Zick und Zack und Zick und Zack

Tag 8

Die Frustration des gestrigen Tages ist einer gewissen Euphorie gewichen. Wir können es machen und wir werden es machen. Unser ursprünglicher Plan, in den Bereich hinein zu fahren, von dem aus wir mit dem Motor an unser Ziel fahren können, wurde durch die Atlantikwellen pulverisiert. Wir können allenfalls die letzten Meilen motoren, die Wellen sind zu groß und die Gegenströmung zu stark.

Doch nun nutzen wir die Mittel, die wir haben, auf wesentlich effizientere Weise. Wir lesen die Wetterkarte genauer und nutzen die Winddreher zu unseren Gunsten. Das bringt uns voran. Nicht so schnell, wie wir erwartet hätten, doch wesentlich schneller, als wenn wir mit dem Motor fahren würden.

Zuerst fahren wir sechs Stunden nach Norden, der Wind verwehrt uns einen direkten Kurs auf Aruba. Kurz vor dem Abendessen kommt dann der erwartete Winddreher. Er ermöglicht uns für die kommenden zwölf Stunden einen direkten Kurs auf unser Ziel. Wenn der Wind wieder zurück dreht, nehmen wir wieder Kurs nach Nord. Und so weiter… Eigentlich wollten wir heute schon angekommen sein, das war Wunschdenken von uns. Wir haben die Gegenströmung komplett unterschätzt. Jetzt haben wir gelernt, damit umzugehen.

Während meiner abendlichen Wache schaue ich zwei Filme, diesmal bleiben wir von Unwettern verschont. Ein merkwürdiges Geräusch lenkt mich vom Kino ab, neben mir zappelt im Cockpit ein fliegender Fisch. Den verfrachte ich so schnell wie möglich in sein eigentliches Element zurück, da kann er zappeln so viel er will.

Um halb zwei lenkt mich ein flackerndes Licht von meinem dritten Film ab. Der Dimmer im Salon hat das viele Salzwasser nicht vertragen. Obwohl die Lampe ausgeschaltet ist, flackert sie munter vor sich hin. Ich hole das Werkzeug und baue den Dimmer aus. Das Wasser hat furchtbar gewütet. Der Dimmer wird mit Süßwasser gereinigt und trockengelegt.

Der morgendliche Winddreher kommt zwei Stunden früher als erwartet. Jens fährt eine Wende, ich werde in der Koje herumgeworfen. Wir machen wieder Strecke nach Norden, das verbessert den Winkel nach Aruba. Vorgestern hatten wir noch einen Winkel von 120°, jetzt sind wir bei einem Winkel von 135°. Wenn wir bei 150° angekommen sind, können wir es direkt segeln. Dann sind wir auch weitestgehend unabhängig von den Winddrehern. Der einzige Wermutstropfen ist, dass wir immer noch knapp 150 Meilen Luftlinie zurücklegen müssen. Unser Etmal sind 83 Meilen.

Frustrierend

Tag 7

Wir versuchen alles, um unsere Geschwindigkeit zu verbessern. Es ist eine Krux. Entweder fahren wir den perfekten Kurs, dann sind wir aber langsamer als ein DHL-Paket. Oder wir fahren eine akzeptable Geschwindigkeit, dann nähern wir uns Aruba nicht mehr so richtig. Die Kompromisslösung ist also ein ungünstiger Kurs mit langsamer Geschwindigkeit. Unsere Zukunftspläne für die Zeit nach Aruba beinhalten eigentlich einen weiteren langen Schlag gegen den Passat. Das müssen wir noch einmal überdenken. Das Überdenken wäre viel leichter, falls Jamaika endlich die Grenzen öffnet. Das werden wir in diesem Frühjahr aber wohl nicht mehr erleben.

Ein Regenschauer dreht den Wind noch einmal 40° zu unseren Ungunsten. Nach eineinhalb Stunden ist er vorbei, wir sind wieder auf dem Kompromisskurs.

Jens entdeckt verloren geglaubte Fertigkeiten wieder. Seit wir in Lagos (Portugal) losgefahren sind, haben wir uns nie wieder Gedanken über das Trimmen unserer Segel machen müssen. Der Wind kam immer von hinten und in ausreichender Stärke. Jetzt kommt er von vorne und ist mal stärker und mal schwächer. Jens setzt das Groß ordentlich durch, es steht nun faltenfrei im richtigen Winkel zu unserer Genua.

