Atlantik Tag 1 – Teneriffa nervt unsagbar

Großes „auf Wiedersehen“ am Steg. Wir werden mit viel Getröte von der Roede Orm und der Grace verabschiedet. Noch bei der Ausfahrt aus dem Hafen stürzen sich Windböen mit 40 kn aus den Bergen über Sissi. Wir verstauen alle Leinen und Fender weit weg, wohl wissend, dass wir sie in den nächsten Wochen nicht mehr brauchen werden. Wenige hundert Meter hinter der Hafenausfahrt setzen wir die Genua, stellen den Motor aus und harren der Dinge, die da kommen werden.

Durch die hohen Berge schützt uns Teneriffa vor dem Sturm, der auf der Westseite tobt. Doch nach der Wettervorhersage soll der Sturm im Laufe des Abends abflauen, in der Nacht gut segelbar werden und am Folgetag ein schöner Segelwind übrig bleiben. Wir wollen dem Flautenbereich davon fahren, der sich in den nächsten Tagen über Teneriffa nach Süden schieben wird. Jetzt aber ist der Wind sehr variabel. Zwischen 15 kn und 35 kn ist alles dabei. Wir reffen die Genua, reffen sie wieder aus, reffen sie noch einmal und bleiben erst einmal dabei. Der Seegang hält sich schwer in Grenzen, soweit haben wir den Start gut geplant. Die Chapo schickt uns Nachrichten aus Lanzarote. Dort bläst es mit 50 kn. Die sind aber auch auf der anderen Seite der Berge, wo der Sturm direkt drauf ballert.

Zum Abendessen gibt es Schonkost. Curryhuhn mit Reis, Möhren und Erbsen. Das zahlt sich aus. Jens teilt erstmals (!) am ersten Seetag sein Essen nicht mit Neptun. Er geht wie immer früh ins Bett, dabei hat er aber seine normale Gesichtsfarbe. Schön. So war es geplant, so soll es sein.

Wir erreichen den Windschatten des Teide. Die Genua schlägt wild, es ist kein Segelwind mehr da. Die Böen erreichen nur noch 8 kn, ansonsten ist Flaute. Also wird die eiserne Genua klar gemacht, wir verbrennen die ersten kostenbaren Liter Diesel. Nach zwei Stunden ist der Wind wieder da, mit 20 kn auch in der richtigen Menge. Nur kommt er jetzt anstatt aus Nord plötzlich aus Südost. Ich ziehe die Genua auf der anderen Seite raus und stelle den Motor ab. Das geht für eine halbe Stunde gut, dann dreht der Wind langsam in Richtung Ost. Dann Nordost. Dann bläst er plötzlich mit 30 kn, die Windfahne hält den Kurs nicht mehr. Ich muss reffen. Gerade bin ich mit dem Reffen fertig, dann ist der Wind auch wieder komplett weg. ScheiXX Teide. Motor an, Genua weg.

Auf dem Handy gehen noch sporadisch Nachrichten aus Deutschland ein. Wir bekommen viele Glückwünsche und eine Warnung vor sechs Meter hohen Wellen, wenn wir den Windschatten von Teneriffa verlassen. Sechs Meter Wellen machen uns keine Angst, die kommen hier in langer Frequenz und sind gut segelbar. Noch einmal von hier aus vielen Dank und viele Grüße von der Sissi-Crew. Dann verlassen wir den Bereich des Mobilfunknetzes. Langsam sind auch alle klappernden Dosen und Teller stillgelegt, die Gläser im Regal klirren nicht mehr. Die meisten unserer Kissen sind in irgendwelchen Schränken verschwunden, wo sie für Ruhe sorgen. Immer dieses blöde Rollen unter Motor.

Dann kommt der Wind wieder, diesmal wieder aus nördlicher Richtung und mit bequem segelbaren 15 kn. Genua raus, Motor aus. Aus 15 kn werden 20 kn, dann 25 kn, dann 30 kn und zuletzt 35 kn. Mir geht die Refferei inzwischen voll auf den Keks. Ich lasse die Genua einfach ungerefft und sehe zu, wie Sissi mit knapp 9 kn als Hochgeschwindigkeits-Regattajacht durch die Wellen pflügt. Die haben keine sechs Meter, vielleicht vier. Die Windfahne ist gut justiert, diesmal wird sie mit dem Wind und den Böen fertig. Es läuft. Es läuft so richtig. Es ist ein tolles Gefühl. Wir machen jetzt richtig Strecke.

