Nostalgie

Ausnahmsweise haben wir alles richtig gemacht. Die Segel hätten wir zu keinem besseren Zeitpunkt runter nehmen können. Über Nacht hat der Wind ordentlich aufgefrischt und bei den Böen, die wir heute erleben, wäre die Genua immer noch an Ort und Stelle. Bravo!

Kreuzfahrtschiff im März 2020 in Bonaire

Morgen ist der 1. März. Genau vor einem Jahr waren wir in Bonaire und sahen jeden Tag ein Kreuzfahrtschiff am Anleger festmachen, an manchen Tagen auch zwei. Natürlich war irgendwo auf der anderen Seite des Planeten dieses chinesische Virus unterwegs, das hatte auf das Leben jedoch keinerlei Auswirkungen. Massenweise erstürmten die Kreuzfahrer am Morgen die Insel, am Abend verschwanden sie wieder und wir hatten an unserer Boje unsere Ruhe – bis zum nächsten Morgen.

Reisen war so unkompliziert. Und günstig. Wir wählten die gewünschte Insel aus, beim Ausklarieren bekamen wir die Dokumente für das Ziel und dann segelten wir los. Die Einreise im Zielland war unkompliziert, ich musste lediglich den mehr oder minder langen Marathon durch die unterschiedlichen Behörden erledigen. Das war dann in einem Zeitraum zwischen fünf Minuten (Martinique) bis zu zwei Stunden (St. Lucia) erledigt. In St. Lucia hat es deswegen so lange gedauert, weil die unterschiedlichen Behörden zu unterschiedlichen Zeiten ihre Mittagspause gemacht haben.

Die Behördengänge kosteten zwar mehr oder minder viel Geld, es war jedoch günstig im Vergleich zu den Kosten, die heute auf den Reisenden zukommen.

Karneval in Martinique, Februar 2020

Jetzt ist Reisen kompliziert. Und teuer. Wer heutzutage reisen möchte, muss den bürokratischen Teil fast besser vorbereiten als den seglerischen. Auf jeden Fall sollte man Zusatzvorräte für zwei Wochen an Bord haben, falls unerwartet am Zielort eine zweiwöchige Quarantäne angeordnet wird. Wir wollen uns von Aruba auf eine andere Insel bewegen. Okay, welche Alternativen haben wir denn?

Einkaufsstraße in Bridgetown, Barbados, im Januar 2020

Curacao. Die kürzest mögliche Strecke. Voraussetzung für die Einreise ist ein maximal 72 Stunden alter, negativer Covid-19 Test. Man meldet seine Reise über eine Webseite an. Man muss sogar die geschätzte Ankunftszeit vorher bekanntgeben. Das negative Testergebnis muss auf eine bestimmte Webseite hochgeladen werden. Für die Tests werden jeweils 125$ verlangt. Erreichbar ist Curacao in ca. 14 Motorstunden. Segeln ist ziemlich besch…., da der Wind direkt entgegen kommt. Man wählt als Tag der Überfahrt einen schwach windigen Tag. Die Zahl der Covid-19 Erkrankungen ist sehr gering.

Dominikanische Republik. Voraussetzung ist die Registrierung auf verschiedenen Webseiten. Einen Covid-Test verlangen sie nicht. Bei der Einreise wird die Temperatur gemessen und das war es dann auch im Prinzip. Unsere Freunde von der Chapo haben 260 Dollar Gebühren bezahlt. Darin enthalten ist der Dienstleister für den Behördendschungel. Segeln in die DR ist sehr gut möglich, der Wind weht nämlich immer aus der schönen Halbwindrichtung. Die Zahl der Neuinfektionen mit Covid ist einigermaßen hoch.

Puerto Rico. Fällt aus wegen fehlendem Krankenversicherungsschutz. Das gilt auch für die US Virgin Islands.

British Virgin Islands. Immer noch geschlossen. Gerade wurde die Öffnung auf Mitte April verschoben. Darauf können und wollen wir uns nicht verlassen.

Anguilla. Wenn man angemeldet ist, lassen sie einen rein. Auch hier gibt es Webseiten für die Anmeldung. Sie verlangen dort einen maximal fünf Tage alten, negativen Covid-19 Test. Das Problem ist hier schon einmal, dass Anguilla so weit östlich liegt, dass wir ziemlich kämpfen müssen, um dorthin zu kommen. Wir werden mehr als fünf Tage brauchen. Bei der Ankunft gibt es noch einen Covid-Test, es folgen 10 Tage Quarantäne und ein abschließender Covid-Test. Das ist ziemlich teuer, die normalen Gebühren kommen selbstverständlich noch oben drauf. Danach ist das Leben aber fein, denn es gibt keine Fälle mehr.

Party am Freitagabend in Gros Islet, St. Lucia, Februar 2020

Es gibt keine Garantien, dass sich die Regeln nicht von heute auf morgen wieder ändern. Länder können wieder schließen, wegen der Angst vor den Mutationen oder wegen – äh – keine Ahnung. Sie können schließen und sie tun es auch.

