hinter sich hat. Nach wenigen Minuten kann ich die Fahrt fortsetzen.

Raus aus der Bucht, Segel rauf und Motor aus. Der Wind ist gut, ich kann meinen Wunschkurs anlegen. Das Wetter ist irisch. Den ganzen Tag sehe ich die Sonne nicht, dafür regnet es in verschiedenen Stärken. In der Dunkelheit muss ich später ein paar beweglichen Leuchttürmen ausweichen, die Fischerboote sind heller als die meisten Leuchttürme. Jetzt würde ich normalweise meine Crew wecken und ein paar Stunden schlafen. Das geht natürlich Einhand nicht. Den ganzen Abend schon lege ich mich immer mal eine halbe Stunde hin und stelle mir den Wecker, wenn ich nicht gerade um Leuchttürme herumsegle. Morgens um fünf bin ich müde aber glücklich, denn die irische Südküste liegt hinter mir. Ich kann den Kurs nach Norden ändern.

Drei Stunden lang kämpfe ich mich nun durch heftige Wellen vor Rosslare. Ich habe den Kurs zu früh geändert, bin zu dicht an die Küste gekommen und darf das jetzt ausbaden. Außerdem war ich drei Stunden zu früh da. Ich wollte mit auflaufender Tide diesen Bereich befahren, hier sind die Strömungen am größten. So kommt mir die Strömung entgegen, der Wind von hinten bringt hohe Wellen und das alles macht keine Freude.

Gegen Mittag beruhigt sich die Situation wieder. Jetzt treibt mich die Strömung, auch die Wellen sind angenehmer geworden. Es reicht sogar für einen Blog mit Bild. Es sind jetzt weniger als 120 Meilen bis Douglas. Morgen Nachmittag muss ich zum Hochwasser (+/- 2 Stunden) ankommen, damit der Hafen geöffnet hat. Hochwasser ist etwa um 15 Uhr. Wenn ich zwischen 13 und 15 Uhr ankomme, kann ich gleich hinein fahren und muss nicht warten. Das schaffen wir, Sissi und ich und der Windpilot!

1. Etmal: 116 nm
Position: 52°25’N 5°49’W

Ankommen

Der Rest der Geschichte ist schnell erzählt. Wir sind nur noch ein paar Meilen von Cork entfernt und müssen uns für eine der Marinas entscheiden. Die Entscheidung ist schnell getroffen, wir entscheiden uns für Crosshaven. Dort gibt es in einem Flusslauf gleich drei Marinas, eine von ihnen wird schon Platz für uns haben. Crosshaven ist zwar am Ende der Welt, doch es gibt eine regelmäßige Busverbindung nach Cork. Gegen 14:50 Uhr sehe ich zum ersten Mal Land am Horizont.

Flaute, aber es ist Land in Sicht

Ich wecke Mário, der sich schon lange danach sehnt, etwas anderes als Wasser vor seine Augen zu bekommen. Richtig begeistert ist er nicht, aber das liegt wohl auch an der Müdigkeit. Dann sehen wir die Flossen von ein paar Haien im Wasser. Das weckt die Lebensgeister. Mário beschwert sich ein wenig, denn ich habe ihm Delfine versprochen. Gesehen haben wir außerdem unzählige Seevögel, Portugiesische Galeeren, ein paar Wale und wir haben sogar ein paar Tintenfische an Deck gefunden. Nur Delfine hatten wir noch nicht.

In der Flaute ist auch Gelegenheit für einen Ausflug in den Bugkorb

Zum Abendessen gibt es die Reste des gestrigen Hackbratens, dem ich mit einer Biersauce aus seiner Trockenheit helfe. Lecker. Während Mário das Geschirr spült, sehe ich einigen Vögeln zu, die offenbar Interesse am Wasser unter ihnen haben. Dann erkenne ich den Grund ihres Interesses, einige Delfine befinden sich auf der Jagd. Ich rufe Mário ins Cockpit und er kann einen weiteren Haken auf seiner Liste machen.

Delfine auf der Jagd

Es ist lustig. Immer wieder ziehen Delfine in mehr oder minder großer Entfernung an Sissi vorbei. Der Tisch scheint reichlich gedeckt zu sein. So dauert das Abspülen von ein paar Tellern eine gute Stunde, denn immer wieder wollen Fotos und Videos geschossen werden.

Dieser Delfin begleitet uns ein paar Minuten

Die Nacht wird kurz. Wir wollen gegen 4 Uhr morgens an der Ansteuerungstonne für die Einfahrt nach Cork sein. Also machen wir verkürzte Nachtwachen. Ich bleibe bis um 1 Uhr wach, dann darf ich mir noch drei Stunden Schlaf gönnen. Die gehen viel zu schnell vorbei. Gleich neben der Ansteuerungstonne liegt ein Frachter vor Anker. Nur der Sonnenaufgang lässt noch etwas auf sich warten.