Immer wieder kommt ein Schwapp Atlantik ins Cockpit, doch die Wassertemperatur ist angenehm. Den Windgenerator muss ich abstellen, die Akkus sind so voll, dass er den überschüssigen Strom nur noch in seinem Widerstand verheizen kann. Unser Plan, der Flaute davon zu fahren, geht für den Augenblick voll auf.

Jens wacht auf, ohne dass ich ihn wecken muss. Es geht ihm gut. Wir machen das Radio an, legen Alestorm auf und drehen den Lautstärkeregler hoch. Das können sie auf Teneriffa noch hören. Danach gehe ich ins Bett, werde immer wieder durch die Gegend geschleudert und finde erst spät meinen Schlaf. Wie immer am ersten Tag. Am Morgen muss Jens wieder den Motor starten, weil der Wind kaputt ist. Später kommt er wieder. Wir segeln nun mit 3-4 kn und versuchen, aus der Flautenzone heraus zu kommen. Dieser Teil der Überfahrt war nicht so geplant.

Wir haben genug Süßwasser, also entsalzen wir das ganze Cockpit. Wir entsalzen alle Griffe, die wir mit unseren Salzhänden angefasst haben. Wir entsalzen die Treppe in den Salon. Das ist echter Luxus. Die Sonne brennt auf die Solarpaneele, also darf der Watermaker gleich wieder den Tank nachfüllen. Die Akkus bersten fast vor Strom. Auch dieser Teil des Plan läuft. Mit der Wettervorhersage gibt es nun zwei Optionen für unsere Weiterfahrt, da sich jetzt ein Flauteband von Teneriffa nach Süden schiebt.

Option 1: Wir kommen ohne viel Dieselverbrauch raus, dann fahren wir direkt durch in die Karibik.
Option 2: Wir brauchen jetzt noch zwei Tage den Motor, dann müssen wir auf den Kapverden noch einmal tanken.

1. Etmal: 121 nm
Position um 12 Uhr: N26°58′ W17°26′
Noch 700 Seemeilen bis zu den Kapverden bzw. 2500 Seemeilen bis nach Barbados.

Jetzt lege ich mich noch etwas auf die Couch, vorher esse ich ein selbst gebackenes Brot mit leckerer Leberwurst aus Bonames. Es ging uns nach dem ersten Seetag nie besser!

 
Sonnenschein über dem Atlantik

Überlebenskampf im Hexenwald von Anaga

Es gibt Tage, an denen ich etwas unnötige Anstrengung brauche. Eine masochistische Stimme in mir verlangt danach, dass mein Körper Schmerzen leidet. Muskelkater kann so schön sein. Montag ist unser Abfahrtstag, also plane ich für Sonntag einen Wandertag im Anaga Nationalpark. Es soll der Sonntag sein, denn die Busse dorthin fahren Wochentags am Vormittag nur um 05:30 ab, und so sehr möchte ich mich dann doch nicht quälen. Im Fahrplan steht, dass die Abfahrt an „Sabados“ um 07:30 ist. Immerhin zwei Stunden länger schlafen. Ich hätte mich schon lange um ein paar Spanisch Stunden bemühen sollen. Freitag Abend, vor dem Schlafengehen, schauen Jörg und ich nochmals in den Fahrplan, um eine Tour am Samstag zu planen. Andere Buslinien haben auch „Domingos“ als Tage im Fahrplan stehen. Scheiße! Sabados sind Samstage. Ich muss die Wanderung gleich morgen starten, denn Sonntags fährt dieser Bus gar nicht.

Um 06:00 klingelt mein Wecker. Ich packe eine Flasche Wasser und ein paar andere Dinge in meinen Rucksack und mache mich auf den Weg zum Intercambiador, der zentralen Busstation.

Intercamiador
Intercamiador

Brot ist leider aus. Ich kann mir ja unterwegs etwas kaufen. Denkste! Die Stadt ist zu dieser Zeit stockfinster. Keine Menschen auf der Straße und keine Geschäfte geöffnet. In der Busstation gibt es außer einem Kaffee auch nichts zum Frühstück. Dann kaufe ich mir halt in Chamorga, der Endhaltestelle, etwas. Vor dort starten viele Wanderungen, also können sich hungrige Wanderer dort sicherlich auch verpflegen.

