Wehmut

Heute ist vermutlich der vorerst letzte Tag, an dem ich meine Eselskarre zur Verfügung habe. Deswegen fahre ich zum Geschäft für Bootszubehör und informiere mich über das vorhandene Antifouling. Das ist die Farbe, mit der Boote von unten gestrichen wird, damit kein Bewuchs auftritt. Diese Aufgabe steht Jens und mir nächsten Monat noch bevor, denn der letzte Anstrich war vor zwei Jahren. Es sieht von unten nicht mehr schön aus. Ich muss die Farbe nicht sofort kaufen, die ist immer vorrätig. Ich kann abwarten, ob einfaches Überstreichen oder eine komplette Erneuerung mitsamt Grundierung notwendig sein wird.

Meine Zeit auf Aruba geht absehbar dem Ende zu. Damit auch die Zeit im Donkey Sanctuary. Am vergangenen Wochenende war ich zum letzten Mal als Urlaubsvertretung im Einsatz.

Morgenstunde

Die Morgenstunde hat ihren ganz eigenen Zauber. Vor der morgendlichen Fütterung ist es ganz still. Nur die Pfaue machen ihre eigenartigen Geräusche. Ich bin etwas zu früh dran und warte mit dem Start der Fütterung auf Paul. Paul will mich am Morgen unterstützen, weil er bislang immer nur am Nachmittag im Einsatz war. Die Fütterung am Morgen unterscheidet sich in Nuancen von der am Nachmittag. Zusätzlich zum Heu gibt es noch die bei den Eseln so beliebten Pellets.

Die Uhr tickt. Je näher die magische Zeit 9 Uhr kommt, desto unruhiger werden die Esel. Warum fängt dieser Mensch nicht endlich mit der Fütterung an?

Wasserhäuschen

Mir fällt auf, dass einige Esel unmotiviert um das Wasserhäuschen herumstehen. Der Frankfurt assoziiert wahrscheinlich jedes Getränk außer Wasser mit dem Begriff, hier ist er aber wörtlich zu nehmen. Der Trinkbrunnen ist komplett trocken, als hätten die Esel ihn ausgeleckt. Haben sie wahrscheinlich auch. Ich öffne den Wasserhahn und obwohl die Esel das spritzende Wasser überhaupt nicht mögen, fangen die ersten an zu trinken.

Prost!

Paul ist pünktlich und wir starten die Vorbereitungen. Wie immer wird der Vorgang von den drei- bis vierbeinigen Protagonisten mit Lauten untermalt. Zum normalen Blöken kommt ein Knurren, wie man es sich bei hungrigen Hunden vorstellen könnte. Wir füllen Proteinwürfel in Eimer und weichen diese in Wasser ein. Das ist das Futter für die zahnlosen, alten oder mageren Esel, die zusammen das Altersheim bewohnen. Dazu kommen am Morgen noch die Pellets. In dem Augenblick, in dem ich die Tonne mit den Pellets öffne, ist die Unruhe unter den Eseln am größten, ihr Lärm am lautesten. Ich liebe es, die Pellets vor ihren Augen in die Eimer rieseln zu lassen. Anschließend bekommen die inzwischen randalierenden Zuschauer ihre eigenen Pellets. In Sekundenschnelle kehrt Ruhe ein, immer nur kurz unterbrochen von knurrenden Geräuschen und dem dumpfen Einschlag von Hufen in den Bauch des fressenden Nachbarn. Anschließend holen wir das Heu.

Mittagsruhe

Es kommen über den Vormittag nur wenige Besucher. Die Insel ist ganz und gar nicht ausgelastet. Das merkt das Donkey Sanctuary natürlich auch. Paul und ich unterhalten uns. Die Besucher können sich der ungeteilten Aufmerksamkeit der immer hungrigen Langohren sicher sein. Ich bin immer etwas traurig, wenn die Besucher wieder gehen, ohne vorher die Esel gefüttert zu haben. Damit haben sie das Beste verpasst.