Aus dem Kompromisskurs wird fast der perfekte Kurs, wir hätten uns früher mit der Thematik auseinandersetzen sollen. Doch wer wird schon über verschüttete Milch lamentieren, es ist wie es ist. Mit dem neuen Kurs und der neuen Geschwindigkeit können wir damit rechnen, am Dienstag in Aruba zu sein.

Alles ist wie immer. Die Bordroutine hat sich eingestellt. Jens geht nach dem Abendessen ins Bett, ich habe die erste Wache. Die Windvorhersage verspricht uns für die nächsten Stunden einen Winddreher zu unseren Gunsten, der kombiniert ist mit etwas mehr Windstärke. Jens meint noch, ich hätte den ganzen Spaß, denn für seine Wache ist weniger Wind vorhergesagt und der Wind wird wieder zu unseren Ungunsten drehen.

So sitze ich im Cockpit und lese ein Buch, als aus heiterem Himmel der Wind von 20 kn auf 40 kn auffrischt. Gleichzeitig setzt heftiger Regen ein. Ein Squall wie aus dem Bilderbuch. Ich feuere das Radar an und überlege, die Segel zu reffen. Die Aufwärmphase des Radars sind 90 Sekunden, in dieser Zeit wurde mir schon klar, dass wir sicher unterwegs sind. Unsere gut getrimmte Besegelung und Sissi stecken das locker weg. Der Windpilot steckt es ebenfalls weg und hält das Boot sicher auf Kurs. Ich bin pitschnass im Cockpit. Nach einer Viertelstunde ist der Spuk vorbei und alles normalisiert sich.

Eine gute Stunde später kommt der nächste Squall. Diesmal läuft das Radar, ich hätte ihn vorher sehen müssen. Ich sah ihn aber nicht, der Regen setzt erst später ein. Dann aber heftig, wie ich es aus Aruba kenne. Auch diesmal geht es auf 40 kn Wind hoch, ich sehe den Regen auf die Solarzellen prasseln. So viel Spaß wollte ich in der Nacht nicht haben.

Aus heiterem Himmel tut es einen heftigen Schlag, eine Welle trifft Sissi im achteren Bereich. 12 Tonnen Segelboot werden in Bruchteilen von Sekunden zur Seite geschleudert. Mein Kopf schlägt gegen das Cockpitdach. Das gibt eine Beule. Jens ruft aus der Achterkoje, dass Wasser durch das Seitenfenster eingedrungen ist. Zum Glück ist das Seitenfenster noch an Ort und Stelle. Die Regeln des Atlantik sind hart.

Nach genauer Prüfung der Wettervorhersage sollte der Spaß um ein Uhr früh vorbei sein. Um drei Uhr wird Jens mich ablösen. So bleibt der ganze Spaß bei mir. Danke. Jens zieht derweil ein frisches, trockenes Bettlaken auf sein Bett. Man gönnt sich ja sonst nichts.

Am Morgen weckt mich ein Knall. Kurz darauf höre ich, dass der elektrische Autopilot seine Arbeit aufgenommen hat. Ich krieche aus dem Bett. Jens unterrichtet mich, eines der Steuerseile unseres Windpiloten ist mitsamt seinem Umlenkblock abgerissen. Mal wieder eine Reparatur am Morgen. Es ist frustrierend. Wir nähern uns Aruba nur zentimeterweise und jeder dieser kleinen Defekte wirft uns wieder meterweit zurück. Siebtes Etmal 71 Meilen. Noch 150 Meilen Luftlinie nach Aruba.

Schneckenrennen

Tag 5

Ein gebrauchter Tag. Jedenfalls für mich. Nach der Reparatur des Ruders will ich mir endlich ein paar Frühstücksbrote schmieren. Ich bin nicht nur nass geschwitzt, ich habe auch einen riesigen Kohldampf. Wir haben von dem Winddreher bisher nicht viel mitgenommen, weil wir während der Reparatur ein paar Meilen nach Westen abgetrieben sind. Ärgerlich.

Ich stehe an der Anrichte und schneide mir gerade meine Brote ab, als eine Welle quer kommt und Sissi gehörig beutelt. Dabei knicke ich mit dem Fuß um, Brote, Brotmesser und ich fliegen durch den Salon. Jetzt hat mein linkes Fußgelenk Fußballgröße, die Tendenz geht zum Basketball. Oder so ähnlich. Wenigstens muss ich in den nächsten Tagen nicht viel durch die Gegend laufen. Die Wanderwege auf Sissi sind sehr begrenzt.

