Atlantik Tag 2 – Schwachwind, schwächer, Flautenschieber

Am frühen Nachmittag beginnt die Genua zu schlagen. Der Wind reicht nicht mehr, um sie im Atlantikschwell ordentlich stehen zu lassen. Knatter, knatter, rrrrummms. Knatter, knatter, rrrrummms. Sissi erzittert unter den Schlägen. Bei 30 Knoten Wind lässt es sich besser segeln, als bei 13 Knoten. Wir überlegen uns Maßnahmen. Eine Maßnahme wäre der Motor. Eine andere Maßnahme der Parasailor. Nach nur einer Stunde Arbeit auf dem Vordeck und in den Katakomben des Schiffs ist das große Tuch klar zum Setzen.

Denkste! Beim Hochziehen des Trichters erweisen sich die Backbordschoten und die Steuerbordschoten als überkreuzt. So wird das nichts. Also nochmal runter mit dem Trichter, die Schoten entkreuzen und wieder rauf. Prima. Diesmal haben wir nur zwei Versuche gebraucht. Wir segeln ein paar Stunden weiter mit dem Parasailor, dann fällt er ins Wasser. Es ist einfach kein Wind mehr da.

Also runter mit dem großen Tuch. Die Schoten wieder umbauen auf Genuabetrieb. Den Motor anwerfen und weiter. Hoffentlich kommen wir rechtzeitig in die Passatzone, so dass wir nicht auf den Kapverden tanken müssen.

Ich belohne mich für die schweißtreibende Arbeit mit einer Dusche. Wir sind doch so weit südlich, da muss das Wasser aus dem Tank doch warm sein. Denkste! Brrrr… fühlt sich aber saugut an. Und natürlich frische Klamotten, in denen kein Salz klebt. Und wie es sich gehört auf einem Segelboot – es duschen alle oder keiner. Die kleinen Freuden des Alltags.

Zum Abendessen gibt es Schweinekotletts mit kanarischen Kartoffeln, kanarischen Paprika und Mojosauce. Davor eine Hummersuppe, man gönnt sich ja sonst nichts. Jens verkriecht sich in seine Koje, ich habe wie immer die erste Wache.

Es passiert hier nichts. Absolut gar nichts. Seit 20 Stunden sind weder andere Schiffe zu sehen, noch sieht man welche auf dem AIS. Außerdem herrscht Funkstille. Der Himmel ist sternenklar. Ich verstoße mal wieder gegen alle guten Regeln der Seefahrt und schalte die gesamte Beleuchtung aus. Dazu werfe ich Konzert Nr. 1 für Klavier und Orchester von Tschaikovski auf den Plattenspieler und stelle die Musik etwas lauter. Das ist schön. Untendrunter prügelt uns der Diesel durch die Flaute. Ich versuche, das zu vergessen. Die Musik tritt in den Vordergrund, die Sterne leuchten.

Als Jens die Wache übernimmt, brummt der Diesel immer noch. Auch bei meinem Aufwachen am Morgen. Im Laufe des Vormittags kommt langsam etwas Wind auf. Noch nicht segelbar, aber aus der richtigen Richtung. Noch unter 10 Knoten, aber ständig stärker werdend. Jens hat die ganze Nacht die Schiffsposition und die Wetterdaten miteinander verglichen und meint, wir hätten gegen Mittag wieder Segelwind.

Es ist Mittag in Deutschland. Wir haben keinen Segelwind. Es ist Mittag auf den Kanaren. Wir haben immer noch keinen Segelwind. Nun ist es Mittag bei uns auf der Sissi (Kapverden-Zeit, zwei Stunden hinter Deutschland). Der Motor brummt.

2. Etmal: 114 nm
Position um 12 Uhr: N25°16′ W18°04′
Noch 570 Seemeilen bis zu den Kapverden bzw. 2450 Seemeilen bis nach Barbados. Die gesamte zurückgelegte Strecke sind nun 235 Meilen.

