Überfahrt zu den Kanaren – Tag 5

Für mich ist der letzte Tag einer mehrtägigen Fahrt irgendwie der schlimmste Tag. Es sind zwar nur noch wenige Meilen zu fahren, die ziehen sich aber scheinbar endlos. So ist es auch heute. Die Fahrt will und will und will kein Ende nehmen, dabei wollen wir doch nur duschen.

Sissi ist ein sicheres Schiff. Ich habe schon darüber geschrieben, dass wir ein ziemlich trockenes Center-Cockpit haben und dass von hinten keine Welle überkommen kann. Trotzdem gehen wir auf Nummer sicher und haben bei den von uns hauptsächlich gesegelten Vorwindkursen das untere Steckschott eingesteckt. Das hat sich auf dem Atlantik schon ziemlich bewährt. Es ist zwar noch keine Welle eingestiegen, dafür kam aber hin und wieder ein ordentlicher Schwapp Wasser von der Seite ins Cockpit, wenn eine Welle mal wieder diagonal lief.

Unteres Steckschott, man kann bequem darüber steigen

Morgens um vier Uhr machen Jens und ich wie immer die Übergabe, dann lege ich mich in meine Koje. Der bläst weiterhin mit sechs bis sieben Beaufort, wir machen Meile um Meile auf Lanzarote gut. Langsam schaukelt mich die Fahrt in den Schlaf, ich dämmere weg.

BAMMM!!! Ein Riesenknall reißt mich aus dem Schlaf. Es kommt mir vor, als wäre die Heckwand gegen meinen Kopf geflogen. Wasser läuft durch das Kojenfenster die Wand herunter. Mist, ich muss sofort raus und nach Jens sehen. Ich springe aus der Koje, doch im Salon kommt mir Jens schon entgegen. Triefnass.

Eine Welle hat sich an unserem Heck gebrochen und komplett ins Cockpit ergossen. Das Steckschott hat Schlimmeres verhindert, doch ein Teil der Welle ist auf dem Salonfußboden, dem Navigationstisch und sonstwo gelandet.

Kojenfenster mit Vorhang

Nichts ist passiert. Alles ist noch da. Es wurde nichts von unserem Achterschiff abgeräumt. Und das Kojenfenster ist nicht undicht. Als ich genauer hinschaute, fand ich den Vorhang eingeklemmt im Fensterrahmen. So konnte das Fenster nicht richtig schließen. Zuletzt war es geöffnet, als wir in Stavoren die Windfahne angeschraubt haben. Danach habe ich es nicht mehr angerührt. Kaum zu glauben.

Den größten Teil von Sissi haben wir inzwischen entsalzen, der Teppichboden und die Sitzpolster wollen in der Marina mit Süßwasser gespült und dann ordentlich getrocknet werden. Wir werden in Zukunft auf solchen Kursen bei solchen Windstärken beide Steckschotts einstecken, auch wenn das Ein- und Aussteigen dann unbequem wird. Glück gehabt.

Die Batterien nach fünf Tagen

Der starke Wind hat die Batterien wieder ordentlich voll gemacht. Zwischenzeitlich waren sie auf 58% herunter, weil bei bedecktem Himmel die Sonne nicht geladen hat und bei schwachem Wind der Wind nicht geladen hat. So habe ich mir das vorgestellt.

Am Mittag nach dem Aufwachen kann ich zu meiner Freude Land sehen, Jens hatte die Freude schon ein paar Stunden vor mir bei Sonnenaufgang. Lanzarote, wir sind jetzt da. Wir haben Handyempfang, die spanische SIM-Karte für das Internet ist in wenigen Minuten reaktiviert. Jippieh! Wir sind wieder im Geschäft.

Land – äh – Lanzarote in Sicht

Kurz vor der Marina werden wir noch einmal richtig hergebrannt. Eine Schnellfähre zieht mit 33 kn Speed an uns vorbei. Da können wir natürlich mit unseren 6 kn nicht gegen anstinken. Der Kerl verbraucht in einer Sekunde mehr Diesel, als wir in den letzten fünf Tagen verbrannt haben. Die erwartete Motorlaufzeit für die Gesamtstrecke liegt bei einer knappen Stunde. Eine halbe Stunde in Lagos rausfahren und eine halbe Stunde auf Lanzarote reinfahren in die Marina. Das war es. Macht einen Dieselverbrauch von ca. 3 Litern für 600 nm.