Linie 947
Linie 947

Ich bin der einzige Fahrgast im Bus. Laut Fahrplan dauert die Fahrt ca. eine Stunde. 1,25€ finde ich dafür einen fairen Fahrpreis. Der Bus schlängelt sich durch die engen Straßen in die Berge. Die aufgehende Sonne färbt die tief hängenden Wolken rosarot. Spanische Fiesta Musik tönt aus dem Radio und der Fahrer quält den Bus mit manueller Schaltung langsam immer weiter die Berge hinauf. Nach etwa 2 Stunden werde ich dann in Chamorga abgesetzt.

Chamorga
Chamorga

Der Ort ist sehr übersichtlich. Nach 10 Minuten habe ich alles gesehen. Auch das Gebäude, das wohl irgendwann mal eine Bar oder Imbiss war. Kein Mensch weit und breit. Es bleibt mir also nichts anderes übrig, als mit leerem Magen und ohne Verpflegung loszulaufen. Ein 10 Kilometer langer Wanderweg in Richtung Küste verspricht laut Infotafel einen Supermarkt im nächsten Ort. Prima.

Igueste de San Andrés sollte mein Ziel sein.

Nebel hängt in den Bergen. Die Wälder im Anaga sind so eine Art Regenwald. Es ist auch die feuchteste Region der Insel. Die Wege sind nass und glitschig.

Nebel und sattes Grün

Legenden über Hexen, die in den Wäldern und Höhlen der Berge ihr Unwesen treiben, werden erzählt. Ich kann mir das gut vorstellen. Die Landschaft wirkt märchenhaft verwunschen.

Zauberwald
Zauberwald

Ich lasse mir Zeit und genieße die frische Luft. Schnell kann ich mich auf dem glitschigen Untergrund ohnehin nicht bewegen. Der Anstieg nach La Cumbrilla ist steil und schon bald meldet sich mein Magen. Das Thunfischsteak vom Vorabend gibt mir Kraft und der nahe Supermarkt motiviert mich. Nach etwa einer Stunde sehe ein paar kleine Steinhäuser. Ich freue mich auf ein Baguette und leckeren Serrano Schinken.

Die schwarze Katze von der Hexe
Die schwarze Katze von der Hexe

Eine schwarze Katze begrüßt mich auf dem Weg in den Ort. Ist das die Katze von einer der Hexen? Aus einem der Häuser dringt leckerer Küchengeruch und eine Frau singt bei der Arbeit. Das ist Folter! Und dass Hexen hier ihr Unheil treiben, glaube ich langsam wirklich. Sie haben nämlich den Supermarkt weggehext. Der nächste Bus fährt erst in etwa 6 Stunden. Ich muss schnell weiter, sonst lande ich am Ende selbst in einem Kochtopf.

La Cumbrilla
La Cumbrilla

Es geht steil weiter. Am Wegesrand stehen Kakteen, die reife Kaktusfeigen tragen. Wird diese Wanderung zum Überlebenskampf, könnte ich die essen, um nicht zu verhungern. Ich hab‘ die Dinger aber eigentlich lieber in Form von Tequila.

Palme
Palme

Der Weg wird immer steiler, steiniger und ist kaum noch zu erkennen. Nach ein paar Ausrutschern klettere ich auf allen Vieren weiter. Bin ich noch auf dem richtigen Weg? Eine Markierung habe ich schon seit einer Weile nicht mehr gesehen. Mir kommt das spanisch vor und ich kehre um. Nach etwa 20 Minuten finde ich die letzte Markierung. Ich hätte tatsächlich abbiegen müssen. Das Ding war aber auch schwer zu erkennen. Waren sicher die Hexen, um mich in die Falle zu locken. Zumindest wird der Weg wieder etwas leichter. In Lehm gegrabene Treppenstufen erleichtern den Aufstieg. Meine Laune bessert sich und der Hunger ist vorerst vergessen.

