Und schon wieder ist eine Woche vergangen. Wir haben die Insel gewechselt und sind auf Teneriffa. Dort liegen wir in der Hauptstadt Santa Cruz – nicht ohne Grund. Hier kann ich ein letztes Mal vor der Karibik ein paar Straßenbahnbilder aufnehmen, die Versorgungslage ist gut und wir können ausklarieren, uns also Ausreisestempel in die Pässe machen lassen. Der dritte Advent wird auch der letzte Sonntag sein, den wir in diesem Jahr an Land verbringen. Morgen wollen wir in die Karibik starten.
In Santa Cruz hat man für die Weihnachtsdekoration in die Vollen gegriffen. Die paar Lämpchen, die wir in Playa Blanca auf Lanzarote aufnehmen können, sind nur eine Kleinigkeit gegenüber der Deko hier.
Auf Teneriffa gibt es echte Bäume, also mussten die Stadtmütter und -Väter keine künstlichen Tannen montieren lassen.
Es sind nicht mehr viele Fußgänger in der Fußgängerzone unterwegs, da unterscheidet sich Santa Cruz nicht von Frankfurt. Dafür hängt aber ein großer Lichterteppich darüber. Weihnachtsenten, Weihnachtsflamingos und Weihnachtspapageien leuchten im Wettstreit mit Weihnachtsdelphinen.
Der zentrale Platz gegenüber dem Hafen ist mit Weihnachtsfesselballons dekoriert, dazu in Rot die schönen Weihnachtspalmen.
Die Kirche gegenüber der Marina wird weihnachtlich beleuchtet. Insgesamt also ein schöner Rahmen für den dritten Advent.
Wir wünschen allen weiterhin eine fröhliche Rest-Adventszeit. Feiert schön, wir fahren morgen ab. Die Spannung steigt, die Vorfreude allerdings auch. Weihnachten und Silvester werden wir auf dem Atlantik verbringen, wenn unsere Pläne aufgehen.
Der erste Eindruck nach Verlassen der Marina ist heftig. Neben der Marina ist der Hafen, in welchem Fähren und Kreuzfahrtschiffe festmachen.
Mein erster Gedanke über Santa Cruz war, dass diese Stadt unglaublich hässlich ist. Sie ist besonders hässlich, wenn sich hunderte Kreuzfahrt-Touristen durch die Innenstadt schieben. Gestern war es besonders krass, zwei deutsche Schiffe lagen hier im Hafen. Ein Paar aus Sachsen hat mich auf der Straße mit schwer sächsisch gefärbten Englisch-Brocken beworfen. „we – camera – click – picture – us“, dabei zeigten sie mir den Auslöser ihrer Kamera. Als ich versuchte, das mit breitestem Hessisch zu kontern „Isch verschdeh‘ kein Wortt!“, haben sie sich erbost umgedreht und sich gegenseitig fotografiert. Na gut, nicht mein Problem.
Spaziert man dann mit offenen Augen durch die Stadt, breitet sie sich mit ihrem ganzen Charme aus. Ich musste zweimal hinsehen, dann hat sich mir die Schönheit im Chaos erschlossen. Neben den Wohnsilos, die an die Berghänge geklebt wurden, finden sich immer wieder kleine Gassen mit Restaurants und Läden. Die Restaurants riechen fast ausnahmslos gut, ich würde da sofort essen gehen.
Für die Versorgung finden sich überall Lebensmittelläden, China-Shops (da gibt es wirklich alles!), Baumärkte und und und… DIe Baumärkte haben etwa Garagengröße und wenn sie das gewünschte Teil nicht vorrätig haben, schicken sie einen zum nächsten Baumarkt. Bei den Chinesen ist es übrigens nicht anders, die haben aber immer fast alles da.
Das wichtigste Verkehrsmittel in Santa Cruz ist die Straßenbahn, dazu fahren hunderte Buslinien und viele, viele Autos verstopfen die steilen Straßen. Wir waren lange nicht in einer Großstadt. In Santa Cruz sitzt außerdem die Dorada Brauerei, die das meiner Meinung nach beste Bier der kanarischen Inseln herstellt. Unbedingt das „Dorada Especial“ (schwarze Dosen) kaufen, da ist richtig Geschmack drin. Die roten Dosen sind besser zu meiden.
