Durst und Heimweh

Warnung! Beitrag enthält Heimweh. Oder wie Friedrich Stoltze damals geschrieben hat:

Es is kaa Stadt uff der weite Welt,
Die so merr wie mei Frankfort gefällt,
Un es will merr net in mein Kopp enei:
Wie kann nor e Mensch net von Frankfort sei!

Man sagt ja, dass Durst schlimmer sei als Heimweh. Das gilt insbesondere bei schönem Wetter vor einem Biergarten. Ich behaupte jetzt, dass der Spruch falsch ist. Ein leckeres Getränk lässt sich überall auftreiben, unser Frankfurt gibt es jedoch nur am Main.

Frankfurter Römer während der Luminale am 12. Oktober 2017 (Foto: Manfred Jonas)

Noch leide ich keinen richtigen Durst. Noch haben wir Apfelwein an Bord und können uns jederzeit einen Frankfurter Schluck genehmigen. Doch waren wir in unserem Leben noch nie so lange nicht in Frankfurt. Ich merke das.

Unsere Kommunikation läuft vollkommen problemlos. Wir haben zumeist gutes Internet an Bord und können nach Hause telefonieren. Das machen wir auch regelmäßig. Gelegentlich nutzen wir sogar Skype, damit wir unsere mal wieder Eltern sehen und nicht nur mit ihnen reden können.

Wir haben in den letzten Monaten so viele Menschen kennen gelernt, wie das zu Hause niemals der Fall sein könnte. Die meisten Segler sind sehr offene Menschen. Wenn wir uns zwei Stunden mit neuen Bekannten im Cockpit unterhalten haben, ist meist aus der Bekanntschaft fast schon eine Freundschaft geworden. Um dieses Niveau zu erreichen, brauche ich in der Heimat meist Monate. Vielleicht liegt es daran, dass die meisten Segler, die wir treffen, einen ähnliches Ziel verfolgen. Gelegentlich gewinne ich den Eindruck, dass es auf dem Atlantik eng wird, weil so viele Boote in die Karibik wollen. Vielleicht liegt es auch daran, dass die meisten Segler sich entweder eine berufliche Auszeit genommen haben oder schon in Rente sind. Ohne den täglichen Druck, zur Arbeit gehen zu müssen, lebt es sich durchaus entspannt. Oder es ist die Gewissheit, dass man sich nur für ein paar Tage gegenseitig auf den Geist geht. Irgendwann stimmt die Windrichtung wieder, die Steggemeinschaft löst sich auf und jeder fährt zu seinem nächsten Ziel. Also ist man gezwungen, sich schnell auf eine sehr persönliche Ebene zu bewegen, sonst bleiben wichtige Themen unausgesprochen. Ich schätze diesen Aspekt des Langfahrtsegelns sehr.

Ich vermisse Treffpunkte, Freunde und Gewohnheiten aus Frankfurt. Eine jahrelange Freundschaft ist nicht durch eine Stegbekanntschaft zu ersetzen. Statt zu den Heimspielen ins Waldstadion gehen, müssen wir mit der Übertragung im Radio vorlieb nehmen und die Tore alleine bejubeln. So schön es unterwegs ist, wir können uns nirgendwo ans Mainufer setzen. Dieser Aspekt des Langfahrtsegelns war mir vorher zwar klar, ich konnte jedoch nicht ahnen, mit welcher Intensität das in mir bohren würde.

Ich spüre das Heimweh nicht immer. Wenn die Segel oben sind und Sissi durch das Wasser zischt, ist nichts so fern wie das Heimweh. Es fühlt sich am besten an, wenn wir so weit draußen sind, dass wir nur noch mit dem Satellitentelefon kommunizieren können, ohne Handynetz und ohne das Plärren aus dem Funkgerät. Dann bin ich tief im Jetzt. Dann ist das Universum begrenzt auf die wenigen Quadratmeter Segelboot. Dann ist die Aufgabe, sicher zum nächsten Ziel zu kommen. Vor dem Bug liegt die Aussicht auf so viel Neues, für das ich das Altbekannte gerne loslasse. In der Nacht schalte ich dann gerne mal für ein paar Minuten die Schiffsbeleuchtung aus und genieße die Freiheit, unter einem ungetrübten Sternenhimmel ins dunkle Nichts zu segeln.

Liegen wir aber fest, schweben meine Gedanken am Abend im Cockpit oft in die Heimat. Möglicherweise ist es sogar so, dass die Möglichkeit, jederzeit zum Telefon zu greifen, das Heimweh verstärkt. Gerne würde ich unsere Eintracht mal wieder live sehen oder einen Bembel in einer Apfelweinwirtschaft leeren. Dieser Zug ist jedoch abgefahren. Anfang Juni.

Frankfurt Hauptbahnhof, Gleis 20, ICE nach Amsterdam

In ein paar Jahren gehe ich wieder ans Mainufer und ins Waldstation. Vorher werde ich auf die Kaneren, in die Karibik und die Südsee fahren, Australien sehen und noch viel mehr. Das wird spannend!