Vom Hunger benebelt dämlich gequältes grinsen
Vom Hunger benebelt dämlich gequältes Grinsen

Auf dem Gipfel angekommen kreuzt der Weg eine Straße. Ich könnte mich ja auch an den Straßenrand setzen und per Anhalter zurück fahren. Die Leute auf den Inseln sind normalerweise sehr nett und die Chancen, dass jemand anhält, sind groß. Die kleine masochistische Stimme meldet sich allerdings wieder und zwingt mich weiter zu laufen. Der Pfad wird wieder kleiner und führt mich durch ein Tal in den nächsten verwunschenen Wald. An einer Gabelung vermisse ich die Wegmarkierung. Links oder Rechts? Falsch! Zurück. Ich habe mich schon wieder verlaufen. Und ich habe nicht mal ein Brot, um den Weg zu markieren. Oder Schinken, oder… Schnauze Magen!

Links oder rechts?
Links oder rechts?

Der richtige Abzweig war diesmal zum Glück nicht ganz so weit weg. Die weiß-gelbe Markierung zeigt mir den Weg.

weiß-gelb zeigt mir den Kurs
Weiß-gelb zeigt mir den Kurs

Es geht immer weiter hinauf und die Vegetation wird karger. Aus Bäumen werden kleine Büsche, aus Palmen werden Kakteen. Ich erreiche den höchsten Punkt der Tour und werde mit einem atemberaubenden Ausblick auf die Küste belohnt. Das war es wert.

Die Belohnung
Die Belohnung

Unten im Tal sehe ich Igueste. Da muss ich hin. Dort fährt der Bus alle zwei Stunden und an der Küste gibt es immer Restaurants. Das Ziel ist in Sicht. Vorbei an ein paar Ziegen steige ich über den Berg und beginne mit dem Abstieg.

Määähhhh!
Määähhhh!

Ich habe es geschafft. Ich bin dem Hexenwald entkommen. Hier gibt es keinen Nebel und keine düsteren Pfade. Auf dieser Seite der Berge wachsen fast nur noch Kakteen. Jeder meiner Schritte wird von einem Rascheln im Unterholz begleitet. Tausende kleine Eidechsen flitzen durch die Gegend und verstecken sich vor meinen großen Füßen.

Sommer, Sonne, Kaktus.
Sommer, Sonne, Kaktus.

Irgendwann erreiche ich wieder eine Straße. Es sind nur noch ein paar hundert Meter bis in den Ort. Meine Schritte beschleunigen sich. Ich kann es riechen. Was zum Essen. Wieder werde ich von Katzen begrüßt. Doch diesmal sind es weiße Katzen. Sissi war eine schwarze Katze und eigentlich bringen uns schwarze Katzen immer Glück. In einem verhexten Wald gelten wohl andere Gesetze. Jedenfalls finde ich kurz hinter den Katzen eine Tapas Bar und stopfe mir den Wanst voll.

Glückskatzen
Glückskatzen

Für die 10 Kilometer habe ich etwa 5 Stunden gebraucht. Bei diesem Schnitt rechne ich mir beste Chancen aus, sollte ich mich mal bei DHL bewerben.

Prost!
Prost!

Atlantik is calling

Dieter Bohlen hat vor Jahrzehnten einen schlechten Song mit einem ähnlichen Titel geschrieben. Ich wünsche dem geneigten Leser jetzt einen miesen Ohrwurm. SOS wird bei uns niemand rufen. Wir sind unterwegs. Die Leinen sind los. Abgefahren.

Sissi ist auf Sissi unterwegs!

Am Morgen plünderten wir noch den Frischemarkt, dann fielen wir in den Supermarkt ein. Alles abgrasen wie ein Schwarm Heuschrecken. Kühlschrank und Bunker sind bis zum Bersten gefüllt. Gestern verlängerte sich unsere Einkaufsliste Stunde um Stunde. Was wir heute vergessen haben, werden wir nicht mehr bekommen.

Die Marina ist bezahlt. Wir haben ausklariert. Wir haben uns von den Freunden der Roede Orm und der Grace verabschiedet, die in ein paar Tagen oder Wochen ebenfalls starten wollen.

Die komplette Crew der Roede Orm kommt zum Abschied und trötet (Foto: Stefan)

Der Wind kracht richtig. Der durchschnittliche Wind liegt bei 18 kn, es fallen immer wieder Böen ein mit 35 kn. Anspruchsvoller Ableger. Santa Cruz zeigt sich im schönsten Sonnenlicht.

Adios Santa Cruz

Atlantik is calling… lalala… wir sind unterwegs… lalala… Wir sind aufgeregt, gespannt, erwartungfroh und glücklich. End of transmission.