Seit ein paar Stunden machen wir nun wieder Strecke nach Osten, der Download einer neuen Wettervorhersage verspricht uns das Zurückdrehen des Windes für ca. 20 Uhr. Dann gehen wir wieder auf Kurs Aruba. Im Großsegel ist jetzt das zweite Reff eingebunden, wir haben uns endlich zu dieser Arbeit aufraffen können. Sissi läuft jetzt viel besser geradeaus. Wir werden davon in den kommenden Tagen profitieren.

Wir haben noch ein paar Dosen Haggis an Bord und machen einen schottischen Abend. Jens steht am Herd, ich kann nicht richtig stehen mit dem kaputten Fuß. Zum Haggis gibt es Püree aus Süßkartoffeln und zermatschte Erbsen mit ein wenig Minze. Aussehen tut es definitiv authentisch, die Süßkartoffeln geben dem Gericht einen karibischen Einschlag. Nach dem Abendessen fahren wir wieder eine Wende und haben wieder Kurs Richtung Aruba. Der Wind dreht ein paar Grad zurück zu unseren Gunsten. Unser fünftes Etmal liegt bei 70 Meilen.

Tag 6

Meile für Meile machen wir Fortschritte auf unserem Weg. Auf dem Navigationscomputer sieht es zwar so aus, als kämen wir nicht voran, doch das ist falsch. Auch mit drei Knoten Geschwindigkeit sind es noch 72 Meilen am Tag. Und wir müssen nur noch zwei Tage segeln, dann sind wir in Motorreichweite. Dann müssen wir uns entscheiden. Nehmen wir den Motor, um die letzten Meilen zu mogeln und kommen am Montag an oder machen wir noch einmal eine Wende, fahren wieder von Aruba weg und kommen am Dienstag an. So oder so, das Ende der Reise ist absehbar.

Ausnahmsweise ist in der Nacht nichts kaputt gegangen. Wir können also das tun, was wir sonst jeden Tag tun. Herumsitzen und dösen. Außerdem brauchen wir wieder ein frisches Brot und das Abendessen will geplant sein – ein Vorgang, der inzwischen einigermaßen viel Kreativität benötigt. An frischen Lebensmitteln haben wir noch eine Süßkartoffel und ein paar Knoblauchzehen. Der Rest sind Konserven und Nudeln. Bislang hat es uns aber immer geschmeckt.

Auf mein Frühstückbrot kommt heute Wurst aus der letzten Dose mit der Aufschrift „Hausmacher Presskopf“ von der Metzgerei Haase in Bonames. Das Mindesthaltbarkeitsdatum ist der 20. März 2020. Gleich nach dem Öffnen strömt leckerer und appetitlicher Geruch durch das Boot. Unsere Konserven aus Bonames sind zwar allesamt abgelaufen, manche schon über ein Jahr, es ist jedoch nur eine einzige davon kaputt gegangen. Das Datum auf den Dosen ist viel zu konservativ gewählt, sie halten alle viel, viel länger.

Eine Bevorratung mit frischen Lebensmitteln in Kuba ist vollkommen unmöglich. Wie sollen wir frische Lebensmittel einkaufen, wenn schon für die Kubaner nicht genug zu essen da ist? Die wissen wenigstens, wo man sich in der Schlange anstellen muss. Ich bearbeite noch ein paar Bilder aus Havanna. Drei Dutzend habe ich schon vorbereitet, ein weiteres Dutzend wird wohl noch dazu kommen. Aus Santiago habe ich eine Nachricht an Juliette in Aruba geschickt und sie gebeten, meine SIM-Karte aufzuladen. Damit können wir in Aruba sofort online gehen, auch wenn wir erst noch Quarantäne haben und ankern müssen, bis das Ergebnis des Covid-Tests da ist.

Zum Abendessen mache ich uns Nudeln mit Tomatensauce nach mediterraner Art mit Sardinen und Oliven. Es ist sehr lecker. Die Nacht ist ruhig, wir können beide gut schlafen. Leider bringt der nächste Morgen das ernüchternde Ergebnis, dass wir viel zu langsam sind. Es sind immer noch 200 Meilen nach Aruba. Es wäre genug Wind da, um schnell zu segeln, doch die Wellen machen uns einen Strich durch die Rechnung. Mit diesem Tempo werden wir erst am Mittwoch ankommen. Mini-Etmal von 57 Meilen.