Es werden auch Brauereiführungen angeboten, die habe ich mir aber erspart. Der Prozess der Herstellung des Gerstensafts ist mir hinlänglich bekannt.
Den Straßenkehrer musste ich aufnehmen. In Frankfurt liest man immer wieder mal in der Zeitung, dass sich die Straßenkehrer ihre Reisigbesen selbst binden (müssen), mit denen dann die Straße poliert wird. In Santa Cruz nimmt man einfach Palmwedel, die müssen nicht gebunden werden und erfüllen denselben Zweck.
Beim Stromern durch die Innenstadt stößt man dann immer mal wieder auf einen kleinen Platz mit großen Bäumen und einem historischen Gebäude. Oder es findet sich noch eine Gasse, in der Restaurants ihre Tische vor die Tür gestellt haben.
Das alles im Dezember. Winterliche Stimmung mag bei mir nicht mehr aufkommen. Auch die Telefonate in die Heimat sind nur schwer nachzuvollziehen, wenn von Schneeregen, Temperaturen um den Gefrierpunkt und dunklen Tagen berichtet wird. Wir tragen hier T-Shirts, kurze Hosen und laufen in Sandalen herum. Dabei sind es tagsüber angenehme 22°C, in der Nacht kaum weniger.
Wie ich mich da so durch die Innenstadt treiben lasse, sehe ich plötzlich ein Gebäude, das aus der Masse heraus sticht. Das muss ich mir genauer ansehen. Was ist das? Warum ist da so viel los? Ich komme näher und sehe, es handelt sich um einen Markt.
In Frankfurt bin ich regelmäßig auf Märkten unterwegs und kaufe dort fast alle meine Lebensmittel. Das war auf unserer Reise oft nicht möglich, die Märkte schließen in Portugal sehr früh und wir schlafen lange. In Großbritannien haben wir keine Märkte gesehen und z.B. auf Lanzarote gab es keine brauchbaren Märkte.
Es sieht auf dem Bild zwar nicht so aus, aber auf der oberen Ebene des Marktes tummeln sich sehr viele Touristen. Es werden Blumen und Handwerkskunst verkauft. Und Nippes. Und Weihnachtskram. Spannender finde ich die untere Ebene.
Im Untergeschoss finde ich eine lange Reihe von Fischhändlern, Metzgereien, Obstständen, Gemüseläden, Käseverkäufern, und und und. Es erinnert mich sofort an die Kleinmarkthalle in Frankfurt. Es kommen Heimatgefühle auf.
Ich werde schwach. Eine Fischhändlerin hält mir einen Thunfisch entgegen, sie darf sofort zwei schöne Thunfischsteaks für Jens und mich herunter schneiden. Der sieht soooo gut aus.
Wenige Minuten später fallen einige Mini-Paprika aus Teneriffa in meinen Rucksack, gefolgt von einer riesigen Süßkartoffel aus Lanzarote. Hier kann man richtig lokal einkaufen, so macht es Spaß. Ich schicke Jens, der mich bei meinem Straßenbahn-Fotospaziergang nicht begleiten wollte, eine Nachricht, dass das Abendessen gejagt ist.
Wir werden auf diesem Markt noch die frischen Waren besorgen, die wir für unsere Atlantiküberfahrt kaufen wollen.
Das Abendessen war ein voller Erfolg. Wir haben mal wieder geschlemmt, wie die Götter in Frankreich. Das Beste ist, dass der Markt nicht einmal einen Kilometer von der Marina entfernt ist. Ich sehe uns schon, wie wir unseren prall gefüllten Hackenporsche zurück zu Sissi fahren. Mir knurrt beim Schreiben dieser Zeilen schon wieder der Magen.
Santa Cruz ist nicht hässlich. Santa Cruz ist anders. Es erschließt sich einem nicht sofort, doch wenn es einen erwischt hat, macht es einfach nur Laune.
Auf Teneriffa findet der größte Teil des ÖPNV mit Bussen statt. Es gibt Expressbusse, die über die Autobahnen die größeren Ortschaften miteinander verbinden, außerdem gibt es lokale Busse, sogenannte Guaguas. Die Busse fahren im dichten Takt und beinahe rund um die Uhr, man kann alle Flecken auf Teneriffa damit erreichen. So steht es sinngemäß auf einschlägigen Internetseiten über diese schöne Insel.
