Langfahrer und andere Segler

Ich habe in der Vergangenheit schon öfter von Langfahrern geschrieben und darüber die eine oder andere Aussage gemacht. Wir selbst rechnen uns auch dazu. Warum eigentlich? Und was unterscheidet Langfahrer bzw. Fahrtensegler von anderen Seglern? Andere Segler sind etwa die Regattasegler, die Chartersegler, die Wochenendsegler oder die Stegsegler… Diese Frage ist schon ein paar Mal in meiner Mailbox eingetroffen und ich möchte sie hier mit ein paar Bildern beantworten.

Hier, in der Marina von Lagos, liegen alle Typen von Seglern. Deswegen konnte ich mit der Kamera kurz durch die Marina laufen und ein paar Fotos machen. Ein Foto habe ich allerdings geklaut von der Webseite der Marina Kornati in Biograd, dort stehen über hundert Charterboote bereit. Alle sind gewienert und geputzt, sie warten auf den nächsten Charterkunden. Der freut sich über ein blitzendes, blinkendes Boot und hat einen schönen Urlaub.

Charterboote (Bild geklaut bei der Marina Kornati in Biograd)

Altmeister Bobby Schenk hat es auf seiner Homepage schon vor vielen Jahren erklärt. Die Fahrtensegler haben andere Prioritäten. Die Boote werden zumeist nicht gesegelt, sondern sie werden bewohnt. Gelegentlich verlegt man sie an einen anderen Ort, dort wohnt man wieder darauf. Das Segeln als solches tritt in den Hintergrund, es ist lediglich Mittel zum Zweck. Deswegen sehen Fahrtenboote meist nicht so blitzblank aus, sie haben andere Qualitäten.

Fahrtenboot

Bei diesem Exemplar aus Liverpool sieht man einen Windgenerator, Solarzellen und eine Menge Zusatzausstattung (Surfbrett, Hackenporsche, Dinghi, Spritkanister, Rettungsinsel, viele Antennen und und und….).

Die Zusatzausstattung ist in vieler Hinsicht auf den meisten Fahrtenbooten ähnlich. Ein wesentlicher Punkt ist die Energieversorgung. Charterboote werden zumeist von Hafen zu Hafen gefahren, selten über Nacht und die Zahl der Nächte in einer Ankerbucht ist überschaubar. Schon gar nicht bleibt der Charterkunde über einen längeren Zeitraum an derselben Stelle, dafür sind die Kosten viel zu hoch. Im Hafen gibt es eine Steckdose und deswegen braucht ein Charterboot weder Windgenerator noch Solarzellen.

Stromerzeugung

Fahrtenboote

Der Fahrtensegler wiederum möchte unabhängig von der Steckdose sein. Er hat dicke Akkus im Schiff verbaut und möchte diese möglichst immer nachladen, damit der Kühlschrank läuft und die Navigationsinstrumente funktionieren. Deswegen verziert er sein Boot mit allem, was irgendwie Strom in die Akkus pumpen kann. Ohne Strom ist nichts los. Der Chartersegler kann im Hafen den Wassertank aus dem Wasserschlauch füllen, der Watermaker des Fahrtenseglers braucht jede Menge Strom. In der Ankerbucht gibt es weder Steckdosen noch Wasseranschlüsse.

Dieselkanister

Reservesprit

Außer den regenerativen Energiequellen hat der Langfahrer nur den Dieselmotor (nebst dicker Lichtmaschine), um die Akkus wieder aufzuladen. Doch Diesel gibt es nur an der Tankstelle und die ist nicht in der Ankerbucht.Also führen die meisten Fahrtenboote noch mehr oder minder viele Reservekanister mit sich, um so lange wie möglich unabhängig zu sein. Wir auch.

Chartersegler, Regattasegler und Wochenendsegler kommen immer wieder an Tankstellen vorbei und können dort ihren Diesel nachfüllen. In meiner Zeit als Charterer habe ich immer vor der Rückgabe des Bootes getankt und mich gefreut, wenn ich in einer Woche weniger als 100 Liter Diesel verfahren habe. Mit 100 Litern Dieser kommen wir viele hundert Meilen weit, weil wir den Motor nur selten anwerfen. Wir haben – im Gegensatz zu Charterseglern – alle Zeit der Welt.

Drehbare Solarpaneele

Auf dem Foto rechts sind drehbare Solarpaneele zu sehen. So etwas haben wir auf der Sissi nicht, unsere sind starr nach oben gerichtet. Die Stromausbeute bei den drehbaren Paneelen ist natürlich besser, weil sie immer optimal zur Sonne eingestellt werden können. Das macht aber Arbeit, die wir uns sparen. Wir lösen das Problem durch die schiere Menge, die große Quadratmeterzahl unserer Paneele. Und wir könnten noch weiter aufrüsten…

Sissi – mit verbesserter Fahrtensegeloptik

Neben Windgenerator und Solarpaneelen sieht man am Heck von Sissi noch die Windfahnensteuerung. Die sieht man auch an 99% der anderen Fahrtenboote, denn ein elektrischer Autopilot verbraucht jede Menge Strom, mit dem man auch den Kühlschrank betreiben könnte. Sparsamkeit beim Strom ist auch so eine Priorität beim Fahrtensegeln. In Gesprächen am Steg, beim Grillen oder in der Hafenbar kommt man immer wieder auf den Stromverbrauch, die Stromerzeugung und die Stromspeicherung zu sprechen. Über die Wahl der richtigen Batterien gibt es Glaubenskriege (wir fahren übrigens einfache Blei-Säure Batterien).