Dieser Beitrag erscheint während unserer Überfahrt nach Lanzarote. Bis nach Frankfurt sind es nur noch ca. 25000 Seemeilen.

Überfahrt zu den Kanaren – Tag 3

Der Höhepunkt eines jeden Bordtages ist die warme Mahlzeit. Wir benutzen jetzt die Action-Kamera, um neue Küchenvideos anzufertigen. Dabei bereitet es Jens eine helle Freude, wenn ich durch die Pantry torkele. Heute gibt es im Ofen gebackene Schweinelende mit einer Pilzsauce. Die dazu angedachten Paprika sind leider vom Blumenkohl zu Matsch geklopft worden, deswegen muss der Blumenkohl dran glauben. Zubereitungszeit wieder ca. drei Stunden, Zeit zum Verzehr etwa drei Minuten und dann muss anschließend noch abgespült werden. Wir sind weiterhin auf Flugstation und wenig ist unangenehmer, als wenn benutztes Geschirr eine Flugeinlage auf den Teppichboden macht. Alles ist wieder wie immer.

Der Regen hat lange aufgehört, der Wind glücklicherweise nicht. Er bläst aus Nordost und pustet uns direkt in Richtung Lanzarote. So soll es sein, so war es vorhergesagt und so ist es gut. Segeln ist schön, schnell segeln ist schöner. Aus Sissi werden wir nie eine Regattayacht machen, wenn wir schneller als fünf Knoten fahren, grenzt es schon an Raserei. Das ist nicht wie immer, wir rasen nun schon seit 24 Stunden!

Begegnung mit einem Tankschiff

Kurz nach dem Wachwechsel um vier Uhr in der Nacht weckt mich Jens wieder. Einer der beiden Blöcke, die die Leinen der Windfahnensteuerung auf das Ruder lenken, hat sich losgerissen. Jens muss das Cockpit verlassen, deswegen muss ich aufpassen – falls er ins Wasser fällt. Es ist vollkommen unmöglich, die gebrochene Schlauchschelle, durch eine neue zu ersetzen. Zwei Kabelbinder müssen nicht festgeschraubt werden und halten als Provisorium auch. Wahrscheinlich halten die um die ganze Welt.

Unsere Stromproduktion läuft gut. Windkraft und Sonnenkraft bringen den ihnen zugedachten Teil. Fast. Über den Atlantik werden wir so nicht kommen, doch wir sind frohen Mutes, ohne Einsatz des Dieselmotors auf Lanzarote zu landen. Mir ist inzwischen klar, warum wir diese Stromlücke haben. Als ich den Stromverbrauch von Sissi im Winterlager gemessen habe, war das ohne die ganzen elektronischen Spielzeuge, die wir so nutzen. Vom Notebook über zig Kameras und Handys, es war auch noch kein AIS eingebaut, der Watermaker auch nicht. Entweder sparen wir am Komfort oder wir verwandeln den einen oder anderen Liter Diesel in Elektrizität. Das ist auch wie immer.

Unser bisheriges Fazit hinsichtlich der Ozeanpassagen ist folgendes: Die Herausforderung liegt nicht in der Segelei. Auf den vergangenen 300 Seemeilen haben wir das Vorsegel ausgerollt und ca. 36 Stunden nicht angefasst. Dann sind wir eine Halse gefahren. Das war alles. Die Herausforderung besteht darin, wach und fit zu sein und ein angenehmes Leben zu führen. Man stelle sich einmal vor, die eigene Wohnung würde ständig vier Meter rauf und runter fahren, sich dazu ständig nach links und rechts neigen und nach vorne und hinten kippen. Ständig, unablässig, ohne Pause. Ohne Aussicht auf Änderung in den kommenden Stunden, Tagen bzw. Wochen – wenn wir nächsten Monat rüber in die Karibik fahren. Dabei wird gekocht, gegessen, geschlafen, getrunken, geputzt, aufgeräumt, gehandwerkt und entspannt. Nebenbei schaut man noch nach anderen Schiffen, die sich allenfalls in der Nacht durch ihre Lichter ausmachen lassen. Das ist Ozeansegeln.

F*ck. ScheiXXe!!! Mit einem Knall hat sich gerade einer der achteren Blöcke vom Windpilot verabschiedet. Ein Riesenspaß, das auf dem Atlantik zu reparieren. Zum Glück haben wir noch Ersatz. Irgendwas ist halt immer.

Bruch

Diese Zeilen entstehen in der 73. Stunde unserer Überfahrt. Von den Seemeilen her sind wir auf halbem Weg. Frisches Gemüse geht langsam zur Neige, warum musste der Blumenkohl auch die Paprikaschoten verkloppen. In Zukunft werden wir beim Stauen der Lebensmittel auch darauf achten, dass sie sich nicht gegenseitig zerstören können. Wenn ich Jens frage, welche Speise er sich denn vorstellen kann, für die man kein frisches Gemüse braucht, dann kenne ich seine Antwort jetzt schon: Lasagne. Alles ist wie immer.

