Mercedes Benz

Wir verbringen einen ruhigen Nachmittag. Der Wind hält sich irgendwie, wir segeln mit knapp vier Knoten in Richtung Nordwesten. Das ist nicht ganz die richtige Richtung zu unserem Ziel, es ist aber die richtige Richtung für den Wind, der irgendwann kommen wird. Die See ist ruhig. Da ich damit rechne, dass der Wind sich jede Minute verabschiedet, bin ich zu faul das Großsegel noch einmal zu setzen. Für die Geschwindigkeit bringt es sowieso nicht gar so viel, höher an den wenigen Wind können wir auch nicht. Müssen wir auch gar nicht. Die letzten Meilen mit dem sterbenden Wind dienen eher dazu, Diesel zu sparen. So weit ist alles gut.

Mário ist ziemlich angeschlagen. Diesmal nicht von der Seekrankeit, sondern von seiner Müdigkeit. Er hat Probleme, sich an den bordeigenen Tag- und Nachtrythmus zu gewöhnen. Wenn er schlafen soll, kann er kein Auge zumachen. Während seiner Wache könnte er schlafen, doch das Wort “Wache” impliziert ja schon, dass in dieser Zeit nicht viel Schlaf zu haben ist. Am Nachmittag findet er dann doch ein paar Stunden Schlaf in seiner Koje. Derweil bereite ich gemütlich das Abendessen vor. Es gibt heute Pleskavcia, ein kroatisches Hacksteak mit Frischkäsefüllung. Der Frischkäse, den uns Mários Vater kurz vor der Abreise noch an Bord gegeben hat, muss nämlich weg. Sonst ist er nicht mehr frisch.

Auch zur Abendessenszeit haben wir noch einen Hauch Wind. Das macht das Abendessen entspannter. Wenn der Motor läuft, agiert Sissi in den leichten Wellen heftiger, als bei einem ordentlichen Wind. Nach dem Abspülen zieht sich Mário wieder in seine Koje zurück. Zuvor bergen wir noch die Genua. Segeln mit weniger als zwei Knoten ergibt keinen Sinn. Ab sofort regiert der Diesel. Wir haben ja ein Modell eines deutschen Premium-Herstellers. Mir geht ein Song von Janis Joplin durch den Kopf.

Oh Lord, won’t you buy me a Mercedes Benz
My friends all drive Porsches, I must make amends
Worked hard all my lifetime, no help from my friends
So Lord, won’t you by me a Mercedes Benz

Ja er läuft rund. Nun heißt Wache gehen nicht mehr die Segel beobachten. Auch der Kurs ändert sich nicht mehr, wir fahren natürlich nicht mehr mit der Windfahne. Mit welchen Wind sollte sie auch steuern? Ab sofort beobachten wir Motortemperatur und Öldruck. Außerdem muss der Restwind im Tank regelmäßig gecheckt worden. Dafür läuft unser Farbfernseher – auch bekannt als Bordkino – prima. Wir haben noch den einen oder anderen Monty Python Streifen. Außerdem muss ich mal überprüfen, ob es für den “Schuh des Manitu” englische Untertitel gibt. Mário würde gerne eine deutsche Komödie sehen.

Oh Lord, won’t you by me a color TV
Dialing for Dollars is trying to find me
I wait for delivery each day until threee
So oh Lord, won’t you by me a color TV

Ob auf der teuersten, größten, schönsten, besten Segeljacht oder auf meiner geliebten Sissi, alle Segler auf dem Ozean sind gleich. Mário hat erwähnt, dass er in seinem Leben noch nie so lange an demselben Ort gewesen ist. Das allerdings habe ich ihm vorher schon versprochen. Aussteigen ist nicht, wir müssen uns das Leben selbst angenehm machen. Vom Start bis zum Ziel gibt es nur die 12 Quadratmeter Wohnfläche zuzüglich eines Balkons mit dem wahrscheinlich schönsten Ausblick auf Meer, den man sich vorstellen kann. Es kann aber auch deprimierend sein, Wasser und ausschließlich Wasser zu sehen.

Oh Lord, won’t you buy me a night on the town
I’m counting on you, Lord, please don’t let me down
Prove that you love me and buy the next round
Oh Lord, won’t you buy me a night on the town

Es knarzt im Funkgerät. Eine Stimme ruft das Segelboot Sissi. Die Stimme geht beinahe unter im Dröhnen des Mercedes Benz. Tatsächlich ist ein Schiff auf dem AIS zu sehen, ein Frachter mit knapp 250 Metern Länge. Er ist gut fünfzehn Meilen von uns entfernt. Was will er von uns? Dieser Tage haben wir nicht viele Telefonanrufe, also gehe ich ran. Der Frachter bittet mich, auf dem AIS nachzusehen, welche Informationen er überträgt. Das mache ich doch gerne, sein Datensatz ist vollständig. Er fragt mich, ob ich seine AIS-Nachricht empfangen habe. AIS-Nachricht? Kenne ich gar nicht. Ist wahrscheinlich den AIS-Geräten der Klasse A für die Berufsschiffahrt vorbehalten, also muss ich es verneinen. Ich kann ihm leider auch keine solche Nachricht schicken. Wir wünschen uns gegenseitig einen schönen Abend, das war’s. Später in der Nacht übernimmt wieder Mário. Am nächsten Morgen regiert immer noch der Mercedes.

Oh Lord, won’t you buy me a Mercedes Benz
My friends all drive Porsches, I must make amends
Worked hard all my lifetime, no help from my friends
So Lord, won’t you by me a Mercedes Benz

Heute hat meine Mutter Geburtstag. Leider kann ich nicht persönlich meine Glückwünsche ausrichten. Deswegen sende ich meine allerbesten Geburtstagwünsche per Email und nun auch im Blog! Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag!!!

6. Etmal: 84 nm
Position: 43°04‘N 18°29‘W

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert