Vorbei ist die Herrlichkeit

Noch fahren wir mit einer ordentlichen Geschwindigkeit in die richtige Richtung. Mit etwa fünfeinhalb Knoten gleiten wir durch die Wellen. Wir haben Halbwind, besser kann man nicht segeln. Der Eimer ist wieder in seiner Backskiste verschwunden, Mário fühlt sich viel besser. Natürlich habe ich das mit meiner leckeren Pizza erreicht, es liegt bestimmt nicht an den angenehmeren Segelbedingungen.

Für den Nachmittag habe ich eine lange Playliste mit etwa 30 Musiktiteln vorbereitet, die wir gemeinsam mit ordentlicher Lautstärke hören. Mit „gemeinsam“ meine ich, dass wir beide im Cockpit der Musik lauschen. Es wäre unmöglich, auf Sissi einen Platz zu finden, an dem man der Musik entgehen kann. Dazu ist sie viel zu laut. Anschließend werfe ich das Bordkino an, ich habe die Filmrollen von Monty Pythons „Der Sinn des Lebens“ gefunden. Mário kennt den Film noch nicht, ich habe ihn bestimmt schon zehnmal gesehen. Wir lachen viel, der Streifen ist einfach absurd komisch.

Nachdem Mário den Film überstanden hat, überlebt er auch noch ein urdeutsches Abendessen mit Schweineschnitzel, Bratkartoffeln und Bohnen. Wieder einmal sieht es so aus, als sei die Seekrankheit überwunden. Doch man soll ja bekanntermaßen den Tag nicht vor dem Abend loben. Apropos Abend, der beginnt früh nach dem Abendessen. Mário kriecht recht unwillig in seine Koje, nach der Zeitumstellung steht die Sonne noch recht hoch. Er findet keinen Schlaf, zieht irgendwann von der Achterkoje in die Vorschiffskoje um und mir schwant schon Böses. Wie will er nach nur drei Stunden Schlaf die Nachtwache überstehen?

Gegen 1:00 Uhr morgens stehen wir plötzlich in der absoluten Flaute. Bis hierhin hatten wir herrlichen Segelwind, doch woher kommt diese Flaute so plötzlich? Die Wettervorhersage prognostizierte feinen Segelwind bis Dienstagmittag. Es ist eben wie es ist. Die Herrlichkeit ist vorbei. Ich hoffe auf eine kurze Flaute und die in den leichten Wellen schlagenden Segel bereiten mir nahezu körperliche Schmerzen. Die Genua ist schnell eingerollt, das Großsegel in der Mitte fixiert und der Motor brummt. Er brummt das erste Mal, seit wir Santa Maria verlassen haben.

Eine Stunde später ist der Wind zurück. Ich bin erleichtert. Da ich noch einigermaßen fit bin und mein Buch spannend ist, beschließe ich, Mário eine zusätzliche Stunde Schlaf zu gönnen. Diese Idee macht er mit seinem Wecker zunichte. Ich habe ihm mehrfach gesagt, dass er den Wecker nicht stellen soll. Nicht mein Problem, ich komme pünktlich ins Bett und kann immerhin bis um 7:00 Uhr schlafen. Dann wecken mich die schlagenden Segel.

Also rollen wir die Genua wieder ein, fixieren das Großsegel in der Mitte und lassen den Motor brummen. Diesmal sind die Wellen höher, wir müssen das Groß auch noch herunter nehmen. Diese Arbeiten mag ich gar nicht, bevor ich meinen Morgenkaffee getrunken habe, doch was getan werden muss, muss eben getan werden. Anschließend verkrieche ich mich wieder unter meiner Bettdecke und hoffe auf zwei bis drei zusätzliche Stunden Schlaf.

Denkste! Um halb Neun weckt mich Mário, der Wind ist zurück. Er kommt als Gegenwind. Mit der geringen Drehzahl kann der Autopilot den Kurs nicht mehr halten. Jetzt müssen wir taktisch segeln, die Genua kommt raus, das Groß bleibt unten. Der Wind soll nicht lange halten. In den kommenden beiden Tagen haben wir sowieso Flaute vorhergesagt, der nächste Wind wird aus Westen kommen. Also nutzen wir das, was wir haben. Wir fahren dem neuen Wind entgegen. Mário fällt komplett übermüdet in seine Koje.

5. Etmal: 93,5 nm
Position: 41°51‘N 18°02‘W