Aktuelle Position (um 14:30 Uhr): 32°46‘N 11°26‘W
Drittes Etmal: 131 nm (jetzt so schnell, wie ein DHL-Paket)
Reststrecke: 237 Meilen, mit etwas Glück kommen wir am Sonntag an

Überfahrt zu den Kanaren – Tag 2

Wir prüfen unseren Kurs regelmäßig, denn mit der Windfahnensteuerung fahren wir bei einem Winddreher in die falsche Richtung. So müssen wir am frühen Nachmittag einmal an den Steuerleinen ziehen, denn wir haben einen Winddreher bemerkt, der uns seit drei Stunden in die falsche Richtung pustet. Drei Stunden sind kein Problem, das bringt uns nicht wirklich von unserem Kurs weg.

Sissi steuert selbst

Ansonsten beginnen wir, uns an das langsame Leben zu gewöhnen. Wenn wir durch das Schiff gehen, müssen wir uns gut festhalten und jeden Schritt vorher planen, denn die Wellen sind immer noch so bösartig, dass sie einem den Boden unter den Füßen wegziehen wollen. Ähnlich ist die Planung des Abendessens. Wir haben uns in Lagos Thunfischsteaks besorgt, dazu machen wir Kartoffeln und Karotten. Für eine Essenszeit gegen 19 Uhr fängt meine Vorbereitung schon um 16 Uhr an. Zwiebeln schneiden dauert dreimal so lang wie im Hafen. Bei den Karotten ist das nicht anders. Auch das Schälen der Kartoffeln nimmt eine ordentliche Zeit in Anspruch, denn es drohen nicht nur die Kartoffeln sondern auch der Koch durch das Schiff zu fliegen.

Flugfähig ist grundsätzlich alles. Obst, Gemüse, Messer, Teller, Gewürze, Töpfe, Pfannen und die Thunfischsteaks natürlich auch. Gegessen wird dafür um so schneller, denn es ist schließlich alles flugfähig. Die warmen Speisen auf dem Teller besonders, der Tellerrand ist geformt wie die Startbahn eines Flugzeugträgers. Meine blauen Flecken geben Zeugnis von verschiedenen Landungen. Besonders gern lande ich auf dem Motor, dort gibt es schöne Kanten, an denen ich mich stoßen kann.

Nach dem Essen geht Jens wie immer ins Bett, ich übernehme die erste Wache und kann mir auch noch die Zeit damit vertreiben, das Geschirr abzuspülen, ohne es im Salon zu verteilen. Gelungen. Dann döse ich etwas auf der Couch, kontrolliere in regelmäßigen Abständen den weiten, leeren Ozean um uns und werde plötzlich hellwach, als ein kräftiger Regenschauer durchzieht. Sofort das Badezimmerfenster schließen! Sissi luvt in der folgenden Bö kräftig an und beginnt im Galopp über die Wellen zu reiten. Die Windfahne steuert das prima aus. Leider schläft der Wind nach einer Viertelstunde wieder fast ein und wir sind wieder dazu verdammt, mit besserer Schrittgeschwindigkeit nach Lanzarote zu fahren. Alles ist wie immer. Nur das Cockpit ist jetzt patschnass.

Gegen 4 Uhr machen wie wie immer den Wachwechsel. Ich darf bis 10 Uhr schlafen, anschließend serviert mir Jens einen Kaffee und geht selbst ins Bett.

Bis etwa 13 Uhr ist der Wind noch richtig mau, dann aber legt er los. Während ich noch auf der Couch döse, fällt eine Bö von 32 kn ein und die Windfahne lässt uns erst einmal wieder in Richtung Portugal drehen. Gleichzeitig setzt strömender Regen ein. Toll. Ich zupfe und ziehe die Windfahne wieder richtig, öffne das Segel etwas und Sissi legt richtig los. Sie galoppiert jetzt mit 6 bis 7 kn über den Atlantik. Die lahmen Etmale von heute und gestern sind fast schon vergessen. Das Windkraftwerk produziert Strom, dass wir Sissi beleuchten könnten wie einen Kreuzfahrer. Wenn da nur nicht der Regen wäre, aber irgendwas ist ja immer.

Stromproduktion läuft gut

Heute spielt die Eintracht in Lüttich. Wir haben uns eine Email mit dem Ergebnis bei unserem Vater bestellt. Selbstverständlich werden wir den Schal hochziehen, sonst klappt es mit dem Auswärtssieg nicht. Wir brauchen kein Torfeuerwerk wie gegen den unterklassigen Gegner aus München, wir sind auch mit einem einfachen 1:0 Auswärtssieg zufrieden.

Aktuelle Position (um 14:30 Uhr): 40°39‘N 10°32‘W
Zweites Etmal: 87,3 nm (immer noch langsamer als DHL)
Reststrecke: 359 Meilen