Rippche mit Kraut

Gestern Abend gab es bei uns Rippche mit Kraut zum Essen. Das hatten wir zuletzt, als wir unsere Eltern anlässlich ihrer goldenen Hochzeit im November besucht haben. Eine Dose Sauerkraut lagerte schon eine Weile in unseren Schapps, beim Metzger in Oranjestad haben wir wunderschöne Rippchen gefunden. Damit war das Abendessen gesetzt.

Rippche mit Kraut

Die Welt um uns herum dreht aufgrund der Corona-Krise hohl. Die meisten Länder haben ihre Grenzen geschlossen. Wir trauen uns derzeit nicht, Aruba zu verlassen, denn die Gefahr ist groß, dass man uns im nächsten Land nicht hinein lässt. Was tun?


Jens: Es ging mir in der letzten Zeit nicht besonders gut. Irgendetwas hat mir psychisch Probleme bereitet, aber ich konnte nicht so richtig deuten, was es war. Als wir von Martinique nach Bonaire gefahren sind, saß ich während meiner Wache grübelnd im Cockpit. Da viel es mir wie Schuppen von den Augen. Es ist die Einsamkeit auf dieser langen Reise. Wir haben unterwegs viele nette Menschen kennengelernt und neue Freunde gewonnen. Diese Freundschaften sind jedoch meist nur von kurzer Dauer, denn entweder begeben wir uns auf die Weiterfahrt, oder eben die anderen. Am Ende sind wir unter uns. Ich vermisse es, unter anderen Menschen zu sein und meine Freunde zu sehen. Diese Erkenntnis musste ich selbst erst verdauen und saß dort eine Weile mit Tränen in den Augen. Nachdem Jörg aufgestanden war erzählte ich ihm, was mir so schwer auf dem Seele lag. Er hatte dafür vollstes Verständnis und mir fiel an diesem Tag ein großer Stein vom Herzen. Ich bin trotz allem froh das ich mich auf diese Reise begeben habe. Unsere Erlebnisse und das Abenteuer waren es wert.


Ich habe mir das alles noch ein paar Tage schön geredet. Ich hatte immer die Hoffnung, Jens noch einmal umstimmen zu können, konnte aber auch sehen, wie groß seine Erleichterung ist, dass wir zurück fahren werden.

Wir haben beschlossen, zum richtigen Zeitpunkt, also etwa Anfang Mai, den Atlantik von West nach Ost zu überqueren, einen Zwischenstopp auf den Azoren einzulegen und dann den Sommer in Schottland zu verbringen. Hier in der Karibik wollten wir mindestens noch Jamaika und Kuba besuchen, vielleicht auch noch einen Kurztrip nach Haiti machen. Die Ankunft in Frankfurt planten wir für den September.


Dann kam Corona, die Sperrung des Panamakanals für Sportboote, Grenzschließungen an den meisten Landesgrenzen und damit Schließungen der meisten Inseln für uns. Die Unmöglichkeit, weiter nach Westen reisen zu können, macht mir die ganze Geschichte sehr viel leichter. Es fühlt sich für mich nicht besser an, wenn ich alle paar Tage neue Nachrichten über die Möglichkeit bzw. Unmöglichkeit der Kanaldurchfahrt lesen darf. Das ändert sich täglich.

Wir warten jetzt auf Aruba, bis wir die Situation besser einschätzen können. Da wir schon die Vorräte für den Pazifik eingekauft haben, könnten wir notfalls auch nonstop über den Atlantik fahren. Das wäre aber unschön, denn dabei sieht man nichts von der Welt.

Jeden Tag gibt es Neuigkeiten, neue Entwicklungen und damit auch neue Pläne für uns. Die übriggebliebene Zeit unseres Törns werden wir nutzen, um noch so viel wie möglich zu sehen.

Daheim in Frankfurt gibt es dann wieder Rippche mit Kraut.

Geisterstadt Oranjestad

Geisterzug – nur mit Fahrer und Schaffner besetzt. Normalerweise sitzen da noch viele Kreuzfahrer drin.

Manchmal gehen Wünsche in Erfüllung. Manchmal werden Träume wahr. Wenn du regelmäßig in diesem Blog liest, ist dir sicher nicht entgangen, dass ich bei vielen Begegnungen mit Kreuzfahrtschiffen etwas zu meckern habe. Sie stinken, sie fluten die Ziele mit Menschen, sie halten sich nicht an die Verkehrsregeln auf See, sie sehen scheiße aus und verbauen auch noch oft den Blick auf die Landschaft oder den Horizont. Ich habe mir immer eine Welt ohne Kreuzfahrer gewünscht.

Dieser Wunsch ist in Erfüllung gegangen. Im Augenblick haben wir unsere Ruhe vor den Kreuzfahrtschiffen.

Kreuzfahrerterminal in Oranjestad – hier liegen normalerweise jeden Tag zwei Schiffe

Der Grund dafür, dass in den nächsten vier Wochen keine Kreuzfahrer nach Aruba kommen, ist natürlich inzwischen jedem bekannt. Es liegt am Coronavirus. Auch Flüge nach Europa sind abgesagt.

Plakat mit Verhaltensregeln

In den umliegenden Ländern wurden die Grenzen geschlossen. Wir Segler fahren normalerweise dort hin, wo uns der Wind hinbläst. Dann gehen wir zu den Behörden, füllen einen riesigen Berg Formulare aus und bekommen Stempel in unsere Pässe. Anschließend sind wir im Land und können tun und lassen, wozu wir Lust haben.

