Atlantik Tag 3 – Iridium-Lotterie und Schwachwindsegeln bis zum großen Knall

Mehrmals am Tag spielen wir Iridium-Lotto. Wir haben ein IridiumGO! Satellitentelefon und dieses läuft mit einem Telefonvertrag, der derzeit auf eine Daten-Flatrate gestellt ist. Also können wir so oft und so viel über das Telefon Emails senden, auch das eine oder andere Bild bei den Blogbeiträgen ist möglich. Die werden allerdings bis zur Unkenntlichkeit verstümmelt, wenn ich der Pixelsammlung im Gesendet-Ordner glauben darf. Ich habe die Einstellungen geändert, dann werden die Bilder hoffentlich nicht mehr so verstümmelt. Mal sehen. Andere Segler haben uns erzählt, sie hätten für ihr Iridium-Telefon 600 Prepaid-Freiminuten gekauft, also 10 Stunden. Damit kommt man keinesfalls über den Atlantik. Damit kommt man nicht einmal bis zu den Kapverden, selbst wenn man nur das Wetter abruft.

Das Telefon zeigt die Signalstärke mit 0 bis 5 Balken an. Nur bei 4 oder 5 Balken kann man überhaupt Daten übertragen. Also fangen wir morgens an, die neue Wettervorhersage runterzuladen. Die Übertragung bricht regelmäßig zusammen und will dann wieder manuell von vorne gestartet werden. Manchmal steht fünf Minuten lang die Signalstärke fünf da, die Download-Versuche brechen trotzdem ab. Nach vielleicht 10 oder 15 Versuchen (wenn es gut läuft) ziehen wir den Hauptgewinn in der Iridium-Lotterie und haben eine neue Wettervorhersage.

Anschließend übertragen wir die Mails. Im Gegensatz zum Wetterprogramm versucht sich das Mailprogramm immer wieder an der Datenübertragung. Wir haben 99 Versuche eingestellt. Meist ist so eine Mail wie dieser Blogbeitrag mit einem kleinen Bild nach 50 bis 60 Versuchen übertragen. Prepaid-Minuten würden einfach durch den Weltraum rauschen. Ich bin froh, auf den Telefonfritzen gehört zu haben und die Flatrate zu besitzen. In der Karibik werden wir dieses Feature wieder ausschalten, wenn wir von Wlan-Hotspot zu Wlan-Hotspot segeln.

Gegen 14 Uhr ist dann der Wind wieder da. Zuerst zaghaft, wir sehen ein paar Knoten mehr Wind auf dem Windinstrument. Dann etwas kräftiger, wir holen die Genua raus. Der Motor läuft noch mit, die zusätzliche Genua bringt einen halben Knoten mehr Speed. Dann können wir die Drehzahl des Motors reduzieren, er unterstützt die Genua nur noch ein wenig, damit sie im rolligen Wasser nicht so knallt. Um 15 Uhr stellen wir ihn endlich ab. Die Situation stabilisiert sich, so dass wir um 16 Uhr auf Parasailor umbauen.

Anschließend gibt es Abendessen. Verschiedene Gemüse, die sonst bald umkommen würden, in einem Nudelauflauf mit Käse überbacken. Ich liebe unseren Ofen, insbesondere die Gratinierfunktion. Die Franzosen wissen, wie man Küchengeräte baut. Ja, es geht schon nach zwei Tagen das erste Gemüse kaputt. Wir sehen jetzt regelmäßig danach und werden es nach Verderblichkeit verarbeiten.

Der Parasailor zieht uns nun in die Nacht. Aus den acht bis zehn Knoten Wind holen wir immerhin fünf bis sechs Knoten Geschwindigkeit. Viel besser aber ist, dass dieses Segel komplett die Rollbewegungen von Sissi wegdämpft. Wir kommen uns vor, als würden wir am Steg liegen. In mancher Marina haben wir unruhiger gelegen. Zugegebenermaßen hat sich der Atlantik insgesamt auch sehr beruhigt. Mit dem Sternenhimmel ist heute nicht viel her, der Himmel ist ziemlich bewölkt.