Betrieben werden die Busse von Titsa. Auf deren Webseite gibt es auch irgendwie Online-Fahrpläne. Ich bin normalerweise nicht überfordert mit fremden Bus-Systemen, Tarifen und Fahrplänen, doch hier musste ich das Handtuch werfen. Eigentlich wollten Jens und ich zum Teide, dem höchsten Berg auf den Kanaren. Die Konsultation verschiedenster Webseiten erbrachte als Ergebnis, dass es genau zwei Busse am Vormittag gibt, die zur Talstation der Seilbahn auf den Teide fahren. Und es gibt zwei Busse am Nachmittag. Das passt nicht so ganz zum dichten Takt. Wenn wir um 6:30 Uhr aufgestanden wären, hätten wir einen dieser zwei Busse erreichen können. Das ist indiskutabel. Diese Uhrzeit gibt es auf der Sissi nur, wenn wir unterwegs sind und unseren 24/7-Betrieb machen.
Wir verzichteten trotzdem darauf, einen Mietwagen zu nehmen, und spazierten statt dessen zum Intercambiador, dem zentralen Busbahnhof in Santa Cruz. Er befindet sich nur einen knappen Kilometer von der Marina entfernt. Dort starten sowohl lokale Busse als auch die Fernbusse über die Insel. Wir gehen an den Auskunftsschalter und erfragen eine Verbindung nach Vilaflor, einer Ortschaft ca. 20 km vom Teide entfernt. Wir hatten die Hoffnung, von dort aus den Teide sehen und fotografieren zu können.
Die freundliche Dame am Schalter erklärt uns, dass wir zunächst den Expressbus nach San Isidro nehmen müssen, dort in den lokalen Bus nach El Medano umsteigen sollen und in El Medano einen Bus nach Vilaflor erreichen würden. Das ist einfach. Der Expressbus fährt auch schon in einer Viertelstunde. Spitze, so haben wir uns das vorgestellt.
Auf der Autobahn gibt der Busfahrer richtig Gas und überholt, was zu überholen ist. Das Foto zeigt den Bus auf der bevorzugten linken Spur. Das 40 km entfernte San Isidro ist nur eine Haltestelle weit entfernt.
Der Bus ist nicht überfüllt und es gibt sogar WLAN. Das ist nicht besonders schnell, aber es genügt für ein paar Aufrufe von Internetseiten, den Versand von Nachrichten und den Abruf von Wetterdaten für unsere Atlantiküberquerung.
Während unser Bus noch in die Bushaltestelle San Isidro einfährt, sehen wir zeitgleich den Bus nach El Medano zur Haltestelle rollen. Eine perfekte Umsteigebeziehung. Aus Deutschland kennen wir das nicht in dieser Qualität. Auch der lokale Bus nach El Medano ist pünktlich und hat WLAN. In El Medano ist es allerdings vorbei mit der Herrlichkeit. Wir finden an der Endhaltestelle den Fahrplanaushang für den Bus nach Vilaflor nicht.
Eine kurze Nachfrage beim Busfahrer, der uns nach El Medano gebracht hat, ergibt, dass dort gar kein Bus nach Vilaflor fährt. Wir sollen wieder bei ihm einsteigen, er bringt uns nach Granadilla. Dort könnten wir nach Vilaflor umsteigen. Okay, denken wir, dann machen wir es halt so. Der Bus fährt also wieder nach San Isidro zurück, danach weiter nach Granadilla.
Granadilla ist ein etwas verschlafener Ort am Fuße der Berge. Wir haben etwa eine halbe Stunde Aufenthalt und finden tatsächlich den übersichtlichen Fahrplan für die Busse nach Vilaflor. Es gibt ziemlich genau fünf Verbindugen am Tag. Immerhin hat der Aushangfahrplan mehr Verbindugen anzubieten als Google. Google kennt nur zwei.
Unser Bus steht schon da, der Fahrer ist noch nicht zu sehen. Er kommt pünktlich zur Abfahrtszeit zu seinem Bus gelaufen, öffnet die Tür und die wenigen Fahrgäste können einsteigen. Die Tarife geben es übrigens nicht her, eine durchgehende Fahrkarte von Santa Cruz nach Vilaflor zu kaufen, bei jedem Umstieg löst man eine neue Karte.