Bald wird es irgendwo Mittag sein, und wir können segeln. Ich bin zuversichtlich.

Der Parasailor ist gesetzt

Fundgrube Internet

Irgendwo in den Tiefen des Internet habe ich einen Text zur Optimierung der Windfahnensteuerung bei schwachem Wind gelesen. Ich kann mich nicht mehr erinnern, wo das war. Deswegen möchte ich für dieses Patent kein Copyright anmelden, möchte aber die Nachahmung empfehlen.

Wir haben gerade schwachen Wind ohne Ende, der uns mit sieben bis neun Knoten um die Ohren pfeift. Das reicht gerade noch aus, um mit dem Parasailor drei bis vier Knoten Speed zu machen. Bei diesem geringen Wind tut sich die Windfahne schwer, schnell auf Drehungen des Schiffs anzusprechen. Mit der kleinen Plastiktüte hat sich das Ansprechverhalten wesentlich verbessert.

Was uns jetzt nur noch fehlt, sind ein paar Knoten mehr schwacher Wind.

Atlantik Tag 1 – Teneriffa nervt unsagbar

Großes “auf Wiedersehen” am Steg. Wir werden mit viel Getröte von der Roede Orm und der Grace verabschiedet. Noch bei der Ausfahrt aus dem Hafen stürzen sich Windböen mit 40 kn aus den Bergen über Sissi. Wir verstauen alle Leinen und Fender weit weg, wohl wissend, dass wir sie in den nächsten Wochen nicht mehr brauchen werden. Wenige hundert Meter hinter der Hafenausfahrt setzen wir die Genua, stellen den Motor aus und harren der Dinge, die da kommen werden.

Durch die hohen Berge schützt uns Teneriffa vor dem Sturm, der auf der Westseite tobt. Doch nach der Wettervorhersage soll der Sturm im Laufe des Abends abflauen, in der Nacht gut segelbar werden und am Folgetag ein schöner Segelwind übrig bleiben. Wir wollen dem Flautenbereich davon fahren, der sich in den nächsten Tagen über Teneriffa nach Süden schieben wird. Jetzt aber ist der Wind sehr variabel. Zwischen 15 kn und 35 kn ist alles dabei. Wir reffen die Genua, reffen sie wieder aus, reffen sie noch einmal und bleiben erst einmal dabei. Der Seegang hält sich schwer in Grenzen, soweit haben wir den Start gut geplant. Die Chapo schickt uns Nachrichten aus Lanzarote. Dort bläst es mit 50 kn. Die sind aber auch auf der anderen Seite der Berge, wo der Sturm direkt drauf ballert.

Zum Abendessen gibt es Schonkost. Curryhuhn mit Reis, Möhren und Erbsen. Das zahlt sich aus. Jens teilt erstmals (!) am ersten Seetag sein Essen nicht mit Neptun. Er geht wie immer früh ins Bett, dabei hat er aber seine normale Gesichtsfarbe. Schön. So war es geplant, so soll es sein.

Wir erreichen den Windschatten des Teide. Die Genua schlägt wild, es ist kein Segelwind mehr da. Die Böen erreichen nur noch 8 kn, ansonsten ist Flaute. Also wird die eiserne Genua klar gemacht, wir verbrennen die ersten kostenbaren Liter Diesel. Nach zwei Stunden ist der Wind wieder da, mit 20 kn auch in der richtigen Menge. Nur kommt er jetzt anstatt aus Nord plötzlich aus Südost. Ich ziehe die Genua auf der anderen Seite raus und stelle den Motor ab. Das geht für eine halbe Stunde gut, dann dreht der Wind langsam in Richtung Ost. Dann Nordost. Dann bläst er plötzlich mit 30 kn, die Windfahne hält den Kurs nicht mehr. Ich muss reffen. Gerade bin ich mit dem Reffen fertig, dann ist der Wind auch wieder komplett weg. ScheiXX Teide. Motor an, Genua weg.

