Tag 4
Der Traum fast jeden Seglers. Ein stetiger Wind von fünf bis sechs Windstärken, immer aus der gleichen Richtung. Die Segel sind dicht geholt, das Schiff hat eine schöne Schräglage und der Bug pflügt durch die Wellen. Die Gischt spritzt dem Steuermann um die Ohren, das Schiff läuft Höchstgeschwindigkeit. Bäh. Pfui. Ich hasse das. Es ist die anstrengendste Ozeanpassage, die ich bisher hinter mich bringen musste. Drei Wochen von den Kapverden nach Barbados segeln mit dem Wind von hinten ist nicht so anstrengend wie drei Tage in der karibischen See gegen den Passat zu kämpfen. Der stetige Wind produziert stetig Wellen, die mit vier bis fünf Metern Höhe recht ordentlich sind. An Geschwindigkeit ist nicht zu denken, wenn wir zu schnell fahren, bohrt sich der Bug in die Wellen und es scheppert ungemein.
Wer kam bloß auf die Idee, nach Aruba zurück zu fahren? Es liegen noch 330 Meilen vor uns und das ist die Luftlinie. Die können wir nicht direkt fahren. Wir werden wahrscheinlich 500 Meilen fahren müssen, das sind bei unserer Geschwindigkeit noch sechseinhalb Tage. Ich will gar nicht daran denken. Mit dem Motor können wir nicht mogeln, wir haben nur noch Diesel für 170 Meilen übrig.
Der Schlafentzug macht sich langsam bemerkbar. Zu Therapiezwecken wird er eingesetzt gegen Depressionen, wenn ich mich richtig erinnere. An Bord ist er eher nicht geeignet, die Stimmung aufzuhellen. Wenn ich mich auf die Couch lege, fallen mir sofort die Augen zu. Wenn ich dann gerade am wegdösen bin, trifft Sissi auf eine heftige Welle und der Anker kracht ins Wasser. Dann bin ich wieder wach. Jens geht es ähnlich, auch er hat bisher keinen richtigen Schlaf finden können. Das wird wohl bis Aruba so bleiben.
Insofern freuen wir uns auf die 24 Stunden Quarantäne an unserer Ankerkette, wenn wir angekommen sind und unseren Covid-Test hinter uns gebracht haben. Dann haben wir keine Verpflichtungen und können uns endlich mal ausschlafen.
Am Nachmittag werden wir von einigen Delphinen begleitet. Sie schwimmen neben Sissi her und springen aus den hohen Wellen hinaus. Das ist wunderschön anzusehen, lässt sich leider nur mit viel Glück fotografieren. So viel Glück haben wir nicht. Die Erinnerung daran muss genügen. Es sind tolle Tiere.
Mit Papier, Bleistift, Geodreieck und Zirkel errechnen wir den Kurs, den wir gerade noch fahren können, um ohne aufzukreuzen mit dem letzten Rest Diesel unser Ziel erreichen zu können. Ich würde sagen, die Chancen stehen etwas besser als 50%. Falls der Wind nicht noch einmal 10° zu unseren Ungunsten dreht, kann es klappen.
Die Klebeband-Abdichtung ist undicht geworden. Schade, ist aber nicht zu ändern. Über dem Salon hält sie noch einigermaßen, nur die Vorschiffskoje ist zu einer Tropfsteinhöhle mutiert. Da wir bei unserem Kurs durch den Windgenerator mit Unmengen von Strom versorgt werden, überlegen wir kurz, den Heizlüfter zum Trocknen einzusetzen. So lange es dabei von eben weiter tropft, ist es natürlich vollkommen unsinnig. Also machen wir das Radio an und hören eine Stunde lang laute Heavy Metal Musik. Das verbraucht auch Strom. Alle Batterien sind und bleiben zu 100% gefüllt.
Die Nacht ist vergleichsweise ruhig, der Wind hat nachgelassen. Er hat allerdings auch seine Richtung zu unseren Ungunsten verändert. Jens schlägt vor, dass wir eine Halse fahren. Wir sind uns beide einig, dass wir Aruba nicht mehr direkt anlegen können. Gesagt, getan. Nach wenigen Minuten fährt Sissi einen ganz verrückten Kurs. Wir müssen feststellen, dass wir keinerlei Ruderwirkung mehr haben. F*ck!!!
Vor zwei Jahren ist uns das in Stavoren schon einmal passiert. Das Seil, das die Kräfte vom Steuerrad auf das Ruder überträgt, ist damals vom Ruderquadranten gesprungen. So ist es auch heute. Ich muss meine gesamte Koje ausräumen, um an das Seil zu kommen. Im Gegensatz zum Hafen von Stavoren ist hier wenigstens genug Leeraum, wir können nirgendwo gegen treiben. Dafür brauche ich heute fast eine Stunde für die Reparatur. Jens muss das Ruder irgendwie mit der Notpinne gerade halten, damit ich das Seil wieder in die Führung bekommen und die Schrauben anziehen kann. Nun tropft uns beiden der Schweiß von allen Körperteilen, unsere T-Shirts sind nass wie frisch aus der Waschmaschine. Wir brauchen eine Dusche. Sissi läuft wieder prima. Den neuen Kurs werden wir jetzt einen Tag fahren, dann soll laut Vorhersage der Wind wieder in die alte Richtung zurück drehen. Viertes Etmal 77 Meilen.
Ein echter Beitrag zum Thema: warum segeln auch ganz doof sein kann. Lasst euch nicht unterkriegen.