Frachter vor Anker

Dank aller unserer Hilfsmittel (Seekarte, Radar, AIS) und der vor Ort befindlichen Leuchttürme und Tonnen gelingt die Einfahrt auch in der Dunkelheit problemlos. Und es wird von Minute zu Minute heller. Wieder einmal kann ich einen Sonnenaufgang sehen, das geschieht in meinem Leben nicht allzu oft. Es herrscht reger Schiffsverkehr, ein Frachter kommt uns mitsamt Lotsenboot entgegen, gleich darauf folgt der nächste Frachter – diesmal von hinten.

Frachter fährt bei Sonnenaufgang Richtung Cork

Wir biegen ab in den Owenboy River. Mário bringt die Fender raus und sucht die Festmacher, die er vor knapp 13 Tagen verstaut hat. Es findet sich alles wieder, Sissi ist rechtzeitig zum Anlegen bereit. Im Flusslauf selbst liegen recht viele Boote an Bojen. Wir haben gerade Hochwasser, trotzdem sollte man nicht auf der falschen Seite der Bojenfelder fahren. Irgendwo zwischen den Mooringbojen sind dann aber immer mal wieder grüne und rote Tonnen versteckt.

Crosshaven am Morgen

Wir finden einen freien Platz in der Royal Cork Yacht Club Marina. Sissi ist schnell vertäut. Um 6:30 Uhr ist die Reise nach 1280 Seemeilen beendet. Wir sind vollkommen kaputt und wollen erst einmal eine Runde schlafen. Doch vorher schnorren wir noch den Code für die elektrische Tür am Steg bei einem Frühaufsteher. Dann nehmen wir uns die Zeit für eine lange, heiße Dusche. So schläft es sich viel besser! Ich schätze, dass ich in den nächsten Tage nicht allzu viel schreiben werde. Bevor die Geschichte mit Cork weitergeht, habe ich noch einige Bilder aus Santa Maria nachzureichen. Mário bucht schon einmal seinen Heimflug, denn sein Urlaub ist übermorgen vorbei. Während ich diesen Beitrag schreibe, habe ich kalte Füße. Irland ist von der Temperatur her schon eine andere Hausnummer als die Azoren.

Fliegende Pinguine, tanzende Elefanten und gurrende Täubchen

Sissi lümmelt sich auf dem Fußboden. Sissi ist eine schwarze Stoffkatze, die ich vor der Abfahrt geschenkt bekommen habe. Sissi die echte Katze war auch schwarz. Die Stoffkatze sieht ziemlich echt aus und hat schon desöfteren für Verwirrung bei meinen Besuchern gesorgt. Ich setze Sissi wieder auf ihren Platz, normalerweise liegt sie in einer entspannten Position auf der Rettungsinsel. Mário und ich räumen auf.

Die gestrige Nacht hat für einige Unordnung im Boot gesorgt. Unsere beiden Hauselefanten haben wohl Pogo getanzt. Die Vorschiffskoje sieht aus wie… ein Franzose würde sagen „une bordelle“. Bei unserem heißen Ritt haben sich Gegenstände umsortiert, die ich eigentlich sicher verstaut geglaubt habe. Letztendlich haben all diese Dinge ihren vorläufigen Platz auf dem Fußboden gefunden und müssen nun wieder weggeräumt werden. So ist das Bordleben.

Ich studiere den Reeds Nautical Almanach. Der ist von 2018, also praktisch brandaktuell. In Cork gibt es mehrere Marinas. Die Innenstadtmarina fällt sofort aus der Liste der möglichen Ziele. Man muss ewig lange den Fluss entlang fahren und landet dann an einem Pontoon ohne Dusche, ohne Toilette und ohne Sicherheit. Es wird vor Diebstählen gewarnt. Danke, brauche ich nicht. Eine weitere Marina ist in Monkstown, einem Vorort von Cork. Und drei Marinas liegen nebeneinander in Crosshaven, am Ende der Welt. Dafür aber direkt an der Einfahrt in die Bucht. Wir werden uns morgen für eine der vier entscheiden müssen. Nebenbei fällt mir noch auf, dass ich perfekt vorbereitet bin für die Einfahrt in ein Tiderevier. Mein Tidekalender ist von 2019. Eine Email an Jens geht raus, er soll mir die Zeiten für Hoch- und Niedrigwasser beschaffen. Außerdem frage ich bei den Marinas an, ob sie einen freien Platz für uns haben.

Den ganzen Nachmittag über segeln wir gar nicht so langsam auf unser Ziel zu. Meist machen wir noch über 5 kn Fahrt. Der abflauende Wind ist so schön, ich hätte gerne mehr davon. Das ist der richtige Wind, nur die Wellen passen noch nicht dazu. Die Wellen sind immer noch relativ hoch, es ist aber kein Vergleich mehr zu gestern Nacht. Mário daddelt am Kartenplotter. Es sind noch 158 Meilen bis zur Ansteuerungstonne von Cork. Eine Stunde später sind es noch 153 Meilen. Mário zählt die Stunden, die Minuten bis zur Ankunft. Ich versichere ihm, dass wir am frühen Vormittag des Mittwochs ankommen werden. Mário möchte sicher sein, rechnet und rechnet und rechnet. Wenn wir einen halben Knoten mehr fahren, dann kommen wir vielleicht noch am Dienstag an.