Wir lesen im Internet, dass in Europa ein Land nach dem anderen seine Schlagbäume herunter lässt. Das ist auf den Inseln in der Karibik nicht anders. Deswegen bleiben wir erst einmal hier und harren der Dinge, die uns in den nächsten Wochen erwarten. Mir ist klar, dass das Jammern auf einem recht hohen Niveau ist, denn wir sind an einem sehr schönen Ort, haben Zugang zu guter Versorgung in Infrastruktur und hätten im Fall der Fälle auch eine ordentlich ausgestattete Klinik zur Hand. Es bereitet uns aber keine Freude. Wir sind auch mit unseren Gedanken bei Familie und Freunden in Deutschland.

Leere Fußgängerzone in Oranjestad

Viel ist in Zeitungen und Zeitschriften zu lesen, dass sich das Virus auf die Wirtschaft auswirken wird. Dass es irgendwann die meisten Menschen bekommen werden. Über die Gefährlichkeit wird viel spekuliert und die Entwicklung eines Impfstoffs wird noch einige Zeit in Anspruch nehmen. Es wird viel Panik geschürt, Halbwissen beherrscht den virtuellen Raum im Netz, blöde Witze werden gerissen.

In Oranjestad sehen wir überdeutlich, dass ein Schaden für die lokale Wirtschaft sofort eintreten kann. Die Fußgängerzone ist leer, die Geschäfte sind es auch.

Leeres Geschäft, sie sehen jetzt alle so aus.

Die Welt hat sich innerhalb weniger Tage verändert. Wir haben nun einen anderen Planeten. Teilweise drehen verrückte Politiker am Rad, setzen krude Theorien in Umlauf und zeigen mit ihren Fingern auf andere Länder, anstatt sich um die Eindämmung der Seuche zu kümmern.

Die verunsicherten Menschen reagieren mit Handlungen, die sie unter normalen Umständen niemals ausführen würden. Wer (außer uns Seglern) braucht für mehrere Monate Toilettenpapier im Haus? Unser Vorrat würde bis Australien reichen. Wer isst eigentlich gerne Dinkelnudeln? Und wer ist so bekloppt, sich die Nase mit Essig auszuwaschen?

Die Kassiererin im Supermarkt gleich um die Ecke unserer Marina trug gestern eine OP-Maske und Gummihandschuhe. Vor der Kasse stand ein Teller mit aufgeschnittenen rohen Zwiebeln. Vernunft und Wahnsinn direkt nebeneinander.

Ich will hoffen, dass der Planet in den nächsten Wochen wieder zur Normalität zurück findet. Wir hängen fest, wir können nicht weiter. Die Lage kann sich jeden Tag, jede Stunde ändern. Wenn wir weiter fahren, können wir uns nicht sicher sein, dass wir am Ziel auch in den Hafen gelassen werden. Dazu haben wir zu viele Berichte aus erster Hand von anderen Seglern bekommen, die es am eigenen Leib erfahren haben.

Für meine persönliche Stimmung ist das Gift. Für unsere Pläne ist es sehr, sehr unglücklich. Für die Menschen hier in Oranjestad ist es eine Katastrophe.

Der Zug ist abgefahren.

Für ein Leben ohne das neue Coronavirus ist der Zug jedenfalls abgefahren.

Pan Pan

Über unsere Fahrt von Lanzarote nach Teneriffa habe ich geschrieben, dass nichts Besonderes passiert ist. Das stimmt nicht ganz.

Im Funk wurde alle paar Stunden ein Pan-Pan Ruf wiederholt. Das ist der zweitschlimmste Ruf, den man über Funk bekommen kann. Der schlimmste Ruf ist ein Mayday. Es war nicht unser erster Pan-Pan, den wir empfangen haben, aber dieser hat in mir ein ungutes Gefühl ausgelöst. Zum Glück waren wir weit weg.

Ich fühlte mich an den Film Styx erinnert, der im vergangenen Jahr bei uns in den Kinos war. Zwischen der afrikanischen Küste und den Kanaren wurde ein Flüchtlingsboot vermisst bzw. gesucht, ein Boot mit einer unbekannten Zahl von Menschen an Bord. Alle Schiffe wurden aufgefordert, besonders gut Ausschau zu halten.

Seit jenem Film hatte ich irgendwie immer gründlich Angst davor, dass uns ein solches Boot vor den Bug fahren könnte. Was sollten wir denn in einer solchen Situation tun? Besonders dann, wenn das Boot gar in konkreter Seenot ist. Zum Glück waren wir weit weg.

Wenn solche Vorfälle im Mittelmeer passieren, besteht eine gewisse Chance, dass man in Deutschland in der Presse darüber liest. Hier auf dem Atlantik gehen diese Boote auch verloren, Menschen sterben und man liest nichts darüber. Jedenfalls nicht bei uns. Es fahren allerdings auch keine Rettungsschiffe herum, die diesen Menschen das Leben retten könnten.

Wenn ich mir etwas zu Weihnachten wünschen könnte, wäre das zum Beispiel die Möglichkeit für diese verzweifelten Menschen, einfach an den Schalter zu gehen und ein Ticket für die Fähre zu buchen.