Schnellfähre

Der Watermaker ist inzwischen wieder entlüftet und füllt uns ein letztes Mal unterwegs den Wassertank auf. Alles ist wie immer. Alles ist gut.

Aktuelle Position (um 14:30 Uhr): 28°51’N 13°40’W
Fünftes Etmal: 131 nm
Reststrecke: 12 nm bis zur Marina

Überfahrt zu den Kanaren – Tag 4

Manchmal gehen Wünsche in Erfüllung. Vor drei Tagen habe ich mir mehr Wind gewünscht, jetzt ist er da. Er ist schon seit 36 Stunden da. Die Natur liefert innerhalb von zwei bis drei Tagen, besser als der von mir schon so oft gescholtene Paketdienst. Wir fliegen mit stark gereffter Genua über den Atlantik, der Wind pustet mit Windstärke 7. Es ist schwer, die Wellenhöhe richtig einzuschätzen. Wenn ich jetzt von fünf Metern schreibe, werden manche das als Seemannsgarn abtun. In Wirklichkeit sieht es so aus, als seien es wesentlich mehr als fünf Meter Wellen. Unten im Salon merkt man von der Wellenhöhe wenig. Es schaukelt halt.

Rod Steward ist ein Arsch. Wie kann man nur eine solch schlechte Schnulze über das Segeln produzieren. Um das Schauspiel komplett zu genießen, ziehe ich mir die Regenklamotten an und setze mich ins Cockpit. Regenklamotten sind Pflicht, denn ab und an spritzt eine Welle in unseren ansonsten sehr trockenen Außenbereich. Das ist unangenehm. Das ist nicht wie immer.

In der Nacht haben wir mal wieder gezeigt, dass wir in Wirklichkeit die letzten Segelspackos sind. Wir waren mit ungereffter Genua unterwegs und der Windpilot konnte den Kurs nicht mehr halten. Mehrfach. Auf die Idee, die Genua einfach zu verkleinern, sind wir erst einmal nicht gekommen. Statt dessen haben wir am Windpiloten rumgezupft. Das hat sich gegen Mitternacht gerächt, auf Lanzarote wird Jens wieder mal zum Nähzeug greifen müssen.

Kante über dem Motor

Jetzt ist alles gut. Der Windpilot hält den Kurs besser, als es jede Steuerfrau und jeder Steuermann könnte. Stunde um Stunde, Tag um Tag. So wollen wir diesen Ozean bezwingen. Selbst mit fünf hervorragenden Steuerleuten, die sich alle halbe Stunde ablösen, würden wir nicht so einen schönen Kurs fahren. Neue Schäden gibt es keine mehr, zum Glück ist nichts mehr zu Bruch gegangen. Unter Deck schreiten die optimierenden Holzarbeiten voran. Wir brauchen mehr Haltegriffe. Einen wichtigen Haltegriff habe ich heute angeschraubt. Wir brauchen einen Baumarkt.

Mein Körper fühlt sich an, als hätten mich ein Dutzend Hooligans mit Holzlatten durchgeprügelt. An jeder Kante, an der man sich stoßen kann, habe ich mich in den letzten Tagen schon gestoßen. Wenn wir erst im nächsten Hafen sind, mache ich ein oder zwei Tage gar nichts und werde es genießen, wie die blauen Flecken nach und nach verschwinden.

Kante an der Spüle

Aus dem Elektroschaltschrank kam mit jeder Schiffsbewegung ein nervendes, lautes Klackern. Klack (Steuerbord). Klack (Backbord). Klack (Steuerbord). Klack (Backbord). Klack (Steuerbord). Klack (Backbord). Ich musste einen Solarladeregler ausbauen und konnte aus dem doppelten Boden darunter eine Batterie (Typ AA) herausfischen. Wer hat die denn da reingetan? Jetzt ist Ruhe in der Kiste.