Auf dem Handy gehen noch sporadisch Nachrichten aus Deutschland ein. Wir bekommen viele Glückwünsche und eine Warnung vor sechs Meter hohen Wellen, wenn wir den Windschatten von Teneriffa verlassen. Sechs Meter Wellen machen uns keine Angst, die kommen hier in langer Frequenz und sind gut segelbar. Noch einmal von hier aus vielen Dank und viele Grüße von der Sissi-Crew. Dann verlassen wir den Bereich des Mobilfunknetzes. Langsam sind auch alle klappernden Dosen und Teller stillgelegt, die Gläser im Regal klirren nicht mehr. Die meisten unserer Kissen sind in irgendwelchen Schränken verschwunden, wo sie für Ruhe sorgen. Immer dieses blöde Rollen unter Motor.

Dann kommt der Wind wieder, diesmal wieder aus nördlicher Richtung und mit bequem segelbaren 15 kn. Genua raus, Motor aus. Aus 15 kn werden 20 kn, dann 25 kn, dann 30 kn und zuletzt 35 kn. Mir geht die Refferei inzwischen voll auf den Keks. Ich lasse die Genua einfach ungerefft und sehe zu, wie Sissi mit knapp 9 kn als Hochgeschwindigkeits-Regattajacht durch die Wellen pflügt. Die haben keine sechs Meter, vielleicht vier. Die Windfahne ist gut justiert, diesmal wird sie mit dem Wind und den Böen fertig. Es läuft. Es läuft so richtig. Es ist ein tolles Gefühl. Wir machen jetzt richtig Strecke.

Immer wieder kommt ein Schwapp Atlantik ins Cockpit, doch die Wassertemperatur ist angenehm. Den Windgenerator muss ich abstellen, die Akkus sind so voll, dass er den überschüssigen Strom nur noch in seinem Widerstand verheizen kann. Unser Plan, der Flaute davon zu fahren, geht für den Augenblick voll auf.

Jens wacht auf, ohne dass ich ihn wecken muss. Es geht ihm gut. Wir machen das Radio an, legen Alestorm auf und drehen den Lautstärkeregler hoch. Das können sie auf Teneriffa noch hören. Danach gehe ich ins Bett, werde immer wieder durch die Gegend geschleudert und finde erst spät meinen Schlaf. Wie immer am ersten Tag. Am Morgen muss Jens wieder den Motor starten, weil der Wind kaputt ist. Später kommt er wieder. Wir segeln nun mit 3-4 kn und versuchen, aus der Flautenzone heraus zu kommen. Dieser Teil der Überfahrt war nicht so geplant.

Wir haben genug Süßwasser, also entsalzen wir das ganze Cockpit. Wir entsalzen alle Griffe, die wir mit unseren Salzhänden angefasst haben. Wir entsalzen die Treppe in den Salon. Das ist echter Luxus. Die Sonne brennt auf die Solarpaneele, also darf der Watermaker gleich wieder den Tank nachfüllen. Die Akkus bersten fast vor Strom. Auch dieser Teil des Plan läuft. Mit der Wettervorhersage gibt es nun zwei Optionen für unsere Weiterfahrt, da sich jetzt ein Flauteband von Teneriffa nach Süden schiebt.

Option 1: Wir kommen ohne viel Dieselverbrauch raus, dann fahren wir direkt durch in die Karibik.
Option 2: Wir brauchen jetzt noch zwei Tage den Motor, dann müssen wir auf den Kapverden noch einmal tanken.

1. Etmal: 121 nm
Position um 12 Uhr: N26°58′ W17°26′
Noch 700 Seemeilen bis zu den Kapverden bzw. 2500 Seemeilen bis nach Barbados.

Jetzt lege ich mich noch etwas auf die Couch, vorher esse ich ein selbst gebackenes Brot mit leckerer Leberwurst aus Bonames. Es ging uns nach dem ersten Seetag nie besser!

 
Sonnenschein über dem Atlantik