Ninja und der Hufschmied

Ninja bekommt Besuch vom Hufschmied. Dafür habe ich ihn am Vorabend schon von seiner Gruppe getrennt. Der Schmied muss alle vier Hufe bearbeiten. Das mag Ninja überhaupt nicht. Er kickt sogar in meine Richtung, als ich ihm das Halfter anlege, streift mich jedoch nur. Ich bin nicht so blöd, direkt hinter dem Esel zu stehen. Dann gebe ich ihm noch ein Stück Karotte, was die Esel draußen unglaublich eifersüchtig macht. Esel sind in etwa so neugierig wie die Nachbarn in einer Reihenhaussiedlung. Mit Ninja tauschen würden sie sicher nicht wollen, die Karotte würden sie aber niemals ablehnen.

Pediküre

Das alles wird mir fehlen, wenn Jens und ich Sissi in Richtung unseres nächsten Ziels steuern bzw. die Windfahne bei dieser Tätigkeit überwachen. Die Esel, die Katzen, die Menschen und dieser unglaublich entspannende Ort. Ohne das alles hätte ich die vergangenen Monate wahrscheinlich nur mit einem Dachschaden überlebt. Mit Hilfe der Esel konnte ich mir meine geistige Gesundheit erhalten. Im Souvenirshop gibt es übrigens Kacheln zu kaufen, auf denen die Worte „My therapist eats hay“ zu lesen sind. Mein Therapeut isst Heu.

Die Geschichte der Esel auf Aruba kenne ich inzwischen in- und auswendig. Nicht alle Besucher wollen sie hören. Wenn ich sie komplett erzählen darf, kann ich anschließend meist auch höherpreisige Souvenirs verkaufen, etwa die Delfter Kacheln.

Wahrscheinlich kann ich diese Geschichte in 20 Jahren noch erzählen. Faszinierend ist die Aufmerksamkeitsspanne, die sich bei US-Amerikanern und Europäern stark unterscheidet. Für die Amerikaner breche ich die Geschichte in kleinere, leichter verdauliche Häppchen auf. Die brauchen immer ein paar Minuten, bis ich dann weitermachen kann. Neulich war ein Franzose zu Besuch, ich war entsetzt wie eingerostet mein Französisch inzwischen ist. Es hat aber funktioniert, mit Französisch und Deutsch für den Besucher aus Straßburg.

Spezialisten in Sachen Entspannung und immer streichelbar

Es wird wohl eine Weile dauern, bis der Geruch von Esel aus dem Boot verschwunden sein wird. Ein Besucher meinte neulich zu mir, dass es bei mir nach Esel riecht. Das finde ich gar nicht schlimm. Ich kann Esel nicht mehr riechen. Für mich riechen sie neutral. Mal abwarten, was Jens dazu sagen wird.

Wenn ich die Zahl der Beiträge betrachte, die ich in den letzten Tagen geschrieben habe, merke ich, dass ich nicht mehr ausgelastet bin. Mit etwas Glück glaubt Desiree noch ein paar Wochen lang, dass der Chinese ihr helfen möchte. Dann kann ich das Auto vielleicht behalten. Dann muss ich nämlich täglich ins Donkey Sanctuary und Software, Firmware oder irgendwelche Stellungen von winzigen Potentiometern verstellen. Herrlich aussichtslos.

Mein Name ist Fire Ball

Eigentlich wollte ich nur kurz im Donkey Sanctuary vorbeischauen, weil Desiree ein Problem mit ihrem Computer und einer Laser-Graviermaschine aus China hat. Über diese Maschine werde ich demnächst auch noch ein paar Worte fallen lassen.

Seit ein paar Wochen versuchen wir dieses Gerät in Betrieb zu nehmen. Vergebens. Es ist ein Hardwaredefekt, der Hersteller meint jedoch, es läge an der Software. Die Maschine hat drei Schrittmotoren. Einer davon ist defekt, zwei funktionieren hervorragend. Wenn ich einen der funktionierenden Motoren gegen den defekten Motor tausche, wandert der Defekt mit.

Meine Vermutung ist, dass Desiree mit einem chinesischen Kundenvertröstungs-WhatsApp-Account chattet. Von dort bekomme ich jeden Tag vollkommen aussichtslose Anweisungen, die ich ausführe, die aber wirkungslos bleiben. Doch zum Thema. Wir haben einen neuen Esel.

