Manchmal gehen Wünsche in Erfüllung. Vor drei Tagen habe ich mir mehr Wind gewünscht, jetzt ist er da. Er ist schon seit 36 Stunden da. Die Natur liefert innerhalb von zwei bis drei Tagen, besser als der von mir schon so oft gescholtene Paketdienst. Wir fliegen mit stark gereffter Genua über den Atlantik, der Wind pustet mit Windstärke 7. Es ist schwer, die Wellenhöhe richtig einzuschätzen. Wenn ich jetzt von fünf Metern schreibe, werden manche das als Seemannsgarn abtun. In Wirklichkeit sieht es so aus, als seien es wesentlich mehr als fünf Meter Wellen. Unten im Salon merkt man von der Wellenhöhe wenig. Es schaukelt halt.
Rod Steward ist ein Arsch. Wie kann man nur eine solch schlechte Schnulze über das Segeln produzieren. Um das Schauspiel komplett zu genießen, ziehe ich mir die Regenklamotten an und setze mich ins Cockpit. Regenklamotten sind Pflicht, denn ab und an spritzt eine Welle in unseren ansonsten sehr trockenen Außenbereich. Das ist unangenehm. Das ist nicht wie immer.
In der Nacht haben wir mal wieder gezeigt, dass wir in Wirklichkeit die letzten Segelspackos sind. Wir waren mit ungereffter Genua unterwegs und der Windpilot konnte den Kurs nicht mehr halten. Mehrfach. Auf die Idee, die Genua einfach zu verkleinern, sind wir erst einmal nicht gekommen. Statt dessen haben wir am Windpiloten rumgezupft. Das hat sich gegen Mitternacht gerächt, auf Lanzarote wird Jens wieder mal zum Nähzeug greifen müssen.
Jetzt ist alles gut. Der Windpilot hält den Kurs besser, als es jede Steuerfrau und jeder Steuermann könnte. Stunde um Stunde, Tag um Tag. So wollen wir diesen Ozean bezwingen. Selbst mit fünf hervorragenden Steuerleuten, die sich alle halbe Stunde ablösen, würden wir nicht so einen schönen Kurs fahren. Neue Schäden gibt es keine mehr, zum Glück ist nichts mehr zu Bruch gegangen. Unter Deck schreiten die optimierenden Holzarbeiten voran. Wir brauchen mehr Haltegriffe. Einen wichtigen Haltegriff habe ich heute angeschraubt. Wir brauchen einen Baumarkt.
Mein Körper fühlt sich an, als hätten mich ein Dutzend Hooligans mit Holzlatten durchgeprügelt. An jeder Kante, an der man sich stoßen kann, habe ich mich in den letzten Tagen schon gestoßen. Wenn wir erst im nächsten Hafen sind, mache ich ein oder zwei Tage gar nichts und werde es genießen, wie die blauen Flecken nach und nach verschwinden.
Aus dem Elektroschaltschrank kam mit jeder Schiffsbewegung ein nervendes, lautes Klackern. Klack (Steuerbord). Klack (Backbord). Klack (Steuerbord). Klack (Backbord). Klack (Steuerbord). Klack (Backbord). Ich musste einen Solarladeregler ausbauen und konnte aus dem doppelten Boden darunter eine Batterie (Typ AA) herausfischen. Wer hat die denn da reingetan? Jetzt ist Ruhe in der Kiste.
Glücklicherweise ist von dem Gulasch, das Jens gestern gekocht hat, noch jede Menge übrig. So müssen wir heute nicht kochen, sondern brauchen das Essen nur aufwärmen. Das erleichtert die Sache sehr, die Produktion einer „Swinging Oven“-Folge ist bei diesem Seegang nur noch eingeschränkt möglich. Das gilt auch für die Reinigung des Körpers. Die Dusche können wir nicht benutzen, wir müssen den Waschlappen zu Hilfe nehmen. Selbst das ist schwierig, denn wir müssen uns immer mit mindestens einer Hand irgendwo festhalten. Der Mensch ist eine Fehlkonstruktion. Wieso hat die Natur uns keine dritte Hand wachsen lassen?
Unsere Stromproduktion ist gigantisch. Neben Sissi könnten wir noch ganz Frankfurt am Main mit Elektrizität versorgen. Ich habe gerade den Watermaker eingeschaltet, trotzdem bleibt noch Strom übrig, um die Batterien weiter zu laden. Der Wassertank ist aber auch bald so voll wie unsere Akkus. Dann wissen wir nicht mehr, wohin wir mit dem ganzen Strom sollen. Vielleicht noch einmal Staubsaugen?
Staubsaugen musste ich eben schon einmal, denn Jens hat beim Kaffee kochen die Kontrolle über die Kaffeemühle verloren. Die guten Bohnen verteilten sich durch den Salon, der gemahlene Kaffee auch. Dumm gelaufen, schade um die Bohnen, aber es riecht hier jetzt sehr gut.
Unfassbar! Gerade schreibe ich diese Zeilen, da kommt eine Welle und lässt Sissi so weit überholen, dass der Watermaker von unten her Luft zieht! Wir saugen das Seewasser am tiefsten Punkt des Schiffs an, in der Zuleitung für das Motorkühlwasser. Tiefer geht es nicht. Dieses Seeventil sollte immer unter Wasser sein. Ist es aber nicht. Der helle Wahnsinn. Das ist nicht wie immer.
Die Verspätung der ersten beiden Tage haben wir mehr als aufgeholt. Wir werden definitiv am Sonntag auf Lanzarote sein. Also morgen! Der Atlantik ruft nach Metallica, Iron Maiden, Dio und Motörhead. Lemmy schreit gegen den Wind und das ist toll. Man kann uns auf Lanzarote schon hören.
Aktuelle Position (um 14:30 Uhr): 30°36‘ N 12°26‘W
Viertes Etmal: 145,9 nm (wesentlich schneller als ein DHL-Paket)
Reststrecke: 95 nm
@Chapos: Ich weiß, dass ihr diese Zeilen gelesen habt. Ihr schafft das auf jeden Fall. Das Ijsselmeer ist bei fünf Beaufort schlimmer als der Atlantik bei sieben Beaufort. Wir sehen uns in der Rubicon-Marina. Ich will mein Buch wieder haben. 🙂