Ich halte die Wettervorhersage dagegen. Außerdem möchte ich nicht bei Nacht in den unbekannten Hafen einfahren. Ich werde die Ankunftszeit schon so regeln, dass wir Tageslicht haben. Das ist der einzige Vorteil, wenn man mit dem Motor unterwegs ist. Auf dem AIS ploppen plötzlich mehrere Signale auf. Fischerboote sind bei der Arbeit. Zwei AIS-Bojen liegen irgendwie auf unserer Kurslinie. Wir bekommen keine von ihnen zu Gesicht, ändern aber dennoch unseren Kurs. Mário ist unzufrieden, auf dem geänderten Kurs sind wir etwas langsamer. Kann ich leider nicht ändern.

Zum Abendessen gibt es Hackbraten mit Reis und Dosengemüse. Man muss Abstriche machen. Das Gericht gerät viel zu trocken, ich habe es nicht gewagt, eine adäquate Sauce dazu zu kochen. Aber es ist ein Gericht, das nicht sofort zu Seekrankheit führt. Eine Portion für den kommenden Tag bleibt auch übrig. Für die Motorfahrt werde ich dann noch eine Sauce dazu kochen.

Irgendwann kommt eine Email von der Samai rein. Sie sind wohlbehalten in Brest angekommen, haben ausgiebig geduscht und schlafen erst einmal aus. Meine Frühstückmöwe wurde von Samuel als Eissturmvogel identifiziert. Er hat nie einen vor seine Kamera bekommen. Wir werden den ganzen Tag schon von mehreren dieser fliegenden Pinguine umkreist. Also versuche ich, noch ein besseres Bild zu bekommen (siehe untenstehendes Foto). Was freue ich mich auf die Dusche in Cork. Unter einer halben Stunde werde ich es nicht machen. Auch die Informationen zur Tide landen wohlbehalten in meiner Mailbox. Nur von den Marinas gibt es keine Antwort. Wir werden schon einen Liegeplatz bekommen.

In der Nacht sehe ich Leuchttürme an allen Ecken und Enden. Backbord, Steuerbord, weit voraus und hinter dem Heck tummeln sich Fischerboote. Der AIS-Bildschirm zeigt nichts. Die wollen ihren Kollegen nicht verraten, wo sich die Fische gerade herumtreiben. Aber irgendwie fahren die alle mit den gleichen Suchalgorithmen, sie sind mehr oder minder alle an der Kante, an der sich die Wassertiefe von gut 1000 Metern auf wenige als 200 Meter ändert. Ich heize das Radar an. Jetzt kann ich wenigstens die Entfernung bestimmen. Nur mit den Lichtern ist das bei Nacht praktisch unmöglich. Normalerweise haben wir Segelboote ja so etwas wie „Vorfahrt“ gegenüber den Motorbooten gleich welcher Größe. Doch leider hat Fischers Fritz gegenüber den segelnden Segelbooten diese „Vorfahrt“, wenn er frische Fische fängt. Irgendwie finde ich einen Weg durch den Fischerslalom, wir gehen nicht ins Netz.

Statt dessen schläft der Wind ein. Damit ist klar, der Segeltörn ist nunmehr beendet. Der Wind wird nicht vor Donnerstag wiederkommen. Onkel Benz nimmt seine Arbeit auf. Der elektrische Autopilot gurrt wie immer wie ein kleines Täubchen unter meinem Kopfkissen. Als ich Mário zu seiner Wache wecke ist er sehr enttäuscht, dass es immer noch über 100 Meilen Reststrecke sind. Ich gebe ihm eine schnelle Einweisung in das Radar, dann gehe ich dem Täubchen zuhören.

Bei meinem Morgenkaffee erfahre ich, dass wir in der Nacht teilweise sehr langsam mit nur 3 kn unterwegs waren. Inzwischen sind wir sehr schnell unterwegs. Wir fahren mit der gleichen Motordrehzahl 4,8 kn. So langsam kommen wir in den Einflussbereich der Tide hinein. Hochwasser in Cork ist am Mittwoch um 6:05 Uhr. Wenn wir zu spät ankommen, müssen wir in der Bucht also noch gegen den ablaufenden Strom motoren. Ungünstig. Unangenehm. Nicht zu ändern. Wir werden im Laufe des Tages einen oder zwei Kanister Diesel nachtanken, dann können wir auf jeden Fall ordentlich Gas geben.

12. Etmal: 95 nm
Position: 50°51‘N 9°40‘W
Reststrecke nach Cork: 75 nm