Marathon, kein Sprint

Ich kann nicht wirklich verstehen, dass sich Menschen die Mühe machen, 42,2 km zu Fuß zurückzulegen, noch dazu im Laufschritt. Wozu hat der Mensch das Motorrad erfunden? Oder den Bus, die Bahn oder auch das Fahrrad. Meine beiden Geschwister sparen sich jedenfalls gelegentlich das Geld für die Fahrkarte, investieren in sündhaft teure Laufschuhe und tun sich das an. Wir haben den 23. Seetag und unser Segelmarathon ist noch in vollem Gange.

Das Wetter hat sich etwas beruhigt. Der Wind bläst im Mittel eine Windstärke weniger, das gleichen wir aus durch ein größeres Segel. Die Wellen sind etwas weniger hoch, das genießen wir, denn wir werden weniger durch die Gegend geschleudert.

Ansonsten sind wir nach den Ereignissen der vorigen Nacht einigermaßen müde. Gleich nach dem Frühstück legt sich Jens ins Bett, um etwas Schlaf aus der vergangenen Nacht nachzuholen. Ich schreibe ein paar Emails, schreibe Blog und kann mich auch etwas entspannen. Als Jens wieder aufwacht, bin ich an der Reihe und krieche in meine Koje. Das tut gut.

Kurz bevor ich mit dem Kochen das Abendessens anfangen will, feuert der AIS-Alarm. Auf dem Bildschirm sehen wir einen außerordentlich schnellen Frachter. Er ist mit mehr als 20 kn unterwegs und auf dem Weg nach Holland. Es dauert nicht lange, dann können wir das Schiff sehen bzw. zuerst sehen wir seine Abgasfahne. Dann kommt es näher. Wir rätseln über die ungewöhnliche Form, doch das wird sich sicher noch aufklären. Der geringste Abstand wird eine knappe Meile sein, wir haben gute Sicht.

Ich schnappe mir das Telefon. Endlich mal wieder ein neues Motiv, das ich im Blog veröffentlichen kann. So nah kommen uns die Frachter normalerweise nicht, doch dieser hier hat es echt eilig und ändert seinen Kurs keinen Millimeter. Muss er auch nicht, es passt prima. Wir können die Aufschrift an der Seite lesen. CHIQUITA. Es ist ein Bananendampfer! Dampfen tut er wirklich.

Mit Jens und den Bananen ist es so wie mit Feuer und Wasser, Sonnenschein und Dunkelheit oder Materie und Antimaterie. Beides passt einfach nicht zusammen. Läuft Jens einen Marathon, werden ihm oft Bananen angeboten. Die meisten Läufer nehmen die gerne. Jens wird dadurch eher motiviert, schneller zu laufen, weg von den Bananen. Ich esse sie gerne.

Heute koche ich mal wieder richtig, ich wärme nicht nur Dosen auf. Gut, ein paar Zutaten kommen aus Dosen, doch der gebratene Reis mit Ei, Erbsen und Thunfisch ist das Ergebnis eines Koch- und nicht eines Aufwärmvorgangs. Natürlich scharf. Unser Konzerngeschmack. Immer nur Dosen öffnen öffnet den Gaumen nicht, auch französische Luxuskonserven sind und bleiben nur Dosenfutter. Jens schickt eine Mail nach Frankfurt, in der er seinen Horror über die Begegnung mit dem Bananendampfer ausdrückt.

Ausgedrückt hat sich unser Kühlschrank. Der Kompressor läuft für ein paar Sekunden an, dann steigt er wieder aus. Normalerweise würde ich vermuten, dass es Unterspannung ist. Die Stromleitung zum Kühlschrank habe ich kürzlich erneuert, sie hat 3mm². Es kommen von den 12,9V Systemspannung auch 12,8V am Kühlschrank an. Damit muss er arbeiten. Es ärgert mich, weil es wieder ein Punkt mehr auf der Reparaturliste ist. Schlimm ist es nicht, frische Nahrung ist da nicht mehr drin. Ein paar Schokoriegel (50 oder so) und noch etwas Butter und Käse. Wir haben ja noch den Gefrierschrank.

Eine Email-Antwort auf die Bananenmail geht ein. Daran hängt ein Bild aus einem Kinderbuch. Wie die Bananen zu uns kommen. Jens erklärt mir, dass wenn er seine Freunde Angie und Daniel besucht, ihn ihre Kinder Lotta und Thore immer mit Bananen durch die Wohnung jagen. Die Kinder können nicht verstehen, dass er Bananen hasst. Ich habe im Kopf das Bild eines Marathonlaufs um den Küchentisch, immer die Kinder mit den Bananen im Nacken. Beste Grüße vom Atlantik an dieser Stelle!
Der Abend verläuft ruhig, der Wind nimmt immer mehr ab. Wir segeln mit 4 kn mehr oder minder direkt auf unser Ziel zu. Für die Nacht ist ein Winddreher mit auffrischendem Wind prognostiziert. Dann werden wir halsen und auf den anderen Bug gehen. Mal sehen, wen von uns es treffen wird.

Es ist schon früher Morgen, als ich in meiner Koje an die Wand geschleudert werde. Sissi luvt mächtig an. Ich höre, wie Jens das Segel refft. Sturzregen in Aruba-Qualität fällt vom Himmel, der Wind nimmt dabei mächtig zu. Ich bin froh, dass es nicht in meiner Wache war. Dann drehe ich mich herum und schlafe weiter. Irgendwie ist mir kalt. Am Morgen zeigt das Thermometer im Salon nur noch 19°C. Brrrr. Wintersegeln ist nicht so meins.

Noch ein paar Tage, dann sehen wir den Zieleinlauf am Ende unseres Marathons. Noch ein paar Tage bis zu einer heißen Dusche. Doch so lange müssen wir noch durchhalten. Und das ohne eine einzige Banane an Bord.

23. Etmal: 97 nm
Position: 38°15‘N 35°36‘W
Reststrecke: 325 nm