Als ich ins Bett gehe, frischt der Wind ein wenig auf. Ich justiere die Windfahne nach, wir galoppieren nun mit sieben Knoten über die Wellen. Sissi fährt ruhig, liegt weiterhin im Wasser wie am Steg. Ich kuschele mich in die Decke und finde schnell meinen Schlaf. Dann finde ich mich neben der Matratze wieder. Eine Windböe hat Sissi anlufen lassen, wir haben mehr Schräglage. Schön, denke ich, wir haben noch mehr Wind bekommen, und drehe mich auf die andere Seite. Zweimal werde ich noch von der Matratze gekegelt, dann höre ich plötzlich einen gellenden Ruf: „Jööööööörg!!!!“

Jens ruft mich, der Parasailor liegt neben Sissi im Wasser. Das Spifall ist gebrochen. Wir brauchen eine Dreiviertelstunde, um das nasse Tuch zu bergen und Sissi wieder auf Genuabetrieb umzubauen. Danach brauche ich ein Bier, ich muss das Adrenalin loswerden. So kann ich nicht mehr ins Bett.

Was haben wir für Optionen? Die haben sich nicht geändert. Sissi ist genau so seetüchtig wie vorher. Nur langsamer. Wir können zu den Kapverden fahren, dort gibt es aber keine Werft, die uns ein neues Spifall einziehen könnte. Wir könnten es selbst einziehen, aber auf den Kapverden ist laut Hafenhandbuch die Versorgungssituation nicht gut. Wahrscheinlich haben sie dort die nötigen Seile nicht vorrätig. Das nächste Spifall gibt es wohl erst in der Karibik. Abwarten, was der Atlantik uns noch zu bieten hat.

Am nächsten Vormittag überholt uns die SY Toboggan (MMSI 316038262) aus Kanada. Wir haben einen kurzen Schwatz über Funk. Die Kanadier sind auf dem Weg zu den Kapverden und werden Tage vor uns dort ankommen. Außerdem haben sie am Vormittag einen Mahi Mahi geangelt. Dafür haben wir noch leckere Steaks im Kühlschrank.

3. Etmal: 97 nm
Position um 12 Uhr: N23°54′ W18°49′
Noch 471 Seemeilen bis zu den Kapverden bzw. 2404 Seemeilen bis nach Barbados. Die gesamte zurückgelegte Strecke sind nun 332 Meilen.

Ich hätte nie gedacht, dass Iridium so scheiXXe ist. Für die nächste Welttournee kaufe ich Internett beim Herrn Musk.

Der Parasailor ist traurig

Atlantik Tag 2 – Schwachwind, schwächer, Flautenschieber

Am frühen Nachmittag beginnt die Genua zu schlagen. Der Wind reicht nicht mehr, um sie im Atlantikschwell ordentlich stehen zu lassen. Knatter, knatter, rrrrummms. Knatter, knatter, rrrrummms. Sissi erzittert unter den Schlägen. Bei 30 Knoten Wind lässt es sich besser segeln, als bei 13 Knoten. Wir überlegen uns Maßnahmen. Eine Maßnahme wäre der Motor. Eine andere Maßnahme der Parasailor. Nach nur einer Stunde Arbeit auf dem Vordeck und in den Katakomben des Schiffs ist das große Tuch klar zum Setzen.

Denkste! Beim Hochziehen des Trichters erweisen sich die Backbordschoten und die Steuerbordschoten als überkreuzt. So wird das nichts. Also nochmal runter mit dem Trichter, die Schoten entkreuzen und wieder rauf. Prima. Diesmal haben wir nur zwei Versuche gebraucht. Wir segeln ein paar Stunden weiter mit dem Parasailor, dann fällt er ins Wasser. Es ist einfach kein Wind mehr da.