Grenada. Die absolut härteste Tour. 500 Meilen direkt gegen den Wind. 500 Meilen gegen eine Strömung von bis zu 2 kn. Noch viel härter, als von Kuba nach Aruba zu segeln. Aber unsere Freunde von der Milena Bonatti konnten dort ihre Covid-19-Impfung bekommen. Das wäre eine ziemliche Motivation für den Ritt. Quarantäne müssten wir bei einer veranschlagten Reisezeit von über 14 Tagen wohl nicht mehr machen. In Grenada wird das gute AstraZeneca benutzt.

Wenn unser Mast repariert ist, verlassen wir die Insel. Für meine Seele hätte ich gerne einen Abfahrtstermin vor dem 11. März. Am 11. März 2020 sind wir nämlich erstmals auf Aruba angekommen. Am 14 März wurden die Grenzen geschlossen. Ende des Monats auch noch der Flughafen stillgelegt. Aruba ging in den Tiefschlaf.

Lockdown. März 2020

Curacao erscheint mir unwirtschaftlich, da sich die Landschaft nur geringfügig von der Arubas unterscheidet. Die Dominikanische Republik ist eine sogenannte tief hängende Frucht, die leicht zu pflücken ist. Werden wir damit glücklich? Die ganzen Inseln im Osten sind schwer erreichbar. Sollen wir direkt nach Frankreich (Guadeloupe) fahren? Dort können wir wenigstens bevorraten, bevor es in ein paar Monaten über den Atlantik nach Europa zurück geht. Ich weiß es nicht.

Oder nehmen wir die Anstrengungen für Grenada auf uns? Die Chance auf eine Impfung und möglicherweise weniger Behördengänge und Covid-19-Tests in der Zukunft. Impfprivilegien würde ich gerne nutzen. Ich recherchiere noch.

In Jamaika gibt es immer noch keine Öffnungsperspektive. Jamaika wäre sehr leicht erreichbar. Dem Hörensagen nach wird Jamaika erst wieder die Häfen öffnen, wenn der Kreuzfahrttourismus wieder in Gang ist. Die paar Segelboote, die in der Karibik unterwegs sind, werden von den Behörden ignoriert.

Britannia im Januar 2020. Kommt uns zwischen Barbados und St. Lucia viel zu nah. Unsere Handys waren im Bordnetz. Ich kann auf die Dinger gerne verzichten.

Wir sind wahrscheinlich wieder in Europa, wenn die ersten Kreuzfahrer wieder die Karibik unsicher machen. Also wird das mit Jamaika in diesem Frühjahr nichts mehr. Schade, aber nicht zu ändern. Das Reisen war früher so einfach, so spontan. „Hey, der Wind sieht gut aus in den nächsten Tagen, lass‘ uns losfahren.“ Schnell zu den Behörden und anschließend frei sein. Man konnte unterwegs das Ziel ändern. Der Stopp auf Bonaire war spontan, wir hatten Papiere für Aruba dabei. Dabei bekomme ich nostalgische Gefühle, obwohl meine Karriere als Langfahrer bisher eher kurz ist.

Ich freue mich auf ein paar Segeltage, auch wenn diese anstrengend sind. Segeltage sind gut für den Geist.

Die Seele baumeln lassen. Januar 2020.

Der Mast muss runter

Wir warten auf Nachrichten. Der einzige Rigger in Aruba meldet sich am späten Vormittag. Er kann uns nicht helfen, so lange der Mast steht. Also muss der Mast runter. Jens nimmt die Mastleiter ab, bringt gleich den Windmesser mit und macht noch ein Foto von den blockierten Umlenkrollen.

Blockierte Umlenkrollen an der Mastspitze

Wir müssen die Segel runter nehmen, alle beide. Das Großsegel ist schnell runter geholt, wir legen es nach einer knappen halben Stunde fein säuberlich zusammengelegt in die Vorschiffskoje. Die Genua wehrt sich zunächst. Wir können sie nicht ausrollen, weil unsere tolle Reffwinsch mal wieder blockiert ist. Ich nehme sie auseinander. Alle Teile sind irgendwie fest miteinander zusammen gebacken. Es ist mir schleierhaft, wie ich diese Winsch jemals wieder gängig machen kann. Zum Glück ist direkt daneben eine weitere Winsch, die wir statt dessen benutzen werden.

Genua Reffwinsch. Die innere Scheibe sollte sich eigentlich drehen lassen. Sie ist fest mit dem äußeren Ring, der Bremse, zusammen gebacken.

Wir nehmen die Reffleine von der Seiltrommel und können die Genua in einem Windstillen Augenblick ausrollen. Dann weigert sie sich, nach unten zu kommen. Dann setzt der Wind wieder ein. Dann fällt uns das Segel fast ins Wasser. Wir kämpfen ein paar Minuten, dann endlich haben wir das Tuch auf dem Vordeck liegen. Wir sind nass geschwitzt.

Geschafft. Die Genua ist unten.

Den Baum werden wir später ab, wir brauchen ihn noch, damit er unser Sonnensegel hält. Außerdem muss ich die Stromkabel abmachen, die die einzelnen Lampen versorgen.