Unterschiedlich groß, unterschiedlich alt und sicherlich unterschiedlich genutzt. Dafür aber poliert, blitzblank und derzeit (im November) unbewohnt. Diese Boote sind mit großer Wahrscheinlichkeit keine Fahrtenboote. Es gibt keine Einrichtungen zur zusätzlichen Stromversorgung, an welchen man normalerweise die Boote der Langfahrer immer erkennen kann.

Anker

Das Boot auf dem dritten Bild hat keinen Anker. Das kann kein Langfahrer sein. Möglicherweise hat der Besitzer den Anker mit nach Hause genommen, weil er das Boot winterfest gemacht hat. Wahrscheinlich hat er den Anker aber nur weggelassen, weil er ihn sowieso nicht benutzt. Der Anker ist eine super wichtige Ausstattung eines Fahrtenbootes, auch von Sissi, selbst wenn wir unseren bislang meist geschont haben. Das kommt noch. Langfahrer verbringen Wochen in Ankerbuchten und müssen sich auf ihr Grundeisen verlassen können. Spaziert man durch die Marina, dann fällt auf, dass sich bestimmte Ankerformen in der Szene etabliert haben.

Delta Anker
Bügelanker
Rocna Anker
Rocna Anker
Rocna Anker

Der derzeit beliebteste Anker scheint der Rocna Anker zu sein. Ganz billig ist er nicht, es werden ihm jedoch unbändige Haltekräfte zugeschrieben. Der Bügelanker spielt in derselben Liga. Den Delta Anker sieht man nicht mehr so oft. Wenn ich mit den Besitzern über Anker gesprochen habe, waren die Delta Anker eher älter. Manch einer der Besitzer dieser Anker möchte sie irgendwann gegen einen Bügel oder einen Rocna tauschen. So lange der Anker jedoch funktioniert, wird er eher nicht ausgetauscht. Nach Lektüre von Büchern, dem Schauen von vielen Videos auf Youtube und dem Lesen vieler Webseiten habe ich mich bei der Ausrüstung von Sissi auch für einen Rocna entschieden, denn den CQR-Anker, den wir vorher an der Sissi hatten, mussten wir im Ijsselmeer abwerfen (das ist keine Ankergeschichte, das ist eine Dieselmotor-Geschichte, die ich ein anderes Mal erzählen werde).

Sissi und ihr Hauptanker

Wir haben dazu noch zwei weitere, kleinere und leichtere Anker, die wir mit dem Dinghi ausbringen können, wenn es sein muss. Das ist bei 100% der anderen Fahrtenboote auch der Fall.

Bei den Charterbooten ist die Wahl des Ankers eher zweitrangig. Der Anker muss bei den Charterbooten mal einen Nachmittag arbeiten, wenn die Crew Badetag macht oder eine Nacht, wenn die Crew sich für das Abenteuer in der freien Natur entscheidet.

Die beiden nebenstehenden Anker sind fotografiert an zwei Charterbooten desselben Vercharterers in Lagos. Wenn es dem Besitzer wichtig wäre, hätte er zumindest beide Boote mit dem Anker ausgestattet, den er für den besten hält. So hat er wahrscheinlich den Anker genommen, der von der Werft mitgeliefert wurde. Die Wahl des Ankers ist auf einem Charterboot nachrangig.

Charterboot in Lagos

Fazit

Die Boote sind so unterschiedlich, wie es der Anwendungszweck der Boote ist. Langfahrer legen Wert auf größtmögliche Unabhängigkeit und weniger auf cooles Aussehen ihrer Fahrzeuge oder die guten Segeleigenschaften. Regattasegler wollen gute Segeleigenschaften, die Wohnlichkeit tritt in den Hintergrund. Chartersegler wollen ein blitzblankes Boot, mit dem sie eine schöne Urlaubswoche verbringen können. So ist das eben.

Es ist also völlig egal, ob wir mit Sissi von Lagos auf die Kanaren viereinhalb oder fünfeinhalb Tage brauchen. Wir verbringen die Zeit unter Segeln komfortabel und wenn wir erst einmal angekommen sind, bleiben wir gemeinsam mit den schnellen Seglern für einige Wochen an derselben Stelle. Oder der Nachbarbucht.