Glücklicherweise ist von dem Gulasch, das Jens gestern gekocht hat, noch jede Menge übrig. So müssen wir heute nicht kochen, sondern brauchen das Essen nur aufwärmen. Das erleichtert die Sache sehr, die Produktion einer „Swinging Oven“-Folge ist bei diesem Seegang nur noch eingeschränkt möglich. Das gilt auch für die Reinigung des Körpers. Die Dusche können wir nicht benutzen, wir müssen den Waschlappen zu Hilfe nehmen. Selbst das ist schwierig, denn wir müssen uns immer mit mindestens einer Hand irgendwo festhalten. Der Mensch ist eine Fehlkonstruktion. Wieso hat die Natur uns keine dritte Hand wachsen lassen?

Unsere Stromproduktion ist gigantisch. Neben Sissi könnten wir noch ganz Frankfurt am Main mit Elektrizität versorgen. Ich habe gerade den Watermaker eingeschaltet, trotzdem bleibt noch Strom übrig, um die Batterien weiter zu laden. Der Wassertank ist aber auch bald so voll wie unsere Akkus. Dann wissen wir nicht mehr, wohin wir mit dem ganzen Strom sollen. Vielleicht noch einmal Staubsaugen?

Staubsaugen musste ich eben schon einmal, denn Jens hat beim Kaffee kochen die Kontrolle über die Kaffeemühle verloren. Die guten Bohnen verteilten sich durch den Salon, der gemahlene Kaffee auch. Dumm gelaufen, schade um die Bohnen, aber es riecht hier jetzt sehr gut.

Unfassbar! Gerade schreibe ich diese Zeilen, da kommt eine Welle und lässt Sissi so weit überholen, dass der Watermaker von unten her Luft zieht! Wir saugen das Seewasser am tiefsten Punkt des Schiffs an, in der Zuleitung für das Motorkühlwasser. Tiefer geht es nicht. Dieses Seeventil sollte immer unter Wasser sein. Ist es aber nicht. Der helle Wahnsinn. Das ist nicht wie immer.

Die Verspätung der ersten beiden Tage haben wir mehr als aufgeholt. Wir werden definitiv am Sonntag auf Lanzarote sein. Also morgen! Der Atlantik ruft nach Metallica, Iron Maiden, Dio und Motörhead. Lemmy schreit gegen den Wind und das ist toll. Man kann uns auf Lanzarote schon hören.

Aktuelle Position (um 14:30 Uhr): 30°36‘ N 12°26‘W
Viertes Etmal: 145,9 nm (wesentlich schneller als ein DHL-Paket)
Reststrecke: 95 nm

@Chapos: Ich weiß, dass ihr diese Zeilen gelesen habt. Ihr schafft das auf jeden Fall. Das Ijsselmeer ist bei fünf Beaufort schlimmer als der Atlantik bei sieben Beaufort. Wir sehen uns in der Rubicon-Marina. Ich will mein Buch wieder haben. 🙂

Überfahrt zu den Kanaren – Tag 3

Der Höhepunkt eines jeden Bordtages ist die warme Mahlzeit. Wir benutzen jetzt die Action-Kamera, um neue Küchenvideos anzufertigen. Dabei bereitet es Jens eine helle Freude, wenn ich durch die Pantry torkele. Heute gibt es im Ofen gebackene Schweinelende mit einer Pilzsauce. Die dazu angedachten Paprika sind leider vom Blumenkohl zu Matsch geklopft worden, deswegen muss der Blumenkohl dran glauben. Zubereitungszeit wieder ca. drei Stunden, Zeit zum Verzehr etwa drei Minuten und dann muss anschließend noch abgespült werden. Wir sind weiterhin auf Flugstation und wenig ist unangenehmer, als wenn benutztes Geschirr eine Flugeinlage auf den Teppichboden macht. Alles ist wieder wie immer.