Also runter mit dem großen Tuch. Die Schoten wieder umbauen auf Genuabetrieb. Den Motor anwerfen und weiter. Hoffentlich kommen wir rechtzeitig in die Passatzone, so dass wir nicht auf den Kapverden tanken müssen.

Ich belohne mich für die schweißtreibende Arbeit mit einer Dusche. Wir sind doch so weit südlich, da muss das Wasser aus dem Tank doch warm sein. Denkste! Brrrr… fühlt sich aber saugut an. Und natürlich frische Klamotten, in denen kein Salz klebt. Und wie es sich gehört auf einem Segelboot – es duschen alle oder keiner. Die kleinen Freuden des Alltags.

Zum Abendessen gibt es Schweinekotletts mit kanarischen Kartoffeln, kanarischen Paprika und Mojosauce. Davor eine Hummersuppe, man gönnt sich ja sonst nichts. Jens verkriecht sich in seine Koje, ich habe wie immer die erste Wache.

Es passiert hier nichts. Absolut gar nichts. Seit 20 Stunden sind weder andere Schiffe zu sehen, noch sieht man welche auf dem AIS. Außerdem herrscht Funkstille. Der Himmel ist sternenklar. Ich verstoße mal wieder gegen alle guten Regeln der Seefahrt und schalte die gesamte Beleuchtung aus. Dazu werfe ich Konzert Nr. 1 für Klavier und Orchester von Tschaikovski auf den Plattenspieler und stelle die Musik etwas lauter. Das ist schön. Untendrunter prügelt uns der Diesel durch die Flaute. Ich versuche, das zu vergessen. Die Musik tritt in den Vordergrund, die Sterne leuchten.

Als Jens die Wache übernimmt, brummt der Diesel immer noch. Auch bei meinem Aufwachen am Morgen. Im Laufe des Vormittags kommt langsam etwas Wind auf. Noch nicht segelbar, aber aus der richtigen Richtung. Noch unter 10 Knoten, aber ständig stärker werdend. Jens hat die ganze Nacht die Schiffsposition und die Wetterdaten miteinander verglichen und meint, wir hätten gegen Mittag wieder Segelwind.

Es ist Mittag in Deutschland. Wir haben keinen Segelwind. Es ist Mittag auf den Kanaren. Wir haben immer noch keinen Segelwind. Nun ist es Mittag bei uns auf der Sissi (Kapverden-Zeit, zwei Stunden hinter Deutschland). Der Motor brummt.

2. Etmal: 114 nm
Position um 12 Uhr: N25°16′ W18°04′
Noch 570 Seemeilen bis zu den Kapverden bzw. 2450 Seemeilen bis nach Barbados. Die gesamte zurückgelegte Strecke sind nun 235 Meilen.

Bald wird es irgendwo Mittag sein, und wir können segeln. Ich bin zuversichtlich.

Der Parasailor ist gesetzt

Fundgrube Internet

Irgendwo in den Tiefen des Internet habe ich einen Text zur Optimierung der Windfahnensteuerung bei schwachem Wind gelesen. Ich kann mich nicht mehr erinnern, wo das war. Deswegen möchte ich für dieses Patent kein Copyright anmelden, möchte aber die Nachahmung empfehlen.

Wir haben gerade schwachen Wind ohne Ende, der uns mit sieben bis neun Knoten um die Ohren pfeift. Das reicht gerade noch aus, um mit dem Parasailor drei bis vier Knoten Speed zu machen. Bei diesem geringen Wind tut sich die Windfahne schwer, schnell auf Drehungen des Schiffs anzusprechen. Mit der kleinen Plastiktüte hat sich das Ansprechverhalten wesentlich verbessert.

Was uns jetzt nur noch fehlt, sind ein paar Knoten mehr schwacher Wind.