Bouldern auf Sissi

Da war dann noch das Rigg. Seit Wochen haben wir einen Punkt auf der To-Do-Liste, nämlich die Kontrolle des Riggs. Da wir auf der Sissi keine Maststufen haben, müssen wir uns anders behelfen. In Leixoes haben wir bei einem französischen Boot eine ungewöhnliche Mastleiter gesehen, die uns sofort gefallen hat. Wir haben im Internet recherchiert und einen Anbieter gefunden.

Nach unseren Maßen wurde diese Leiter dann angefertigt und nach Lagos geliefert. Sie passte.

Mastleiter

Man nimmt das Großsegel herunter und zieht die Mastleiter dort hoch, wo man sonst das Großsegel hochzieht. Die Mastrutscher mussten wir vorher ausmessen, sie sind sozusagen maßgefertigt in der richtigen Größe und Machart an der Leiter dran.

Dann kann man leicht den Mast erklimmen. Ich musste Jens vorletztes Jahr schon einmal zur Mastspitze hochziehen, nachdem ich den Mast in Holland in einen Baum gefahren hatte. Ja, in Holland stehen Bäume manchmal ganz nah an den Wasserstraßen. Das war eine Heidenarbeit und Jens hat sich dabei auch nicht besonders wohl gefühlt. Das ist jetzt mit der Leiter ganz anders. Ich muss Jens nur noch gegen Abstürzen sichern, hochklettern kann er nun alleine.

Prüfen des Riggs

Wir freuen uns nun über die einfache Möglichkeit, den Mast zu erklimmen. Das bringt uns echt weiter.

Außerdem füllen wir noch die Reservekanister mit Diesel, den Kühlschrank mit Essen und und und. Es geht weiter!

Perfekter Wind

Es ist mal wieder so weit. Wir wollen los. Heute ist ein besonderer Tag, denn wir verlassen das kontinentale Europa. Eine besondere Stimmung. Nervenkitzel und doch Normalität. Sissi ist bereit, wir haben alles geprüft. Das Rigg ist gecheckt, der Motor auch, die Vorratslasten biegen sich und der Frischwassertank ist auch voll. Was kann da noch schief gehen?

Windvorhersage für heute

Natürlich kann alles schief gehen. Wir sind aber zuversichtlich. Nicht nur für heute, auch für die nächsten Tage wird schöner Wind aus der richtigen Richtung vorhergesagt. Wir erwarten zwischen 15 und 25 Knoten Wind aus nördlichen Richtungen, können also bequem vor dem Wind fahren – unsere Lieblingsrichtung. Wir erwarten, irgendwann im Laufe des Sonntags wieder Land zu sehen. Die Kanaren.

Dort waren wir beide noch nicht. Als Flugverweigerer wollte ich dort niemals hin. Hier in Lagos wurde es in den letzten Tagen kalt und regnerisch. Ich habe heute Nacht sogar mal wieder die Winterdecke aus ihrer Versenkung geholt. Das wird sich ändern, denn angeblich herrscht auf den Kanaren „ewiger Frühling“. Mal sehen, wie sich das so anfühlt.

Mittwoch

Uns stehen fünf Tage ohne Internet bevor. Fünf Tage Dauerbetrieb des Schiffs. Fünf Tage abwechselnd schlafen und wach sein. Fünf Tage Wind, Wellen, Bewegung im Schiff, Lärm aus der Takelage und Knarzen der Inneneinrichtung. Ein kleiner Vorgeschmack auf die Atlantiküberquerung im kommenden Monat und doch ein großer Schritt auf unserer Reise.

Die Windvorhersage ist für die kommenden Tage ziemlich stabil. Wir beobachten das nun schon einige Zeit und sehen auf dem Nordatlantik dicke, fette Tiefdruckgebiete, die in Richtung Nordeuropa ziehen. auf deren Rückseite bläst unser Wind. Unser perfekter Wind.

Donnerstag

Jetzt gehen wir noch einmal unter die Dusche, das ist die letzte warme Dusche bis zu den Kanaren. Anschließend ist Abfahrt. Wir fahren mal wieder in den Sonnenuntergang.

Freitag

Es ist noch sehr voll auf den Kanaren. Wir konnten in keiner Marina einen Liegeplatz reservieren und hoffen darauf, Sissi irgendwo in der Nähe einer Dusche festmachen zu können. Noch ist die ARC nicht gestartet, es liegen noch mehrere hundert Boote in Las Palmas auf Gran Canaria, die gegen Ende des Monats über den Atlantik wollen. Doch den guten Wind können und wollen wir nicht auslassen. Einen solch perfekten Wind werden wir auf absehbare Zeit nicht mehr bekommen.

Wieso ich so über die Vorhersage schwärme? Weil wir ausnahmsweise zur richtigen Zeit am richtigen Ort sind. Weil die Vorhersage ausnahmsweise so unglaublich stabil ist. Und weil ich die Nase voll von Lagos habe.

Ferry Cat

Nur von den süßen Katzen haben wir die Nase nicht voll. Da würden wir uns noch ein paar einpacken wollen, wenn es denn machbar wäre.

Auf geht es zu neuen Ufern!