Der Regen hat lange aufgehört, der Wind glücklicherweise nicht. Er bläst aus Nordost und pustet uns direkt in Richtung Lanzarote. So soll es sein, so war es vorhergesagt und so ist es gut. Segeln ist schön, schnell segeln ist schöner. Aus Sissi werden wir nie eine Regattayacht machen, wenn wir schneller als fünf Knoten fahren, grenzt es schon an Raserei. Das ist nicht wie immer, wir rasen nun schon seit 24 Stunden!

Begegnung mit einem Tankschiff

Kurz nach dem Wachwechsel um vier Uhr in der Nacht weckt mich Jens wieder. Einer der beiden Blöcke, die die Leinen der Windfahnensteuerung auf das Ruder lenken, hat sich losgerissen. Jens muss das Cockpit verlassen, deswegen muss ich aufpassen – falls er ins Wasser fällt. Es ist vollkommen unmöglich, die gebrochene Schlauchschelle, durch eine neue zu ersetzen. Zwei Kabelbinder müssen nicht festgeschraubt werden und halten als Provisorium auch. Wahrscheinlich halten die um die ganze Welt.

Unsere Stromproduktion läuft gut. Windkraft und Sonnenkraft bringen den ihnen zugedachten Teil. Fast. Über den Atlantik werden wir so nicht kommen, doch wir sind frohen Mutes, ohne Einsatz des Dieselmotors auf Lanzarote zu landen. Mir ist inzwischen klar, warum wir diese Stromlücke haben. Als ich den Stromverbrauch von Sissi im Winterlager gemessen habe, war das ohne die ganzen elektronischen Spielzeuge, die wir so nutzen. Vom Notebook über zig Kameras und Handys, es war auch noch kein AIS eingebaut, der Watermaker auch nicht. Entweder sparen wir am Komfort oder wir verwandeln den einen oder anderen Liter Diesel in Elektrizität. Das ist auch wie immer.

Unser bisheriges Fazit hinsichtlich der Ozeanpassagen ist folgendes: Die Herausforderung liegt nicht in der Segelei. Auf den vergangenen 300 Seemeilen haben wir das Vorsegel ausgerollt und ca. 36 Stunden nicht angefasst. Dann sind wir eine Halse gefahren. Das war alles. Die Herausforderung besteht darin, wach und fit zu sein und ein angenehmes Leben zu führen. Man stelle sich einmal vor, die eigene Wohnung würde ständig vier Meter rauf und runter fahren, sich dazu ständig nach links und rechts neigen und nach vorne und hinten kippen. Ständig, unablässig, ohne Pause. Ohne Aussicht auf Änderung in den kommenden Stunden, Tagen bzw. Wochen – wenn wir nächsten Monat rüber in die Karibik fahren. Dabei wird gekocht, gegessen, geschlafen, getrunken, geputzt, aufgeräumt, gehandwerkt und entspannt. Nebenbei schaut man noch nach anderen Schiffen, die sich allenfalls in der Nacht durch ihre Lichter ausmachen lassen. Das ist Ozeansegeln.

F*ck. ScheiXXe!!! Mit einem Knall hat sich gerade einer der achteren Blöcke vom Windpilot verabschiedet. Ein Riesenspaß, das auf dem Atlantik zu reparieren. Zum Glück haben wir noch Ersatz. Irgendwas ist halt immer.

Bruch

Diese Zeilen entstehen in der 73. Stunde unserer Überfahrt. Von den Seemeilen her sind wir auf halbem Weg. Frisches Gemüse geht langsam zur Neige, warum musste der Blumenkohl auch die Paprikaschoten verkloppen. In Zukunft werden wir beim Stauen der Lebensmittel auch darauf achten, dass sie sich nicht gegenseitig zerstören können. Wenn ich Jens frage, welche Speise er sich denn vorstellen kann, für die man kein frisches Gemüse braucht, dann kenne ich seine Antwort jetzt schon: Lasagne. Alles ist wie immer.

Aktuelle Position (um 14:30 Uhr): 32°46‘N 11°26‘W
Drittes Etmal: 131 nm (jetzt so schnell, wie ein DHL-Paket)
Reststrecke: 237 Meilen, mit etwas Glück kommen wir am Sonntag an