Es gibt Dinge… im letzten Blog habe ich berichtet, dass der Nachbar sich über seine Abreise freut. Einer der wenigen Bewohner der Werft, der noch länger hier liegt als ich. Fred baut die Einspritzpumpe ein, ich bekomme einen neuen Nachbarn längsseits und dann fallen meine Blicke auf den Steg gegenüber. Er ist wieder da!
Natürlich bin ich nun neugierig. Warum ist er wieder da? Er ist unter großem Getöse und Gehupe ausgelaufen, ich hielt die Abfahrt für endgültig. War es womöglich einfach nur eine Probefahrt? Nein. Es ist ganz profan. Nach einem schönen Segeltag wollte er den Anker werfen, die Ankerwinde hat aber die Zusammenarbeit verweigert. Während ich mich mit ihm unterhalte, bearbeitet ein Werftarbeiter im Untergeschoss den Garantiefall. Jetzt endlich bekomme ich auch die ganze Geschichte. Er war unterwegs von Martinique (wo er wohnt) nach St. Martin und hat unterwegs einen verlorenen Container getroffen. Die Folge waren verschiedene Schäden am Rumpf. Die Seenotretter wiederum, die ihn aus seiner Lage befreiten, haben bei der Rettungsaktion dann auch noch das Rigg und den Mast beschädigt, weil das alles irgendwie im Container verheddert war. Zum Glück ist die Wahrscheinlichkeit winzig, mit einem Container zu kollidieren.
Die Bemalung meines neuen Nachbarn gefällt mir, auch die Idee hinter dem Projekt. Und mir gefällt, wie sich die beiden benehmen. Sie ziehen immer die Schuhe aus, bevor sie über Sissi klettern. Sie haben vorher gefragt, ob sie längsseits kommen dürfen. Das machen nicht viele. Und sie versprechen mir hoch und heilig, dass sie mir den Liegeplatz freihalten, wenn ich zusammen mit Fred eine Probefahrt mache. Das ist gut, denn immer noch kommen die Leute jeden Morgen bei mir vorbei und stellen mir Fragen, auf die ich keine Antworten habe. Wann fährst Du hier weg?
Für meine nächtlichen Partygänger habe ich Wohnungen angeschafft. Mehrere Insektenhotels in Fertigbauweise stehen ihnen nun in der Nähe ihrer Partyzone zur Verfügung. Gerade in den ersten Nächten wurden sie wirklich hervorragend angenommen. Es gab in keiner Nacht Leerstand. Also musste ich zu Anfang wirklich an jedem Abend einen neuen Satz von Wohnraum auf Lebenszeit aufstellen. Wer bei mir ungefragt Partys feiert, wird mit lebenslanger Haft bestraft.
Inzwischen hat der Andrang ein wenig nachgelassen. Diese Box steht nun schon seit zwei Wochen in der Ecke und hat bislang nur vier Fans gefunden. Mich erstaunt die Zähigkeit dieser Insekten. Noch nach zwei Wochen zappeln sie mit ihren langen Fühlern. Noch nach zwei Wochen versuchen sie zu flüchten, wenn ich die Box bei Tageslicht öffne. Ich werde das weiter beobachten, eine Wahl habe ich sowieso nicht.
Während ich den heutigen Blog formuliere fällt mir auf, dass ich keinen Maßstab zu den Käfern dazu gehalten habe. Also nehme ich mir gerade noch einmal die Box, die ich gestern fotografiert habe, und öffne sie. Wieder setzt eine zähe Fluchtbewegung ein, die sich vor allem in zappelnden Fühlern zeigt. Ich freue mich über einen neuen Bewohner, der über Nacht noch meine Gastfreundschaft angenommen hat. Langsam wird es bei mir an Bord wieder einsamer. So fühlt es sich jedenfalls an. Das ist gut so. Auch die Boxen, die ich im Salon unter den Fußbodenbrettern verteilt habe, werden kaum noch angenommen.
Einer der wenigen Vorteile meines Liegeplatzes ist die Aussicht. In der Nähe sammeln sich immer wieder die Chartercrews, die mit ihrem Gepäck auf den Transport zum Charterboot warten. Die kommen dann immer mit Vorräten aus dem Supermarkt, die wie für eine Pazifiküberquerung gemacht sind. Irgendwie scheint die Karibik vor allem für junge Menschen attraktiv zu sein, jedenfalls warten in diesen Gruppen oft ausgesprochen hübsche Frauen. Na ja, ich warte ja auch. Fred hat mir nach dem Einbau der Pumpe für Samstag oder Sonntag eine Probefahrt annonciert. Deswegen habe ich trotz geeigneten Wetters die Schleifarbeiten nicht fortgesetzt. Statt dessen habe ich praktisch den gesamten Sonntag vertelefoniert – mit der ganzen Familie und dann noch drei Stunden mit Barbara und Volker. So schnell kann ein Tag vergehen.
Am Montag kommt dann die Nachricht von Fred. Probefahrt um 10 Uhr. Also gut, dann kann ich heute also auch nicht weiter schleifen. Ich verspreche mir sowieso nicht allzu viel davon, hat die Pumpe doch schon im Hafen bewiesen, dass sie nicht so funktioniert, wie sie funktionieren soll. Ich freue mich jedenfalls darauf, mal für ein paar Minuten unterwegs zu sein. Schon um 11 Uhr geht es los, wir fahren eine Runde nach Pointe-à-Pitre und zurück. Insbesondere ein Verhalten des Motors ist neu: Stelle ich die Drehzahl auf 1400 Umdrehungen, saust er entweder auf 1600 nach oben oder er fällt kurz danach auf 1200 herunter. Dieses Verhalten ist komplett neu. Die 1400 Umdrehungen sind jedenfalls unsere wirtschaftlichste Reisegeschwindigkeit. Damit schafft Sissi die meisten Meilen pro Tankfüllung. Gefällt mir nicht.
Während ich am Abendessen bin, klingelt plötzlich mein Telefon. Holger ist am Apparat. Er war aus anderen Gründen bei Electro Diesel Service und hat mit Mr. Michel gesprochen. Dabei hat er erfahren, dass Fred mir eine ganz andere Pumpe eingebaut hat. Ich beruhige Holger. Fred hat mir erzählt, dass er noch eine andere Pumpe in seiner Werkstatt liegen hat. Eine Pumpe, die Mr. Michel ihm zum Ausprobieren gegeben hat. Aha. Das kann ich leicht überprüfen. Ich will heute sowieso den Motor reinigen. Das geht jetzt endlich, da er geschlossen ist. Also nehme ich die Verkleidung ab und schaue auf die Einspritzpumpe. Ich brauche gar nicht die Nummern vergleichen, die Plakette auf der Pumpe hat eine ganz andere Farbe. Holger hatte Recht.
Ich fühle mich hintergangen. Das kann vielleicht daran liegen, dass ich tatsächlich hintergangen worden bin. Warum hat er es mir nicht gesagt? Warum hat er mir gesagt, dass er noch eine zweite Pumpe in der Werkstatt liegen hat? Ich wäre doch zu allem bereit gewesen. Natürlich kann man es mal mit einer anderen Pumpe versuchen. Fehlerquellen ausschließen ist niemals verkehrt. Aber dabei möchte ich bitte eine gewisse Transparenz.