Willkommen bei den Doldrums

Die Segel schlagen, der Wind nimmt immer mehr ab. Wir können es nicht mehr leugnen, wir haben die berüchtigten Doldrums erreicht. Es ist früher Nachmittag und ein laues Lüftchen von ein bis zwei Windstärken weht noch. Zum Glück ist die See sehr ruhig, sonst könnten wir mit diesem Wind nicht mehr fahren. Wenn hin und wieder eine größere Welle durchgeht, knallt das Segel ein wenig.

Wir hoffen, noch bis morgen Vormittag mit zwei bis drei Knoten dahin schleichen zu können. Dann ist laut der Vorhersage Schluss mit dem Wind. Es ist sehr ruhig geworden auf Sissi. Es fehlt das Pfeifen des Windes in den Wanten, das Surren des Windgenerators und das immer wieder kommende krachende Einsetzen in die Wellen, gegen die wir segeln. Ein leichtes Gluckern des Wassers. Ein wenig Knarzen im Gebälk. Das Trinkwasser schwappt in den Tanks.

Eigentlich sagt man ja nicht „bei den Doldrums“ sondern „in den Doldrums“, doch ich stelle sie mir wie kleine Klabauterleute vor.

„Willkommen bei den Doldrums. Wir glätten die See. Stellen Sie sich ein auf ein Erlebnis der ganz anderen Art. Sie sind mitten auf dem Atlantik und der Wind ist weg. Wir sind in keiner Seekarte verzeichnet. Wir lieben es, uns auf dem Ozean auszubreiten. Du siehst uns nur in der Wetterkarte. Wir sind mal hier und mal dort. Wir regeln den Verkehr.“

Den Verkehr regeln sie wirklich. Nördlich der Doldrums segelt man nach Osten, nur dort kann man die westlichen Winde finden. Südlich blasen die Passatwinde, das ändert sich nie. Der Tag zieht sich, obwohl wir segeln und gar nicht so langsam sind. Das Boot ist so ruhig. Wir bauen uns eine Playlist mit Liedern, die alle mindestens 12 Minuten lang sind, die wir dann aber nicht bis zum Ende durchspielen lassen können. Es dauert zu lange. Das Abendessen fand vor zwei Wochen immer gegen 19:30 Uhr statt. Gerade steht Jens am Herd, das Essen ist fast fertig und es gerade einmal 17:15 Uhr.

Während ich noch den Sonnenuntergang genieße, sehe ich im Wasser immer wieder Plastikmüll an Sissi vorbei treiben. Am nächsten Morgen segeln wir tatsächlich immer noch. Wir fahren noch langsam mit 2,5 kn. Jens meint, dass er den ganzen Morgen eine Menge Plastikmüll an uns hat vorbei treiben sehen. Ich glaube, dieser Müll ist überall im Ozean zu finden. Man sieht ihn aber normalerweise nicht, weil die Wellen so hoch sind. Nennenswerte Wellen haben wir keine mehr. Wir werden bald den Motor starten müssen.

Wir sitzen beide im Salon und warten darauf, dass es Mittag wird, ich meinen „Bürokram“ erledigt habe und den Blog versenden kann. Vogelgezwitscher dringt in unsere Ohren, aber eben nicht ganz wie Vögel. Quietscht etwa die Aufhängung des Herds in der leichten Dünung? Nein. Ich gehe nach oben, suche die Vögel und finde neben uns zwei riesengroße Delfine, die mindestens drei Meter lang sind. Ich habe noch nie so große Delfine gesehen in meinem Leben und rufe Jens, der innerhalb von Sekunden mit der Kamera bereit steht. Diese Gespräche der Delfine untereinander habe ich noch nie so gehört. Das Schiff war immer lauter als die schwimmenden Begleiter. Heute fahren wir so ruhig, dass wir diese Geräusche gut hören können.

10. Etmal: 94 nm
Position: 31°18’N 57°56’W