Der zweite Geburtstag

Manchmal passiert hier nicht viel, dann habe ich nicht viel zu schreiben. Im Augenblick habe ich einige Geschichten auf Vorrat. So zum Beispiel diese, die mich nur scheibchenweise erreicht hat. Diesmal schreibe ich über das Segeln. Ich versuche, die Geschichte von Gustavs weiterer Reise aufzuschreiben. Der hat nämlich Aruba vergangene Woche an Bord eines Katamarans verlassen. Ich kenne den Katamaran Lucid und seinen Besitzer Brett von mehreren Begegnungen. Die Geschichte habe ich natürlich nicht erlebt, sondern nur von Augenzeugen.

Elvis und Max. Freunde fürs Leben. Ich würde die beiden sofort adoptieren. Zwei wunderschöne Kater, die wahrscheinlich ihr ganzes Leben im Animal Shelter verbringen werden. Beide sind Menschen gegenüber sehr scheu und verstecken sich gerne vor uns.

Gustav arbeitet schon eine ganze Weile auf dem Katamaran. Er hilft Brett, seine in Aruba erworbene Manta 42 fit für die große Reise zu machen. Als Preis winkt ihm eine Passage nach Kolumbien. Wenn es um die Elektrik geht, fühlt sich Gustav nicht unbedingt kompetent. Deswegen darf ich Brett Rede und Antwort stehen, er hat viele Fragen. Mein dringendster Ratschlag ist, die Batterien des Boots zu tauschen. Die mehr als zehn Jahre alten Energiespeicher mitsamt antiquierter Ladetechnik sind meiner Meinung nach der schwächste Punkt seiner Energieversorgung.

Einige Tage später erzählt mir Gustav im Donkey Sanctuary vom Probesegeln mit Brett. Gustav besitzt in Dänemark ein kleines Segelboot und hat ein wenig Ahnung von der Materie. Gustav ist entsetzt, wie wenig sein Skipper über das Segeln, den Segeltrimm und den Umgang mit dem Boot weiß. Ich erzähle ihm ein wenig von der Geschichte der Chapo. Jutta und Charlie sind ohne Vorkenntnisse mit ihrem Boot von der Ostsee bis in die Karibik gesegelt. Ich möchte ihn aufmuntern. Später am Nachmittag fährt die komplette Crew aus dem Donkey Sanctuary zu einem Sonnenuntergangs-Segeltörn auf der Lucid.

Ich habe die Bilder aufnehmen können, weil die beiden sich ausnahmsweise nicht hinter den hohen, geschlossenen Katzenklos versteckt haben, sondern hinter einem offenen. Kurz nach den Aufnahmen sind beide in einem neuen Versteck verschwunden.

Ein paar Tage später bekomme ich eine Nachricht von Gustav. Brett fragt an, ob ich ihm bei der Installation des Funkgeräts und des AIS helfen kann. Das kann ich. Außerdem soll ich die Antenne überprüfen. Für netto eine Stunde Arbeit ziehe ich Brett 100 Dollar aus der Tasche. Dabei fällt es mir allerdings sehr schwer, dem Kanadier meine Installation zu erklären. Er zeigt keinerlei Interesse an der wichtigen Infrastruktur. Selbst den Funkcheck mit Aruba Port führe ich durch und nicht er. Warum? Kann mir eigentlich egal sein, ich habe das Zeug installiert und es funktioniert. Zurück auf Sissi kann ich den Erfolg meiner Arbeit sehen, denn nun erscheint die Lucid auf meinem AIS-Bildschirm.

Ich verbringe mal wieder Zeit bei den Eseln. Gustav hat das Donkey Sanctuary inzwischen verlassen und wohnt auf dem Katamaran. Es sind noch Restarbeiten abzuschließen. Der junge Österreicher Juri wohnt noch ein paar Tage bei den Eseln. Er fragt mich nach meinem Vorgehen, wenn ich einen Anker setze. Ich erkläre es ihm Schritt für Schritt. Zuerst den Ankerplatz aussuchen. Wenn das Boot dort still steht, den Anker runter auf den Grund lassen. Anschließend das Boot gemütlich rückwärts treiben lassen und nach und nach immer mehr Kette rauslassen. Wenn genug Ankerkette draußen ist, wird der Anker mit ordentlich Motordrehzahl eingefahren. Juri meint, ich erkläre es genau so, wie er es einmal gelernt hat.