Dann beginnt eine wilde Fahrt über schmale Straßen ins Gebirge. Dieser Bus hat kein WLAN mehr, wir hätten auch keine Zeit mehr gehabt, auf den Handys zu daddeln, denn die Landschaft wird wunderschön. Immer höher und höher windet sich das asphaltierte Band ins Gebirge. Immerhin ist der höchste Berg über 3000 Meter hoch.
Knapp zweieinhalb Stunden nach unserer Abfahrt in Santa Cruz erreichen wir Vilaflor. Wir steigen aus und spazieren die Hauptstraße entlang. Es fühlt sich an, als wären wir in einer anderen Welt. In Santa Cruz ist alles verbaut und voll. Es herrscht Trubel auf den Straßen und der Verkehr tost. Vilaflor fühlt sich an, als hätten wir die Insel gewechselt.
Kleine Restaurants, Bars und Hotels säumen die Hauptstraße. Viele Fahrradfahrer nutzen den Ort zur Rast. Die Sonne scheint vom Himmel, doch mir ist kalt. Der Ort liegt ziemlich hoch. Warum habe ich den Pulli auf der Sissi liegen gelassen? In der Ortsmitte finden wir den Dorfplatz, der sogar recht modern gestaltet ist. Wir fotografieren wie die Wilden.
Oberhalb des Dorfplatzes ist eine kleine Kirche. Im Gegensatz zu vielen anderen Kirchen ist sie nicht verschlossen. Das ist selten.
Wir betreten den Raum der stillen Andacht um zu sehen, wie dieses Gotteshaus gestaltet ist. Die Kirche übertrifft unsere Erwartungen. Wiewohl in Spanien die Kirchen oft opulent ausgestattet sind mit Figuren, Fenstern und sonstigem Schmuck, hätten wir einen so schönen Innenraum in diesem kleinen Ort nicht erwartet.
Tatsächlich sind sogar unter der Woche Menschen zur Andacht im Gebäude. So muss dieses eine Foto reichen, dann verlassen wir die Kirche wieder.
Dann erwischt mich Jens noch mit der Kamera. Zum Glück stehe ich etwas im Schatten, so dass ich das Bild guten Gewissens mit ins Blog aufnehmen kann. Anschließend gehen wir zum Bus zurück, denn wir haben nur noch 20 Minuten bis zur Abfahrt des letzten Busses. Irgendwie hatten wir aus dem Gedächtnis verloren, dass es fünf Abfahrten am Tag gibt. Google behauptet hartnäckig, dass der letzte Bus um 13:22 Uhr fährt.
Wir sind um 13:10 Uhr an der Haltestelle und lesen noch einmal den Fahrplan. Es gibt eine weitere Abfahrt um 15:00 Uhr. Spontan planen wir um. Jens möchte noch ein paar Kilometer die Straße entlang bis zu den schönsten Serpentinen laufen ich möchte einfach noch etwas im Ort herumlungern. Als Jens schon weg ist, fährt zunächst der Bus um 13:18 Uhr (Fahrplan, nicht Google) durch. Dann kommt ein Engländer mit Wanderausrüstung und wartet auf den Bus um 13:22 Uhr (Google, nicht Fahrplan). Ich erkläre ihm, dass sein Bus gerade abgefahren ist und dass Google lügt. Das findet er nicht toll, ändern kann er es aber auch nicht. Jetzt muss er sehen, wie er seine Fähre um 18 Uhr in Santa Cruz bekommt.
Eine Stunde später sitzen Jens und ich in der Bar neben der Bushaltestelle. Wir trinken ein Bier auf den gelungenen Tag. Anschließend geht die Reise wieder zurück.
Wir erreichen pünktlich unser Ziel, finden eine Burger Bar mit leckeren Fleischklopsen und gutem Internet. Dort hören wir die erste Halbzeit des Spiels unserer Eintracht gegen Guimaraez. Die zweite Halbzeit hören wir an Bord, anschließend feiern wir den Einzug in die nächste Runde des Europapokals standesgemäß mit einem echten Apfelwein. Ein gelungener Tag, auch wenn wir den Teide nicht gesehen haben.