Fire Ball. Ankunft im Donkey Sanctuary am 12. Oktober 2020

Desiree erhielt gestern früh einen Anruf, dass ein Esel in der Nähe einer vielbefahrenen Straße sei. Mit Hilfe der Feuerwehr und der Polizei von gelang es, den Esel einzufangen. Vorschläge für den Namen waren somit Sheriff und Fire Ball, eine Umfrage unter drei zufällig anwesenden Volunteers ergab dann Fire Ball als Namen. Eine solche Gelegenheit ist natürlich toll.

Bis der neue Esel kastriert ist, muss er in seinem kleinen Stall alleine ausharren. Deswegen kommt der Kontakt zu den anderen Eseln nicht zu kurz. Die sind nämlich ziemlich neugierig, wer da angekommen ist. Eine lange Prozession von Eseln führt am Stall vorbei.

Man beschnuppert sich.

Die neue Situation ist für Fire Ball noch ziemlich ungemütlich. Nach einem Leben in Freiheit ist er plötzlich ein einem winzigen Stall untergebracht. Auch wenn er eine riesige Menge Heu zur Verfügung hat, er knabbert immer nur ein paar Halme. Als wäre es ein Verbrechen, ein Esel zu sein. Dabei war es nur zu seinem Schutz. Es wird ihm sicher besser gehen, wenn er gemeinsam mit den anderen Eseln über das ganze Gelände toben kann.

Immerhin gibt es genug Nachbarn, die man kennenlernen kann. Und alle stecken ihre Nase rein, um den Neuen zu beschnuppern.

Es scheint allerdings, dass Fire Ball schon einen alten Bekannten getroffen hat. Vielleicht haben die beiden früher den einen oder anderen Streit ausgefochten. Vielleicht sind sie Geschwister. Der letzte Neuzugang vor Fire Ball war Kamino im August 2019. Damals ist der Aufenthalt an der Straße nicht so glimpflich abgegangen.

Anneke hat mir erzählt, dass Fireball sofort zu Kamino gelaufen ist, als sie ihn abgeladen haben. Die beiden haben sich auch einiges zu erzählen.

Überhaupt ist es an diesem Morgen sehr laut im Donkey Sanctuary. Jeder Esel der stolz auf seine Identität als Esel ist, beteiligt sich an dieser Unterhaltung.

Kacheln

Den letzten Beitrag über Kacheln habe ich in Portugal geschrieben. Dort gibt es viele gekachelte Hausfassaden, oftmals kleine Kunstwerke. Im Inneren des Besucherzentrums im Donkey Sanctuary ist eine Wand mit Kacheln bedeckt.

Kacheln. Gespendet zum Wohle der Esel.

Es sind Kacheln aus Delft in den Niederlanden. In den vergangenen Jahren wurden sie für 60 US$ pro Stück an die Besucher verkauft. Für die letzte Lieferung hat sich der Hersteller jedoch so viel Zeit gelassen, dass die Spender ärgerlich wurden. Auch Desiree hat sich geärgert – und zwar zweimal. Das zweite Mal bei der Lieferung, denn es hat sich herausgestellt, dass 60 Kacheln fehlen, um das Muster zu vervollständigen. Oder besser gesagt, der Hersteller ist dem Muster nicht gefolgt. Auf jeden Fall versuchen wir nun händeringend, diese 60 Kacheln an die Besucher zu bringen.

Inzwischen kann ich das auch ganz gut. Wenn ich einen Besucher am Haken habe, kann ich in vielen Fällen eine Kachel verkaufen. Das Problem an der Sache ist, dass nicht genug Besucher kommen. Gestern kam mir dann eine Idee:

Hier fehlt noch etwas…

Liebe Leserin, lieber Leser, wenn du eine Kachel haben möchtest, ist das kein Problem. Die 60 US$ entsprechen etwa 50 €. Ich kann das gerne vermitteln, es sind noch 30 Kacheln übrig. Die Produktion kann nämlich erst starten, wenn alle Kacheln verkauft sind.