Wenn der Mast dann später am Kran hängt, werden alle Wanten, Vorstag und Achterstag abgemacht. Jetzt endlich kann der Kran den Mast auf den Boden legen. Nach der Reparatur läuft alles in umgekehrter Reihenfolge ab und wir sind wieder segelklar. So weit der Plan. So weit sind wir aber noch nicht.

Hard Grooves Jazz Bar

Wir belohnen uns für die harte Arbeit mit einem Besuch der Hard Grooves Jazz Bar. Nicht dass wir auf den Jazz stehen würden, der aus dem Inneren ertönt. Es ist das Abendessen, das uns hierher treibt. Ich hoffe, das Bild erzeugt in Deutschland nicht zu viel Neid. Dass das Essen gut ist, meinen auch die Katzen, die eigentlich zum benachbarten Restaurant gehören, sehr streichelbar sind und mit stummen, bohrenden Blicken die Aufmerksamkeit der Gäste auf sich ziehen möchten.

Stumm bettelnd

Nun warten wir auf Nachrichten von der Marina Varadero. Die müssen einen Autokran organisieren. Wenn das geklärt ist, werden wir Sissi dorthin verlegen. So lange müssen wir uns die Zeit vertreiben.

Richtig glücklich bin ich nicht.

Gute Nachrichten und schlechte Nachrichten

Bei der Bekämpfung unserer Ölpest haben wir einen ersten Erfolg erzielt. Inzwischen haben wir gelernt, mit unserem Teppichreinigungs-Wundermittel umzugehen. Anfangs haben wir zu viel Backpulver und zu wenig Alkohol genommen. Inzwischen haben wir gelernt, wie wir das beste Reinigungsergebnis bekommen können.

Oben der dunkle Ölschmutz, unten der Boden, der gerade bearbeitet wird.

Zuerst verteile ich das Backpulver auf dem trockenen Teppich. Anschließend massiere ich es mit meinen Füßen in den Teppichboden ein. Ich verteile es quasi genau so, wie ich vorher den Dreck im Boot verteilt habe, nur mit etwas mehr Sorgfalt. Anschließend sprühe ich das alle so weit mit Alkohol ein, dass der Teppich getränkt ist und ich das weiße Backpulver nicht mehr sehen kann.

Diese Fläche kann jetzt eingesprüht werden.

Dann ist die Arbeit erst einmal getan. Ich setze mich an die frische Luft, der Alkoholdunst ist nur schwer erträglich. Das Boot muss gut gelüftet sein. Ich könnte mir vorstellen, dass sich sonst eine explosive Mischung in der Luft bildet. Das Lüften hilft auch gegen die Kopfschmerzen. Nach zwei bis drei Stunden ist der Alkohol verdunstet (bei ca. 30°C Raumtemperatur). Dann sollten sich erste Dreckflecken im Backpulver zeigen.

Der Boden trocknet langsam ab und es zeigen sich braune Flecken im weißen Backpulver. Das ist der Dreck, der rauskommt.

Nun sprühe ich den Alkohol wieder und wieder darauf, er löst den Dreck aus dem Teppich. Nach drei bis vier Alkoholanwendungen lasse ich den Teppich über Nacht komplett trocknen. Am nächsten Morgen wird gesaugt, das trockene Backpulver lässt sich leicht aufsaugen.

Nach dem Staubsaugen. Man sieht deutlich, dass immer noch Dreck im Teppich hängt. Also ist eine weitere Anwendung nötig.

Anschließend kann ich das Ergebnis beurteilen und ob der Teppich eine weitere Behandlung braucht. Wenn keine weitere Behandlung nötig ist, bürste ich mit einer kräftigen Bürste die letzten Reste aus dem Teppich und lasse sie im Staubsauger verschwinden. Das Ergebnis kann sich sehen lassen. In der Vorschiffskoje war ein breiter, schwarzer Strich auf dem Boden, dort steht immer unsere Hochsee-Mülltonne, da laufen wir oft entlang. Jetzt ist der Boden wieder schön sauber.

Vorschiffskoje nach drei Anwendungen. Eigentlich waren es zwei Anwendungen und ein Versuch zum Lernen.

Ach ja, da wäre noch der Dienstagmorgen. Der Rigger ist bei uns am Boot und schaut sich die Mastspitze in aller Ruhe mit dem Fernglas an. Dann teilt er mir mit, dass wir wahrscheinlich den Mast legen müssen. Er wird versuchen, sich über Nacht eine Lösung einfallen zu lassen, wie er das Problem bei stehendem Mast beheben kann. Ansonsten würde alleine der Kran ca. 1000 US$ kosten. Bäh. Ich mag solche Nachrichten nicht.

Frisch eingesprüht, darf trocknen.

Ich schnappe mir die Sprühflasche und gebe dem Fußboden eine weitere Behandlung. Aruba ist klebriger als unser Fußboden.

In Covid-Zeiten ist es sicher nicht schlecht, dass wir in den letzten Tagen unseren Teppichboden immer wieder und wieder und wieder und wieder desinfiziert haben. Unsere Füße werden auf keinen Fall Covid bekommen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass es einen Ort mit besser desinfiziertem Fußboden gibt.