Langstrecken und Seekrankheit

In der Nacht von Dienstag auf Mittwoch machen wir genau um 23:30 Uhr am Zollpier in Barcadera fest. Nachmittags habe ich noch Emails mit Barbaras Hausarzt gewechselt, der mir ein Präparat genannt hat, mit dem wir sie wieder aufbauen können. Soraida war so nett und hat es am Nachmittag in der Apotheke besorgt und dem Sicherheitsdienst in Barcadera gegeben. Wir fahren an den Steg und die erste Leine ist noch nicht richtig fest, als der Sicherheitsmann schon mit dem Medikamentenpäckchen kommt und es mir übergibt. Vielen Dank Soraida!

Elektrolyte zum Trinken

Am folgenden Morgen gehe ich zum Büro der Immigration, wo ich gleich wieder hinaus und an Bord gejagt werde, denn wir müssen noch auf den Covid-Test warten, bevor wir einklarieren können. Wir kommen von Aruba und fahren nach Aruba und deswegen brauchen wir jetzt den Test. Okay. Eine Stunde später kommt ein Wagen einer lokalen Klinik an, zwei Tests hat die Dame im Gepäck. Das macht 125 US$ pro Test und 120 US$ für die Anreise an den Hafen. Jens und ich können getestet werden, Barbara ist nicht vorgesehen. Eine weitere Stunde später kommt die Dame wieder, Barbara wird getestet und ich kann endlich einklarieren, bin ich doch nach dem Test nicht mehr ansteckend. Die Anfahrtskosten müssen wir nur einmal bezahlen. Anschließend fahren wir in die Renaissance Marina und entspannen den Rest des Tages.

Oceanis I. Eine wichtige Navigationsmarke in Barcadera. Wenn man reinfährt, muss man den Frachter unbedingt links liegen lassen, sonst läuft man selbst ebenfalls auf Grund. In der Nacht sieht das sehr lustig aus.

Barbara bekommt immer wieder ihre Elektrolyte. Am Abend können wir sogar einen kurzen Spaziergang zu unserer Stammkneipe machen und eine Runde Musikbingo spielen. Ich frage Soraida, ob sie Lust auf Musikbingo hat, doch sie ist zu müde. Sie hat sich die ganzen letzten Tage Sorgen um uns gemacht und nicht gut geschlafen. Einen Hauptpreis gewinnen wir nicht, doch Barbara nennt nun ein Hardgrooves-T-Shirt ihr eigen.

Musikbingo 1980er Jahre

So weit, so gut. Nach ein paar Tagen auf See brauchen wir ein paar Tage zur Regeneration. Das war schon immer so. Später mache ich mir Gedanken, was auf unserer Reise eigentlich so schief gelaufen ist, dass wir umdrehen mussten.

Eigentlich stand unsere Abfahrt unter einem guten Stern. Die Wettervorhersage versprach nur 3-4 Beaufort und moderate Wellen. So ist es auch eingetroffen. Nicht einmal Jens ist am ersten Abend seekrank geworden. Auch nach dem Abendessen waren wir noch guter Dinge. Um Mitternacht habe ich Barbara geweckt, sie sollte ihre erste Mitternachtswache (unter Anleitung von Jens und mir) durchwachen. So habe ich erstmals in meinem Leben gesehen, dass jemand von unten ins Cockpit kam und innerhalb von fünf Minuten von Seekrankheit überwältigt wurde. Normalerweise werden die Leute seekrank, wenn sie vom Cockpit nach unten gehen.

Ich vermerke den Zeitpunkt im Logbuch. Irgendwann geht sie wieder ins Bett. Ich hoffe auf den folgenden Morgen, dass sie sich die Seekrankheit weggeschlafen hat. So macht es Jens immer und so funktionierte es auch in den anderen Fällen von Seekrankheit, die mir in meinem Leben begegnet sind. Nur nicht bei Barbara. Sie ist am nächsten Morgen immer noch unter den Halbtoten.

Wir haben Reisetabletten an Bord, die gegen Übelkeit helfen sollen. Wir haben Elotrans an Bord, Pulver zum Anrühren einer Elektrolytlösung. Das ist alles, was wir für das Krankheitsbild zur Verfügung haben. Das Elotrans wirkt jedoch eher wie ein Brechmittel, es kommt nach der Einnahme sofort zurück. Wir geben Barbara Wasser, versuchen sie zum Essen und Trinken zu motivieren. Es ist schwierig, sie befindet sich in einem „ist mir egal“ Zustand. Ich hoffe auf die folgende Nacht und auf eine Besserung, die nicht stattfindet. Ich schicke Stefan von der Roede Orm eine Mail mit der Frage, ob ihm noch ein Hausmittel einfällt und welche Häfen wir gegebenenfalls in der Dominikanischen Republik anlaufen können. Als Antwort kommt die Frage der segelnden Ärzte von der Lucky Star, warum wir nicht nach Aruba zurückfahren.

Am dritten Tag fälle ich die Entscheidung. Barbaras Zustand hat sich nicht verbessert und tatsächlich ist mit nicht einmal 200 Meilen Entfernung Aruba der nächste erreichbare Hafen, noch dazu mit bequemem und komfortablen Rücken- bzw. Halbwind. Sissi nimmt ungeahnte Geschwindigkeiten auf. Die Bootsbewegungen ändern sich, ein Hauch einer Verbesserung von Barbaras Zustand ist sichtbar. Wir kühlen das Wasser, mit dem wir das Elotrans anrühren im Kühlschrank, um den Ekelfaktor des viel zu süßen Geschmacks zu reduzieren. Barbara nimmt eine Reisetablette, eine Stunde später probieren wir es mit dem ersten Glas des Elektrolytpulvers. Diesmal bleibt es drin. Auch ein zweites Glas. Barbaras Zustand verbessert sich, dafür geht uns aber das Elotrans aus.

Zum ersten Mal nehme ich das Satellitentelefon und spreche Dirk, ihrem Hausarzt, eine Nachricht auf die Mailbox. Nach kurzer Zeit stehen wir in Email-Kontakt. Ich lasse mich beraten, was wir in Aruba an Medikamenten besorgen sollen. Als wir am folgenden Tag gegen Mitternacht in Barcadera einlaufen, sitzt Barbara munter mit uns im Cockpit. Das Gröbste ist nach über 65 Stunden Seekrankheit überstanden.


Ich nehme Seekrankheit vor allem als die Krankheit der anderen wahr. Deswegen habe ich die Geschichte unterschätzt. Außerdem war der Wunsch groß, die günstigen Wetterbedingungen zu nutzen. Sonst hätte ich das Leiden schneller verkürzt und wesentlich früher umgedreht. Dass eine möglicherweise lebensgefährliche Situation entstehen kann, war bei mir erst einmal gar nicht auf dem Radarschirm. Vor dem nächsten Start wird die Bordapotheke noch etwas hochgerüstet, ich werde Seekrankheit in Zukunft wesentlich ernster nehmen. Es ist keine gute Idee, einen 3000 Meilen Törn in dieser Situation zu Ende segeln zu wollen. Wir sind zum Glück gut aus der Sache herausgekommen.

Als Gratiszugabe erwarten Jens und mich in der kommenden Woche nicht mehr 3 bis 4 Windstärken, sondern 5 bis 6 Windstärken. Jippie!