Juri war Zeuge verschiedener Ankerversuche von Brett, bei denen er jedes Mal eine Furche durch den Grund gezogen hat, der Anker aber niemals hielt. Ansonsten endete die Sonnenuntergangs-Segeltour in einem kleinen Desaster. Bei Dunkelheit sollte Gustav den Grund im Auge behalten. Bei Dunkelheit kann man den Grund aber gar nicht sehen. Brett rammte den Katamaran in den Grund und das Boot kam erst nach mehreren Versuchen wieder frei. Vor der versammelten Gruppe wurde Gustav dafür verantwortlich gemacht, schließlich sollte er ja nach dem Grund sehen. Ich nehme dafür mein Echolot. Es geht für mich gar nicht, dass der Skipper ein Crewmitglied für seine eigenen Fehler verantwortlich macht.

Laut Juri ist Brett stolz darauf, einer der Journalisten zu sein, der die meisten Artikel zum Thema verfasst hat, dass Herrn Trump die Wahl gestohlen worden sei. Damit fällt er aus der Liste derer heraus, denen ich zu helfen bereit bin. Ich unterstütze keine Trumpisten.

Einmal am Tag ist es möglich, die beiden ordentlich zu streicheln. Immer wenn der Käfig sauber gemacht wird, findet man die beiden hinter den großen Futterboxen in der Küche. Dort kommen sie sogar raus und lassen sich um die Wette streicheln. Wenn man den einen streichelt, ist der andere eifersüchtig. diese Herrlichkeit endet immer dann, wenn wir mit dem Reinigen fertig sind. Dann verschwinden die beiden wieder in einem Versteck.

Nach dem Umzug aus der Marina in die Ankerbucht fragt Gustav noch einmal bei mir an, ob ich bei den Energieproblemen helfen könnte. Es ist wie von mir vorhergesagt, die laschen Batterien bringen es nicht. Ich lehne ab und warne Gustav noch einmal eindringlich vor seinem Skipper. Der hat sich nicht im Griff und ist eine Gefahr für seine Crew und andere Boote. Irgendwann erfahre ich, dass die beiden Aruba in Richtung Kolumbien verlassen haben. Nach zwei Tagen Funkstille bekomme ich eine Textnachricht von Gustav, dass er es nach Santa Marta geschafft hat. Innerlich denke ich, dass es sogar die größten Segelspackos vor dem Wind von Aruba nach Kolumbien schaffen können. Gustav möchte mir die Geschichte erzählen. Nach mehreren Versuchen können wir miteinander telefonieren.

Der erste Reisetag war noch ganz schön. Insbesondere das Nachtsegeln war ein Traum. Am zweiten Tag frischte der Wind auf, die Segeln wurden aber nicht gekürzt. Dadurch kam es immer wieder zur Überlastung des Autopiloten, der dann auf Standby geht. Ich kenne das, das macht der Sissi-Autopilot auch, wenn er den Kurs nicht mehr halten kann. Die Lösung ist immer, eine bessere Balance das Boots durch Kürzen der Segel zu erreichen. Etwa 15 Meilen vor Santa Marta blockierte der Autopilot plötzlich in der Hart-Backbord-Stellung. Der Katamaran fuhr sozusagen nur noch im Kreis. Auch mit Hilfe der Motoren gelang es nicht, einigermaßen geradeaus zu fahren. In den beiden Rümpfen gibt es Luken, durch die man von oben an das Ruder kommen kann. Brett öffnete diese Luken beide und versuchte, das Ruder wieder funktionsfähig zu bekommen. Gustav meinte, Brett sei zu diesem Zeitpunkt schon sehr panisch gewesen und versuchte mit Seilen, die blockierte Hydraulik zu ersetzen. Eine erste Welle schlug in die offene Luke, dann eine zweite und es folgten weitere Wellen. Das Boot hatte schnell eine heftige Schlagseite. Gustav konnte noch sein Telefon, seinen Pass und sein Portemonnaie retten. Im knietiefen Wasser ist er in seine Koje geeilt und im brusttiefen Wasser wieder zurück. Die beiden retteten sich in das Dinghi und wurden kurze Zeit später von einem anderen Segelboot aufgenommen. Der Katamaran Lucid ist innerhalb weniger Minuten gesunken.

Ich gratuliere Gustav zu seinem zweiten Geburtstag und empfehle ich, diesen ab sofort jedes Jahr zu feiern.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert